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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englische ZVeltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege

einzigen Stelle denkbar, nämlich am Golf von Darien im nordwestlichen
Kolumbien. Nun hat England bereits 1912 mit Kolumbien einen Handelsvertrag
geschlossen, der ihm für alle Zukunft nicht nur den alleinigen Bau von Ver¬
kehrsstraßen, sondern auch die alleinige wirtschaftliche Aufschließung des Landes
gewährleistet. Man trat damals ganz offen mit dem Plane hervor, die
Möglichkeit eines Durchstichs am Golf von Darien zu untersuchen. In der
Tat dürfte ein solcher Konkurrenzkanal die stärkste Bedrohung des Panama¬
kanals sein*), zumal man bedenken muß, daß durch den englischen Einfluß in
Kolumbien dem nach Südamerika strebenden Panamerikanismus ein starker
Riegel vorgeschoben würde. Müßte doch die große, mit weiten politischen
Hoffnungen verknüpfte "panamerikanische Bahn" von New Uork nach Buenos
Aires durch Kolumbien geführt werden.

Um diese an sich schon große Macht im Atlantischen Ozean zu stärken,
wäre England naturgemäß eine Vervollkommnung in der Verbindung der
amerikanischen Stützpunkte mit seinen europäischen und afrikanischen sehr erwünscht.
Es fehlen in der Tat an der Herstellung dieser Verbindung zu einem eng¬
maschigen Netz britischer Stützpunkte nur zwei Gebiete, um England eine See'
Herrschaft im Atlantischen Ozean zu sichern. Wo diese beiden zu suchen sind,
lehrt ein Blick auf die Karte: es müssen Bindeglieder sein, die in ihrer gegen¬
seitigen Entfernung und in der von den bereits vorhandenen Stützpunkten
einigermaßen dem überall befolgten Grundsatz der Regelmäßigkeit in der Ver¬
teilung entsprechen. Nach diesem Gesichtspunkt fällt die Bedeutung der
portugiesischen Azoren und der brasilianischen Ostküste (nördlich und südlich von
Kap Branco) in die Augen. Es bedarf keines Scharfblickes, das mehrfach
hervorgetretene, sehnsüchtige Verlangen Englands nach dem Besitz jener
portugiesischen Inselgruppe zu erklären. Bei der in näherer oder weiterer
Zukunft zu erwartenden Auflösung des portugiesischen Kolonialbesitzes dürfte bei
der ohnehin bestehenden engen Verbrüderung des Weltreichs mit der romanischen
Republik die Besitzergreifung der Azoren durch England nicht zu den politischen
Träumen gehören. Für uns wäre ja diese Möglichkeit nicht unbedenklich, da
die Azoren als Stützpunkte der uns von England unabhängig machenden Kabel
nach Amerika dienten und nach dem Kriege weiter dienen müssen. Hoffen
wir, daß ein für uns glücklicher Ausgang des Krieges mindestens diese Hoffnung
Englands zuschanden werden läßt. Der gewaltsame Versuch Englands,
Portugal mit in den Krieg hineinzuziehen, dürfte auch nicht ganz ohne
Rücksicht auf diesen zukünftigen Stützpunkt britischer Weltmacht im Atlantischen
Ozean erfolgt sein.



*) An sich ist eS natürlich unsinnig, zwei Seekanäle hier zu bauen, da der inter¬
ozeanische Verkehr gerade an dieser Stelle immer nur gering sein kann. Immerhin kann
bei ernsten politischen Verwicklungen schon die bloße Möglichkeit eines Konkurrenzbaucs von
Bedeutung sein.
Englische ZVeltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege

einzigen Stelle denkbar, nämlich am Golf von Darien im nordwestlichen
Kolumbien. Nun hat England bereits 1912 mit Kolumbien einen Handelsvertrag
geschlossen, der ihm für alle Zukunft nicht nur den alleinigen Bau von Ver¬
kehrsstraßen, sondern auch die alleinige wirtschaftliche Aufschließung des Landes
gewährleistet. Man trat damals ganz offen mit dem Plane hervor, die
Möglichkeit eines Durchstichs am Golf von Darien zu untersuchen. In der
Tat dürfte ein solcher Konkurrenzkanal die stärkste Bedrohung des Panama¬
kanals sein*), zumal man bedenken muß, daß durch den englischen Einfluß in
Kolumbien dem nach Südamerika strebenden Panamerikanismus ein starker
Riegel vorgeschoben würde. Müßte doch die große, mit weiten politischen
Hoffnungen verknüpfte „panamerikanische Bahn" von New Uork nach Buenos
Aires durch Kolumbien geführt werden.

Um diese an sich schon große Macht im Atlantischen Ozean zu stärken,
wäre England naturgemäß eine Vervollkommnung in der Verbindung der
amerikanischen Stützpunkte mit seinen europäischen und afrikanischen sehr erwünscht.
Es fehlen in der Tat an der Herstellung dieser Verbindung zu einem eng¬
maschigen Netz britischer Stützpunkte nur zwei Gebiete, um England eine See'
Herrschaft im Atlantischen Ozean zu sichern. Wo diese beiden zu suchen sind,
lehrt ein Blick auf die Karte: es müssen Bindeglieder sein, die in ihrer gegen¬
seitigen Entfernung und in der von den bereits vorhandenen Stützpunkten
einigermaßen dem überall befolgten Grundsatz der Regelmäßigkeit in der Ver¬
teilung entsprechen. Nach diesem Gesichtspunkt fällt die Bedeutung der
portugiesischen Azoren und der brasilianischen Ostküste (nördlich und südlich von
Kap Branco) in die Augen. Es bedarf keines Scharfblickes, das mehrfach
hervorgetretene, sehnsüchtige Verlangen Englands nach dem Besitz jener
portugiesischen Inselgruppe zu erklären. Bei der in näherer oder weiterer
Zukunft zu erwartenden Auflösung des portugiesischen Kolonialbesitzes dürfte bei
der ohnehin bestehenden engen Verbrüderung des Weltreichs mit der romanischen
Republik die Besitzergreifung der Azoren durch England nicht zu den politischen
Träumen gehören. Für uns wäre ja diese Möglichkeit nicht unbedenklich, da
die Azoren als Stützpunkte der uns von England unabhängig machenden Kabel
nach Amerika dienten und nach dem Kriege weiter dienen müssen. Hoffen
wir, daß ein für uns glücklicher Ausgang des Krieges mindestens diese Hoffnung
Englands zuschanden werden läßt. Der gewaltsame Versuch Englands,
Portugal mit in den Krieg hineinzuziehen, dürfte auch nicht ganz ohne
Rücksicht auf diesen zukünftigen Stützpunkt britischer Weltmacht im Atlantischen
Ozean erfolgt sein.



*) An sich ist eS natürlich unsinnig, zwei Seekanäle hier zu bauen, da der inter¬
ozeanische Verkehr gerade an dieser Stelle immer nur gering sein kann. Immerhin kann
bei ernsten politischen Verwicklungen schon die bloße Möglichkeit eines Konkurrenzbaucs von
Bedeutung sein.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/338>, abgerufen am 23.07.2024.