Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rrieg und Religion

Dokumente von historischem Wert darunter: Dryanders Predigt am 4. August
zur Eröffnung des Reichstags, Doehrings Wort am Bismarckdenkmal vom
2. August. Es sei hingewiesen auf die Predigten, die Goens im deutschen
Hauptquartier gehalten hat ("Gott mit uns." Verlag Mittler u. Sohn in Berlin.
Preis 25 Pfennig); es sind Reden voll frischer Soldatensprache und großer
Schlichtheit, für den Historiker auch wichtig, weil der Kaiser an ihnen
gerade Erbauung findet. Ich hebe ferner die "Kriegspredigten" des Pfarrers
Karl König in Bremen hervor (bisher vier Hefte. Verlag von Diederichs in
Jena. Preis je 1 Mary. Es sind Reden von wunderbarer, sprachlicher
Gewalt, die fortreißen in ihrer Begeisterung und deren Bilder prophetische Kraft
in sich tragen. Diese Predigten bilden das Extrem der Reden, die vom Her¬
kömmlichen am meisten abweichen und die stärkste politische Note haben. Der
süddeutsche bayerische Katholizismus hat bedeutsame Reden vorgelegt, die ge¬
wertet werden können als ein bleibendes Denkmal für die Gleichartigkeit
religiöser Empfindungen in beiden Kirchen, zum Beispiel Gg. Stipberger, "Vater
ich rufe Dicht" (Verlag der Kunstanstalten Josef Müller in München) und
Anton Worlitscheck "Krieg und Evangelium" (bisher zwei Hefte. Verlag von
Herder in Freiburg).

Zwei Männer verdienen noch Beachtung, die als Wecker religiösen Lebens
unter den Gebildeten gelten dürfen. Joh. Müller und Heinrich Lhotzky. Joh.
Müller legt "Reden" über den Krieg vor (Heft 2: "Der Krieg als Not und
Aufschwung"; Heft 3: "Der Krieg als Gericht und Aufgabe"; Heft 4: "Der Tod
fürs Vaterland und die Hinterbliebenen". Verlag von Beck in München. Preis
50 Pfennig.) Von dem Gedanken ist er durchdrungen, daß die Partei schließlich
siegen wird, die sich durch ihr Vorleben im Menschlichen verhältnismäßig gesund
erhalten hat und durch das Erlebnis des Krieges darin noch wiederhergestellt,
gefestigt und erstarkt ist. Auf innere Wiedergeburt, auf Überwindung des
Materialismus zielen seine Reden ab. In den "Kriegsheften der Grünen
Blätter" pflegt Joh. Müller für den Kreis seiner näheren Freunde mit geist¬
voller, scharfen Kritik die Frömmigkeitserscheinungen der Gegenwart zu begleiten.
Heinrich Lhotzkys Buch "Glaube des Tapferen" (Verlag von Engelhorn in
Stuttgart. Preis 2 Mary ist eine Gabe an seine vier Söhne im Felde,
und dieses vielfache Verwachsensein mit der ganzen Schwere des Krieges hat
ihn vor anderen fähig gemacht, ein so männlich frommes Buch unserer gebildeten
akademischen Jugend zu schenken.

Ein religiöses Zeugnis der jüdischen Kreise sind die "Vaterländischen
Reden" des Rabbiners Dr. C. Seligmann (Verlag von Voigt und Gleiber in
Frankfurt am Main. Preis 50 Pfennig). Der Glaube an das gerechte
Walten Gottes in der Geschichte und die Betonung der Liebe, die mitten im
Kriege walten muß. stehen ihm im Vordergrund. Auffallend ist. daß der
Aufruf zur inneren Wiedergeburt des einzelnen fehlt, der geradezu grundlegend
für alle christlichen Kriegspredigten ist.


