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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Pflichtjugendwehr oder wehrhafte Lrzuchung?

schlage Philipps Stellung nehmen, die grundlegende Frage beantworten: "Ist
eine streng und rein militärische Jugenderziehung erwünscht und notwendig?,,

Gerade zu dieser Frage weist H. Stubenburg in einem vortrefflichen Aufsatze
des "Kunstwarts" *) darauf hin, daß sowohl vom militärischen als auch dem
jugenderzieherischen Standpunkte dagegen schwere Einwände erhoben werden.
Männer wie Moltke und von der Goltz haben mehr eine gründliche und all¬
gemeine körperliche Kräftigung der Jugend als Vorbereitung auf den militärischen
Dienst verlangt als eine rein militärische Vorbildung, ein halb ernsthaftes, halb
spielerisches Vorgreifen in die militärische Ausbildung. Und Oberrealschuldirektor
Eben. Neuendorff, Vorsitzender des "Wandervogels", der, als Kriegsfreiwilliger
eingetreten, jetzt als Offizier im Felde steht, fällt in der "Monatsschrift für das
Turnwesen" (Seite 172) ein Urteil, das auch hier noch einmal angeführt werden
muß: "Vom Militär ist uns wieder und wieder versichert worden, daß unter
gewöhnlichen Verhältnissen eine militärische Fachausbildung nicht wünschenswert
ist, ja daß sie schädlich sein kann. Daran werden auch die Erfahrungen dieses
Krieges nichts ändern. Ein geschickter Turner, ein fleißiger Spieler, ein eifriger
Wanderer wird mit Leichtigkeit das Fachmilitärische erlernen ... Ich habe in
den vergangenen Monaten Hunderte und Aberhunderte von Rekruten gesehen:
die Turner unter ihnen erkannte man mit Leichtigkeit heraus. Ich habe noch
keinen Turner kennen gelernt, dem die Aneignung des Fachmilitärischen irgend¬
welche Schwierigkeiten geboten hätte. Endlich die Einwirkung auf Erziehung
und Unterricht. Sie wäre fürchterlich. Sie zerstörte, was wir mühsam auf¬
gebaut haben: den freien, frischen, fröhlichen Betrieb, der so ganz der Jugend
gemäß und erzieherisch so wirksam ist. Im Fachmilitärischen nimmt den größten
Teil das Gebundene, Starre, Mechanische ein. Der Drill beherrscht den Betrieb.
Kein Mensch bezweifelt, daß er notwendig und gut ist. Und der Soldat erträgt
das Gebundene gern, weil er in ihm das notwendige und nützliche Mittel zum
Zweck: den freien Feldübungen, den Manövern, dem richtigen Krieg sieht . . .
Führte man Fachmilitärisches in den Turnunterricht richtig ein, so würde es
sich auf Exerzieren in geschlossener Ordnung, auf Schwärmen links heraus,
rechts heraus usw. beschränken. Das würde ein Betrieb, der sür die Jugend
Sinn° und seelenlos wäre. Immer nur Form und Mittel, ohne zum Inhalt und
Zweck zu kommen!" Wobei noch einmal zu betonen ist, daß sich Neuendorff-
ablehnende Haltung in erster Reihe gegen das Fachmilitärische, den seelenlosen
Drill richtet.

Nun handelt es sich ja allerdings augenblicklich für uns darum, eine
Organisation zu schaffen, um die Vorteile, die nach Neuendorff der eifrige
Turner, Spieler, Wanderer bei der Aneignung des Fachmilitärischen hat, der
gesamten deutschen Jugend zugute kommen zu lassen, zu ihrem eigenen und
des Vaterlandes Nutzen. Und es handelt sich weiter darum, diese Organisation
wie einem Geiste zu füllen, der unserer Zell und unserer Lage angepaßt ist.



*) "Militärische Jugenderziehung/' Erstes Septcmberheft des "Kunstworts" 191K,
Pflichtjugendwehr oder wehrhafte Lrzuchung?

schlage Philipps Stellung nehmen, die grundlegende Frage beantworten: „Ist
eine streng und rein militärische Jugenderziehung erwünscht und notwendig?,,

Gerade zu dieser Frage weist H. Stubenburg in einem vortrefflichen Aufsatze
des „Kunstwarts" *) darauf hin, daß sowohl vom militärischen als auch dem
jugenderzieherischen Standpunkte dagegen schwere Einwände erhoben werden.
Männer wie Moltke und von der Goltz haben mehr eine gründliche und all¬
gemeine körperliche Kräftigung der Jugend als Vorbereitung auf den militärischen
Dienst verlangt als eine rein militärische Vorbildung, ein halb ernsthaftes, halb
spielerisches Vorgreifen in die militärische Ausbildung. Und Oberrealschuldirektor
Eben. Neuendorff, Vorsitzender des „Wandervogels", der, als Kriegsfreiwilliger
eingetreten, jetzt als Offizier im Felde steht, fällt in der „Monatsschrift für das
Turnwesen" (Seite 172) ein Urteil, das auch hier noch einmal angeführt werden
muß: „Vom Militär ist uns wieder und wieder versichert worden, daß unter
gewöhnlichen Verhältnissen eine militärische Fachausbildung nicht wünschenswert
ist, ja daß sie schädlich sein kann. Daran werden auch die Erfahrungen dieses
Krieges nichts ändern. Ein geschickter Turner, ein fleißiger Spieler, ein eifriger
Wanderer wird mit Leichtigkeit das Fachmilitärische erlernen ... Ich habe in
den vergangenen Monaten Hunderte und Aberhunderte von Rekruten gesehen:
die Turner unter ihnen erkannte man mit Leichtigkeit heraus. Ich habe noch
keinen Turner kennen gelernt, dem die Aneignung des Fachmilitärischen irgend¬
welche Schwierigkeiten geboten hätte. Endlich die Einwirkung auf Erziehung
und Unterricht. Sie wäre fürchterlich. Sie zerstörte, was wir mühsam auf¬
gebaut haben: den freien, frischen, fröhlichen Betrieb, der so ganz der Jugend
gemäß und erzieherisch so wirksam ist. Im Fachmilitärischen nimmt den größten
Teil das Gebundene, Starre, Mechanische ein. Der Drill beherrscht den Betrieb.
Kein Mensch bezweifelt, daß er notwendig und gut ist. Und der Soldat erträgt
das Gebundene gern, weil er in ihm das notwendige und nützliche Mittel zum
Zweck: den freien Feldübungen, den Manövern, dem richtigen Krieg sieht . . .
Führte man Fachmilitärisches in den Turnunterricht richtig ein, so würde es
sich auf Exerzieren in geschlossener Ordnung, auf Schwärmen links heraus,
rechts heraus usw. beschränken. Das würde ein Betrieb, der sür die Jugend
Sinn° und seelenlos wäre. Immer nur Form und Mittel, ohne zum Inhalt und
Zweck zu kommen!" Wobei noch einmal zu betonen ist, daß sich Neuendorff-
ablehnende Haltung in erster Reihe gegen das Fachmilitärische, den seelenlosen
Drill richtet.

Nun handelt es sich ja allerdings augenblicklich für uns darum, eine
Organisation zu schaffen, um die Vorteile, die nach Neuendorff der eifrige
Turner, Spieler, Wanderer bei der Aneignung des Fachmilitärischen hat, der
gesamten deutschen Jugend zugute kommen zu lassen, zu ihrem eigenen und
des Vaterlandes Nutzen. Und es handelt sich weiter darum, diese Organisation
wie einem Geiste zu füllen, der unserer Zell und unserer Lage angepaßt ist.



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/355>, abgerufen am 22.07.2024.