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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

und verleumdet. "Wir bekämpfen gemeinsam", heißt es darin, "einen Feind,
der systematisch Methoden der Grausamkeit gegen Nichtkämpfer anwendet mit
Prozeduren, die bis dahin in der modernen Geschichte unbekannt waren".
Man hat es auch verstanden, den Italienern in diesem unverfänglichen Schriftstück
mit harmloser Anerkennung ihr ideales Kriegsziel vorzuhalten, indem man sagt:
"Das italienische Volk steht im Kriege, um seine Brüder von einer alten Unter-
drückung zu befreien und um von ganz Europa die Drohung einer neuen
Militärherrschaft zu nehmen".

In gewissen Kreisen des italienischen Volkes ist man aber schon längst
nicht mehr mit diesem begrenzten Kriegsziel zufrieden; und ebenso weiß man in
England, daß deren Begehrlichkeit durch andere Aussichten gereizt und in Atem
gehalten werden müsse, um dem Lande die höchste Anspannung auferlegen zu
können. Der italienische Jmperalismus, der ja zweifellos eine der Haupttrieb¬
federn für das Kriegsunternehmen war, strebt weiter und höher hinauf. Ein
großes Kolonialgebiet nach der Zertrümmerung des türkischen Reiches ist das,
was den Patrioten als beglückender Preis für alle jetzigen Entbehrungen vor
Augen gezaubert wird. Während Tripolis noch nicht einmal pazifiziert, viel
weniger kolonisiert ist und beträchtlich auf den Staatssäckel drückt, drängen
schon wieder neue Kolonialträume nach Verwirklichung. In einem Aufsatz mit
dem Titel "Die Eroberung der Märkte" nimmt das Giornale d'Italia (31. Juli)
Zu den Aussichten für die Zukunft Stellung: Das Kriegsziel dürfe nicht nur die
Befreiung der Jrredenta und die Oberherrschaft in der Adria sein. Kann es
im Interesse Italiens liegen, daß, während es früher in Abhängigkeit von den
Zentralmächten stand, sich nun England und Frankreich an die Stelle Deutsch¬
lands setzen? Ein versteckter Hinweis auf das, was für diese beiden Länder bei
einem Glucken der von ihnen gegen die deutsche Einflußsphäre, die Türkei,
unternommenen Aktion zu erwarten steht. Italien braucht als Absatzgebiet ein
Kolonialland, dazu muß ihm die Entente verhelfen. Beileibe keine wirklichen
Eroberungen, nur Jnteressenzonen, die seiner Wirtschaft und seinen Finanzen
"me Stütze gewähren sollen. Das legt aber die Verpflichtung auf, ^an der
Niederwerfung der Türkei mitzuwirken. Auf jeden Fall müsse Italien ver¬
meiden, am Ende des Krieges ganz in Abhängigkeit von fremdem Kapital
Zu stehen.

Das fremde Kapital, an das gedacht wird, kann natürlich nur das englische
für. Nachdem sich die innere Anleihe als gänzlich unzureichendes Mittel
erwiesen hat. wird man sich genötigt sehen, den Krieg durch das Ausland
finanzieren zu lassen. Darauf suchte die Idea nazionale schon in einem Leit-
artikel vom 29. Juli die Aufmerksamkeit zu lenken. Sie machte dafür auch
geltend. Italien dürfe nicht alle feine im Innern verfügbaren Kapitalien
erschöpfen, damit es nach dem Friedensschluß Mittel genug übrig hätte, um
seinen Wirtschaftsbetrieb in vollem Umfang aufnehmen zu können. Die ver¬
bündeten Nationen seien verpflichtet, Italien darin zu unterstützen, da sein Ein-


Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

und verleumdet. „Wir bekämpfen gemeinsam", heißt es darin, „einen Feind,
der systematisch Methoden der Grausamkeit gegen Nichtkämpfer anwendet mit
Prozeduren, die bis dahin in der modernen Geschichte unbekannt waren".
Man hat es auch verstanden, den Italienern in diesem unverfänglichen Schriftstück
mit harmloser Anerkennung ihr ideales Kriegsziel vorzuhalten, indem man sagt:
„Das italienische Volk steht im Kriege, um seine Brüder von einer alten Unter-
drückung zu befreien und um von ganz Europa die Drohung einer neuen
Militärherrschaft zu nehmen".

In gewissen Kreisen des italienischen Volkes ist man aber schon längst
nicht mehr mit diesem begrenzten Kriegsziel zufrieden; und ebenso weiß man in
England, daß deren Begehrlichkeit durch andere Aussichten gereizt und in Atem
gehalten werden müsse, um dem Lande die höchste Anspannung auferlegen zu
können. Der italienische Jmperalismus, der ja zweifellos eine der Haupttrieb¬
federn für das Kriegsunternehmen war, strebt weiter und höher hinauf. Ein
großes Kolonialgebiet nach der Zertrümmerung des türkischen Reiches ist das,
was den Patrioten als beglückender Preis für alle jetzigen Entbehrungen vor
Augen gezaubert wird. Während Tripolis noch nicht einmal pazifiziert, viel
weniger kolonisiert ist und beträchtlich auf den Staatssäckel drückt, drängen
schon wieder neue Kolonialträume nach Verwirklichung. In einem Aufsatz mit
dem Titel „Die Eroberung der Märkte" nimmt das Giornale d'Italia (31. Juli)
Zu den Aussichten für die Zukunft Stellung: Das Kriegsziel dürfe nicht nur die
Befreiung der Jrredenta und die Oberherrschaft in der Adria sein. Kann es
im Interesse Italiens liegen, daß, während es früher in Abhängigkeit von den
Zentralmächten stand, sich nun England und Frankreich an die Stelle Deutsch¬
lands setzen? Ein versteckter Hinweis auf das, was für diese beiden Länder bei
einem Glucken der von ihnen gegen die deutsche Einflußsphäre, die Türkei,
unternommenen Aktion zu erwarten steht. Italien braucht als Absatzgebiet ein
Kolonialland, dazu muß ihm die Entente verhelfen. Beileibe keine wirklichen
Eroberungen, nur Jnteressenzonen, die seiner Wirtschaft und seinen Finanzen
«me Stütze gewähren sollen. Das legt aber die Verpflichtung auf, ^an der
Niederwerfung der Türkei mitzuwirken. Auf jeden Fall müsse Italien ver¬
meiden, am Ende des Krieges ganz in Abhängigkeit von fremdem Kapital
Zu stehen.