Rrieg und Religion

Dokumente von historischem Wert darunter: Dryanders Predigt am 4. August
zur Eröffnung des Reichstags, Doehrings Wort am Bismarckdenkmal vom
2. August. Es sei hingewiesen auf die Predigten, die Goens im deutschen
Hauptquartier gehalten hat („Gott mit uns." Verlag Mittler u. Sohn in Berlin.
Preis 25 Pfennig); es sind Reden voll frischer Soldatensprache und großer
Schlichtheit, für den Historiker auch wichtig, weil der Kaiser an ihnen
gerade Erbauung findet. Ich hebe ferner die „Kriegspredigten" des Pfarrers
Karl König in Bremen hervor (bisher vier Hefte. Verlag von Diederichs in
Jena. Preis je 1 Mary. Es sind Reden von wunderbarer, sprachlicher
Gewalt, die fortreißen in ihrer Begeisterung und deren Bilder prophetische Kraft
in sich tragen. Diese Predigten bilden das Extrem der Reden, die vom Her¬
kömmlichen am meisten abweichen und die stärkste politische Note haben. Der
süddeutsche bayerische Katholizismus hat bedeutsame Reden vorgelegt, die ge¬
wertet werden können als ein bleibendes Denkmal für die Gleichartigkeit
religiöser Empfindungen in beiden Kirchen, zum Beispiel Gg. Stipberger, „Vater
ich rufe Dicht" (Verlag der Kunstanstalten Josef Müller in München) und
Anton Worlitscheck „Krieg und Evangelium" (bisher zwei Hefte. Verlag von
Herder in Freiburg).

Zwei Männer verdienen noch Beachtung, die als Wecker religiösen Lebens
unter den Gebildeten gelten dürfen. Joh. Müller und Heinrich Lhotzky. Joh.
Müller legt „Reden" über den Krieg vor (Heft 2: „Der Krieg als Not und
Aufschwung"; Heft 3: „Der Krieg als Gericht und Aufgabe"; Heft 4: „Der Tod
fürs Vaterland und die Hinterbliebenen". Verlag von Beck in München. Preis
50 Pfennig.) Von dem Gedanken ist er durchdrungen, daß die Partei schließlich
siegen wird, die sich durch ihr Vorleben im Menschlichen verhältnismäßig gesund
erhalten hat und durch das Erlebnis des Krieges darin noch wiederhergestellt,
gefestigt und erstarkt ist. Auf innere Wiedergeburt, auf Überwindung des
Materialismus zielen seine Reden ab. In den „Kriegsheften der Grünen
Blätter" pflegt Joh. Müller für den Kreis seiner näheren Freunde mit geist¬
voller, scharfen Kritik die Frömmigkeitserscheinungen der Gegenwart zu begleiten.
Heinrich Lhotzkys Buch „Glaube des Tapferen" (Verlag von Engelhorn in
Stuttgart. Preis 2 Mary ist eine Gabe an seine vier Söhne im Felde,
und dieses vielfache Verwachsensein mit der ganzen Schwere des Krieges hat
ihn vor anderen fähig gemacht, ein so männlich frommes Buch unserer gebildeten
akademischen Jugend zu schenken.

