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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

neutralen Balkanstaaten gerichtet hat, erwartete man, daß ihre Wirkung eine
den Verbündeten günstige Klärung herbeiführen würde. In der Zeit aufgeregten
Harrens hat die römische Presse den bulgarischen und den serbischen Gesandten
interpelliert, um sich von ihnen das Horoskop stellen zu lassen. Jedes Gerücht
wurde gierig aufgegriffen. Es war ein Treiben zwischen Hoffnung und Furcht,
das die Gefühle aufwärts und abwärts jagte. Man sagte offen, die diplomatischen
Verhandlungen seien in dem gegenwärtigen Stadium von derselben Bedeutung,
wie die militärischen Ereignisse. Die Frage der Beteiligung an der Dardanellen¬
aktion und das Verhäljnis zur Türkei verlangte von verschiedenen Seiten gleich¬
zeitig eine Lösung und beunruhigte die in sich gespaltene öffentliche Meinung.
Frankreich und England suchten einen starken Druck auszuüben, um die Hilfe
für die Dardanellen zu erzwingen. Viel beachtet und zitiert wurde ein Auf¬
satz von Herbette im Figaro (26. Juli), der Italien zum Kampf gegen die
Meerengen aufrief, damit es sich dadurch fein Erbrecht für eine spätere
Teilung der Türkei sicherte. Dieses Argument wurde von den Imperialisten
lebhaft aufgegriffen und zu der Befürwortung eines Eingreifens in die
Dardanellenoperationen ausgebeutet. In schäferem Ton forderte der Manchester
Guardian Italiens Entschließung. Ganz abgesehen von einem Erfolg oder
Mißerfolg in dem Kampfe gegen Österreich habe der neue Bundesgenosse dem
Gesamtunternehmen der Entente bisher noch keinerlei Entlastung gebracht. Nach
der Einsicht, daß der österreichische Feldzug von längerer Dauer sein werde,
müsse deshalb gefordert werden, daß Italien sich schleunigst dahin wende, wo
seine Unterstützung beitragen könne, eine Entscheidung herbeizuführen: nach den
Dardanellen. Eine solche Sprache wird wohl als Reflex von Vorstellungen
angesehen werden dürfen, wie sie durch die englische Negierung in Rom erhoben
wurden. Im Lande selbst standen sich die Ansichten schroff gegenüber. Die
einen setzten sich dafür ein, daß nur durch eine solche Mitwirkung ein den
großen Aufwendungen entsprechender Gewinn zu erzielen sein würde. Die
anderen wollten die Betätigung Italiens auf den "heiligen" Zweikampf mit
Österreich beschränkt wissen. Seine eigenen Interessen seien nicht mit denen
aller Mächte des Vierverbandes in Einklang zu bringen. Auf dieser Seite
verspürte man keine Neigung, sich durch ein neues Abenteuer ins Ungewisse
reißen und die Kräfte noch mehr zerplittern zu lassen. Schließlich spitzten sich
die Beziehungen zur Türkei so zu, daß eine Auseinandersetzung in der einen
"der anderen Richtung nicht zu umgehen war. Über den Verhandlungen wegen
der Entlassung der italienischen Staatsangehörigen aus dem türkischen Gebiet
ist es zum offenen Bruch gekommen. Die italienische Diplomatie, die seit dem
Beginn des Weltkrieges eine Politik des Schwankens und der Winkelzüge
bevorzugte, hat sich auch in diese Tat hineindrängen lassen. Man bekommt
es jetzt zu spüren, wie man in einen Krater geraten ist, in dessen wirbelnden
Feuerschlünden man erbarmungslos mit herumgetrieben wird, ohne Aussicht
auf Entkommen. Mit dem Versteckspielen, als man Österreich den Krieg


Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

neutralen Balkanstaaten gerichtet hat, erwartete man, daß ihre Wirkung eine
den Verbündeten günstige Klärung herbeiführen würde. In der Zeit aufgeregten
Harrens hat die römische Presse den bulgarischen und den serbischen Gesandten
interpelliert, um sich von ihnen das Horoskop stellen zu lassen. Jedes Gerücht
wurde gierig aufgegriffen. Es war ein Treiben zwischen Hoffnung und Furcht,
das die Gefühle aufwärts und abwärts jagte. Man sagte offen, die diplomatischen
Verhandlungen seien in dem gegenwärtigen Stadium von derselben Bedeutung,
wie die militärischen Ereignisse. Die Frage der Beteiligung an der Dardanellen¬
aktion und das Verhäljnis zur Türkei verlangte von verschiedenen Seiten gleich¬
zeitig eine Lösung und beunruhigte die in sich gespaltene öffentliche Meinung.
Frankreich und England suchten einen starken Druck auszuüben, um die Hilfe
für die Dardanellen zu erzwingen. Viel beachtet und zitiert wurde ein Auf¬
satz von Herbette im Figaro (26. Juli), der Italien zum Kampf gegen die
Meerengen aufrief, damit es sich dadurch fein Erbrecht für eine spätere
Teilung der Türkei sicherte. Dieses Argument wurde von den Imperialisten
lebhaft aufgegriffen und zu der Befürwortung eines Eingreifens in die
Dardanellenoperationen ausgebeutet. In schäferem Ton forderte der Manchester
Guardian Italiens Entschließung. Ganz abgesehen von einem Erfolg oder
Mißerfolg in dem Kampfe gegen Österreich habe der neue Bundesgenosse dem
Gesamtunternehmen der Entente bisher noch keinerlei Entlastung gebracht. Nach
der Einsicht, daß der österreichische Feldzug von längerer Dauer sein werde,
müsse deshalb gefordert werden, daß Italien sich schleunigst dahin wende, wo
seine Unterstützung beitragen könne, eine Entscheidung herbeizuführen: nach den
Dardanellen. Eine solche Sprache wird wohl als Reflex von Vorstellungen
angesehen werden dürfen, wie sie durch die englische Negierung in Rom erhoben
wurden. Im Lande selbst standen sich die Ansichten schroff gegenüber. Die
einen setzten sich dafür ein, daß nur durch eine solche Mitwirkung ein den
großen Aufwendungen entsprechender Gewinn zu erzielen sein würde. Die
anderen wollten die Betätigung Italiens auf den „heiligen" Zweikampf mit
Österreich beschränkt wissen. Seine eigenen Interessen seien nicht mit denen
aller Mächte des Vierverbandes in Einklang zu bringen. Auf dieser Seite
verspürte man keine Neigung, sich durch ein neues Abenteuer ins Ungewisse
reißen und die Kräfte noch mehr zerplittern zu lassen. Schließlich spitzten sich
die Beziehungen zur Türkei so zu, daß eine Auseinandersetzung in der einen
»der anderen Richtung nicht zu umgehen war. Über den Verhandlungen wegen
der Entlassung der italienischen Staatsangehörigen aus dem türkischen Gebiet
ist es zum offenen Bruch gekommen. Die italienische Diplomatie, die seit dem
Beginn des Weltkrieges eine Politik des Schwankens und der Winkelzüge
bevorzugte, hat sich auch in diese Tat hineindrängen lassen. Man bekommt
es jetzt zu spüren, wie man in einen Krater geraten ist, in dessen wirbelnden
Feuerschlünden man erbarmungslos mit herumgetrieben wird, ohne Aussicht
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[0323] Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei neutralen Balkanstaaten gerichtet hat, erwartete man, daß ihre Wirkung eine den Verbündeten günstige Klärung herbeiführen würde. In der Zeit aufgeregten Harrens hat die römische Presse den bulgarischen und den serbischen Gesandten interpelliert, um sich von ihnen das Horoskop stellen zu lassen. Jedes Gerücht wurde gierig aufgegriffen. Es war ein Treiben zwischen Hoffnung und Furcht, das die Gefühle aufwärts und abwärts jagte. Man sagte offen, die diplomatischen Verhandlungen seien in dem gegenwärtigen Stadium von derselben Bedeutung, wie die militärischen Ereignisse. Die Frage der Beteiligung an der Dardanellen¬ aktion und das Verhäljnis zur Türkei verlangte von verschiedenen Seiten gleich¬ zeitig eine Lösung und beunruhigte die in sich gespaltene öffentliche Meinung. Frankreich und England suchten einen starken Druck auszuüben, um die Hilfe für die Dardanellen zu erzwingen. Viel beachtet und zitiert wurde ein Auf¬ satz von Herbette im Figaro (26. Juli), der Italien zum Kampf gegen die Meerengen aufrief, damit es sich dadurch fein Erbrecht für eine spätere Teilung der Türkei sicherte. Dieses Argument wurde von den Imperialisten lebhaft aufgegriffen und zu der Befürwortung eines Eingreifens in die Dardanellenoperationen ausgebeutet. In schäferem Ton forderte der Manchester Guardian Italiens Entschließung. Ganz abgesehen von einem Erfolg oder Mißerfolg in dem Kampfe gegen Österreich habe der neue Bundesgenosse dem Gesamtunternehmen der Entente bisher noch keinerlei Entlastung gebracht. Nach der Einsicht, daß der österreichische Feldzug von längerer Dauer sein werde, müsse deshalb gefordert werden, daß Italien sich schleunigst dahin wende, wo seine Unterstützung beitragen könne, eine Entscheidung herbeizuführen: nach den Dardanellen. Eine solche Sprache wird wohl als Reflex von Vorstellungen angesehen werden dürfen, wie sie durch die englische Negierung in Rom erhoben wurden. Im Lande selbst standen sich die Ansichten schroff gegenüber. Die einen setzten sich dafür ein, daß nur durch eine solche Mitwirkung ein den großen Aufwendungen entsprechender Gewinn zu erzielen sein würde. Die anderen wollten die Betätigung Italiens auf den „heiligen" Zweikampf mit Österreich beschränkt wissen. Seine eigenen Interessen seien nicht mit denen aller Mächte des Vierverbandes in Einklang zu bringen. Auf dieser Seite verspürte man keine Neigung, sich durch ein neues Abenteuer ins Ungewisse reißen und die Kräfte noch mehr zerplittern zu lassen. Schließlich spitzten sich die Beziehungen zur Türkei so zu, daß eine Auseinandersetzung in der einen »der anderen Richtung nicht zu umgehen war. Über den Verhandlungen wegen der Entlassung der italienischen Staatsangehörigen aus dem türkischen Gebiet ist es zum offenen Bruch gekommen. Die italienische Diplomatie, die seit dem Beginn des Weltkrieges eine Politik des Schwankens und der Winkelzüge bevorzugte, hat sich auch in diese Tat hineindrängen lassen. Man bekommt es jetzt zu spüren, wie man in einen Krater geraten ist, in dessen wirbelnden Feuerschlünden man erbarmungslos mit herumgetrieben wird, ohne Aussicht auf Entkommen. Mit dem Versteckspielen, als man Österreich den Krieg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/323>, abgerufen am 22.07.2024.