Das fremde Kapital, an das gedacht wird, kann natürlich nur das englische
für. Nachdem sich die innere Anleihe als gänzlich unzureichendes Mittel
erwiesen hat. wird man sich genötigt sehen, den Krieg durch das Ausland
finanzieren zu lassen. Darauf suchte die Idea nazionale schon in einem Leit-
artikel vom 29. Juli die Aufmerksamkeit zu lenken. Sie machte dafür auch
geltend. Italien dürfe nicht alle feine im Innern verfügbaren Kapitalien
erschöpfen, damit es nach dem Friedensschluß Mittel genug übrig hätte, um
seinen Wirtschaftsbetrieb in vollem Umfang aufnehmen zu können. Die ver¬
bündeten Nationen seien verpflichtet, Italien darin zu unterstützen, da sein Ein-


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[0321] Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei und verleumdet. „Wir bekämpfen gemeinsam", heißt es darin, „einen Feind, der systematisch Methoden der Grausamkeit gegen Nichtkämpfer anwendet mit Prozeduren, die bis dahin in der modernen Geschichte unbekannt waren". Man hat es auch verstanden, den Italienern in diesem unverfänglichen Schriftstück mit harmloser Anerkennung ihr ideales Kriegsziel vorzuhalten, indem man sagt: „Das italienische Volk steht im Kriege, um seine Brüder von einer alten Unter- drückung zu befreien und um von ganz Europa die Drohung einer neuen Militärherrschaft zu nehmen". In gewissen Kreisen des italienischen Volkes ist man aber schon längst nicht mehr mit diesem begrenzten Kriegsziel zufrieden; und ebenso weiß man in England, daß deren Begehrlichkeit durch andere Aussichten gereizt und in Atem gehalten werden müsse, um dem Lande die höchste Anspannung auferlegen zu können. Der italienische Jmperalismus, der ja zweifellos eine der Haupttrieb¬ federn für das Kriegsunternehmen war, strebt weiter und höher hinauf. Ein großes Kolonialgebiet nach der Zertrümmerung des türkischen Reiches ist das, was den Patrioten als beglückender Preis für alle jetzigen Entbehrungen vor Augen gezaubert wird. Während Tripolis noch nicht einmal pazifiziert, viel weniger kolonisiert ist und beträchtlich auf den Staatssäckel drückt, drängen schon wieder neue Kolonialträume nach Verwirklichung. In einem Aufsatz mit dem Titel „Die Eroberung der Märkte" nimmt das Giornale d'Italia (31. Juli) Zu den Aussichten für die Zukunft Stellung: Das Kriegsziel dürfe nicht nur die Befreiung der Jrredenta und die Oberherrschaft in der Adria sein. Kann es im Interesse Italiens liegen, daß, während es früher in Abhängigkeit von den Zentralmächten stand, sich nun England und Frankreich an die Stelle Deutsch¬ lands setzen? Ein versteckter Hinweis auf das, was für diese beiden Länder bei einem Glucken der von ihnen gegen die deutsche Einflußsphäre, die Türkei, unternommenen Aktion zu erwarten steht. Italien braucht als Absatzgebiet ein Kolonialland, dazu muß ihm die Entente verhelfen. Beileibe keine wirklichen Eroberungen, nur Jnteressenzonen, die seiner Wirtschaft und seinen Finanzen «me Stütze gewähren sollen. Das legt aber die Verpflichtung auf, ^an der Niederwerfung der Türkei mitzuwirken. Auf jeden Fall müsse Italien ver¬ meiden, am Ende des Krieges ganz in Abhängigkeit von fremdem Kapital Zu stehen. Das fremde Kapital, an das gedacht wird, kann natürlich nur das englische für. Nachdem sich die innere Anleihe als gänzlich unzureichendes Mittel erwiesen hat. wird man sich genötigt sehen, den Krieg durch das Ausland finanzieren zu lassen. Darauf suchte die Idea nazionale schon in einem Leit- artikel vom 29. Juli die Aufmerksamkeit zu lenken. Sie machte dafür auch geltend. Italien dürfe nicht alle feine im Innern verfügbaren Kapitalien erschöpfen, damit es nach dem Friedensschluß Mittel genug übrig hätte, um seinen Wirtschaftsbetrieb in vollem Umfang aufnehmen zu können. Die ver¬ bündeten Nationen seien verpflichtet, Italien darin zu unterstützen, da sein Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/321>, abgerufen am 23.07.2024.