Ein religiöses Zeugnis der jüdischen Kreise sind die „Vaterländischen
Reden" des Rabbiners Dr. C. Seligmann (Verlag von Voigt und Gleiber in
Frankfurt am Main. Preis 50 Pfennig). Der Glaube an das gerechte
Walten Gottes in der Geschichte und die Betonung der Liebe, die mitten im
Kriege walten muß. stehen ihm im Vordergrund. Auffallend ist. daß der
Aufruf zur inneren Wiedergeburt des einzelnen fehlt, der geradezu grundlegend
für alle christlichen Kriegspredigten ist.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324200"/>
          <fw type="header" place="top"> Rrieg und Religion</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_670" prev="#ID_669"> Dokumente von historischem Wert darunter: Dryanders Predigt am 4. August<lb/>
zur Eröffnung des Reichstags, Doehrings Wort am Bismarckdenkmal vom<lb/>
2. August. Es sei hingewiesen auf die Predigten, die Goens im deutschen<lb/>
Hauptquartier gehalten hat (&#x201E;Gott mit uns." Verlag Mittler u. Sohn in Berlin.<lb/>
Preis 25 Pfennig); es sind Reden voll frischer Soldatensprache und großer<lb/>
Schlichtheit, für den Historiker auch wichtig, weil der Kaiser an ihnen<lb/>
gerade Erbauung findet. Ich hebe ferner die &#x201E;Kriegspredigten" des Pfarrers<lb/>
Karl König in Bremen hervor (bisher vier Hefte. Verlag von Diederichs in<lb/>
Jena. Preis je 1 Mary. Es sind Reden von wunderbarer, sprachlicher<lb/>
Gewalt, die fortreißen in ihrer Begeisterung und deren Bilder prophetische Kraft<lb/>
in sich tragen. Diese Predigten bilden das Extrem der Reden, die vom Her¬<lb/>
kömmlichen am meisten abweichen und die stärkste politische Note haben. Der<lb/>
süddeutsche bayerische Katholizismus hat bedeutsame Reden vorgelegt, die ge¬<lb/>
wertet werden können als ein bleibendes Denkmal für die Gleichartigkeit<lb/>
religiöser Empfindungen in beiden Kirchen, zum Beispiel Gg. Stipberger, &#x201E;Vater<lb/>
ich rufe Dicht" (Verlag der Kunstanstalten Josef Müller in München) und<lb/>
Anton Worlitscheck &#x201E;Krieg und Evangelium" (bisher zwei Hefte. Verlag von<lb/>
Herder in Freiburg).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_671"> Zwei Männer verdienen noch Beachtung, die als Wecker religiösen Lebens<lb/>
unter den Gebildeten gelten dürfen. Joh. Müller und Heinrich Lhotzky. Joh.<lb/>
Müller legt &#x201E;Reden" über den Krieg vor (Heft 2: &#x201E;Der Krieg als Not und<lb/>
Aufschwung"; Heft 3: &#x201E;Der Krieg als Gericht und Aufgabe"; Heft 4: &#x201E;Der Tod<lb/>
fürs Vaterland und die Hinterbliebenen". Verlag von Beck in München. Preis<lb/>
50 Pfennig.) Von dem Gedanken ist er durchdrungen, daß die Partei schließlich<lb/>
siegen wird, die sich durch ihr Vorleben im Menschlichen verhältnismäßig gesund<lb/>
erhalten hat und durch das Erlebnis des Krieges darin noch wiederhergestellt,<lb/>
gefestigt und erstarkt ist. Auf innere Wiedergeburt, auf Überwindung des<lb/>
Materialismus zielen seine Reden ab. In den &#x201E;Kriegsheften der Grünen<lb/>
Blätter" pflegt Joh. Müller für den Kreis seiner näheren Freunde mit geist¬<lb/>
voller, scharfen Kritik die Frömmigkeitserscheinungen der Gegenwart zu begleiten.<lb/>
Heinrich Lhotzkys Buch &#x201E;Glaube des Tapferen" (Verlag von Engelhorn in<lb/>
Stuttgart. Preis 2 Mary ist eine Gabe an seine vier Söhne im Felde,<lb/>
und dieses vielfache Verwachsensein mit der ganzen Schwere des Krieges hat<lb/>
ihn vor anderen fähig gemacht, ein so männlich frommes Buch unserer gebildeten<lb/>
akademischen Jugend zu schenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_672"> Ein religiöses Zeugnis der jüdischen Kreise sind die &#x201E;Vaterländischen<lb/>
Reden" des Rabbiners Dr. C. Seligmann (Verlag von Voigt und Gleiber in<lb/>
Frankfurt am Main. Preis 50 Pfennig). Der Glaube an das gerechte<lb/>
Walten Gottes in der Geschichte und die Betonung der Liebe, die mitten im<lb/>
Kriege walten muß. stehen ihm im Vordergrund. Auffallend ist. daß der<lb/>
Aufruf zur inneren Wiedergeburt des einzelnen fehlt, der geradezu grundlegend<lb/>
für alle christlichen Kriegspredigten ist.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0227] Rrieg und Religion Dokumente von historischem Wert darunter: Dryanders Predigt am 4. August zur Eröffnung des Reichstags, Doehrings Wort am Bismarckdenkmal vom 2. August. Es sei hingewiesen auf die Predigten, die Goens im deutschen Hauptquartier gehalten hat („Gott mit uns." Verlag Mittler u. Sohn in Berlin. Preis 25 Pfennig); es sind Reden voll frischer Soldatensprache und großer Schlichtheit, für den Historiker auch wichtig, weil der Kaiser an ihnen gerade Erbauung findet. Ich hebe ferner die „Kriegspredigten" des Pfarrers Karl König in Bremen hervor (bisher vier Hefte. Verlag von Diederichs in Jena. Preis je 1 Mary. Es sind Reden von wunderbarer, sprachlicher Gewalt, die fortreißen in ihrer Begeisterung und deren Bilder prophetische Kraft in sich tragen. Diese Predigten bilden das Extrem der Reden, die vom Her¬ kömmlichen am meisten abweichen und die stärkste politische Note haben. Der süddeutsche bayerische Katholizismus hat bedeutsame Reden vorgelegt, die ge¬ wertet werden können als ein bleibendes Denkmal für die Gleichartigkeit religiöser Empfindungen in beiden Kirchen, zum Beispiel Gg. Stipberger, „Vater ich rufe Dicht" (Verlag der Kunstanstalten Josef Müller in München) und Anton Worlitscheck „Krieg und Evangelium" (bisher zwei Hefte. Verlag von Herder in Freiburg). Zwei Männer verdienen noch Beachtung, die als Wecker religiösen Lebens unter den Gebildeten gelten dürfen. Joh. Müller und Heinrich Lhotzky. Joh. Müller legt „Reden" über den Krieg vor (Heft 2: „Der Krieg als Not und Aufschwung"; Heft 3: „Der Krieg als Gericht und Aufgabe"; Heft 4: „Der Tod fürs Vaterland und die Hinterbliebenen". Verlag von Beck in München. Preis 50 Pfennig.) Von dem Gedanken ist er durchdrungen, daß die Partei schließlich siegen wird, die sich durch ihr Vorleben im Menschlichen verhältnismäßig gesund erhalten hat und durch das Erlebnis des Krieges darin noch wiederhergestellt, gefestigt und erstarkt ist. Auf innere Wiedergeburt, auf Überwindung des Materialismus zielen seine Reden ab. In den „Kriegsheften der Grünen Blätter" pflegt Joh. Müller für den Kreis seiner näheren Freunde mit geist¬ voller, scharfen Kritik die Frömmigkeitserscheinungen der Gegenwart zu begleiten. Heinrich Lhotzkys Buch „Glaube des Tapferen" (Verlag von Engelhorn in Stuttgart. Preis 2 Mary ist eine Gabe an seine vier Söhne im Felde, und dieses vielfache Verwachsensein mit der ganzen Schwere des Krieges hat ihn vor anderen fähig gemacht, ein so männlich frommes Buch unserer gebildeten akademischen Jugend zu schenken. Ein religiöses Zeugnis der jüdischen Kreise sind die „Vaterländischen Reden" des Rabbiners Dr. C. Seligmann (Verlag von Voigt und Gleiber in Frankfurt am Main. Preis 50 Pfennig). Der Glaube an das gerechte Walten Gottes in der Geschichte und die Betonung der Liebe, die mitten im Kriege walten muß. stehen ihm im Vordergrund. Auffallend ist. daß der Aufruf zur inneren Wiedergeburt des einzelnen fehlt, der geradezu grundlegend für alle christlichen Kriegspredigten ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/227
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/227>, abgerufen am 23.07.2024.