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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Krieg und Religion

wird deswegen dauernden Segen bringen. Ist es auch richtig, daß Tausende
in ihren Gebeten nur dachten an die Bewahrung ihrer eigenen Angehörigen,
mag das Bedürfnis, "gedruckte Ergüsse nachzuempfinden", von der Unfähigkeit
Zeugnis ablegen, selbst zu empfinden, so ist doch die Frömmigkeitsbewegung
jener Tage das Größte, was der religiöse Mensch unserer Tage bisher erlebt
hat. Und wenn ein Volk in seiner Masse in den Tagen des Friedens bisher
die Pflege der Seele zu sehr vernachlässigt hat. kann dann erwartet werden, daß
bei jedem einzelnen die religiösen Äußerungen sofort auf der sittlichen Höhe Christi
stehen? Es ist darum methodisch falsch, wenn Joh. Müller im zweiten Kriegs-
heft der "Grünen Blätter" (Verlag in Schloß Mainberg, Einzelheft 1 Mark)
bei Beurteilung der religiösen Bewegung von dem Unterchristlichen, das hervor¬
getreten ist, ausgeht. Gott ist erlebt worden, -- oft wohl in kindlich naiver
Form, die der Läuterung bedarf. Aber wo wirkliches religiöses Erleben und
Fühlen vorliegt, da ist es beinah ein Unrecht und Sünde, an dem segensreichen
Fortwirken solcher großen Augenblicke zu zweifeln. Und wenn die Kirchen jetzt
nicht nichr die Überfülle jener großen Tage zeigen, so ist es nur der Klein-
glaube der Pastoren, aus diese Tatsache auf ein "Abflauen" der Frömmigkeit
ZU schließen.

Die religiöse Stimmung jener Tage ist bisher noch nicht von irgendeinem
Theologen im Zusammenhang geschildert und dargestellt worden. Auch ist heute
noch keiner imstande dazu. Denn will man ein wirklich lebenswahres Bild zeichnen,
so muß das Eigentümliche. Verschiedenartige der religiösen Empfindungen deutlich
hervortreten. Die Religion muß in Zusammenhang stehen mit dem Untergrund
des Einzellebens. Achten wir zwar jetzt im Kriege mehr auf den Gesamt¬
charakter des Deutschtums, auf das Gemeinsame der einzelnen Stämme, so gilt
es doch in der Religion, die auch im Kriege immer etwas ganz persönliches
bleibt, auf das besondere und eigentümliche zu achten. So müssen Einzel¬
schilderungen uns gegeben werden aus Stadt und Land, aus den Kreisen der
organisierten Arbeiter und der studentischen Jugend, aus dem katholischen
Bayern und dem protestantischen Norden. Das Heft von Joh. Jeremias (Frömmig¬
keit im Kriege. Verlag von Schloeßmann in Leipzig. Preis 80 Pfennig) schien
wir durch seinen Untertitel "Beobachtungen aus einer Jndustriegemeinde" ein
Beispiel religiöser lokaler Volkskunde zu werden. Aber der Untertitel paßt nur
für wenige Seiten. Die religiöse Volkskunde war bisher ein Stiefkind der
Theologen. So unerhört und beschämend für die evangelische Kirche dieses ist
^ bei den Katholiken ist es ein wenig besser --, so ist es doch nicht ver-
wunderlich; es gab zu wenig große, erlebte Religion im Volk. Die großen
Erlebnisse der Gegenwart werden ihre Darsteller finden.

Bei aller Verschiedenartigkeit der Menschen und der Stämme der deutschen
Lande, bei allem verschiedenartigen Empfinden drängen sich gleiche religiöse
Gedanken als herrschend so sehr hervor, daß die Unterschiede der Konfessionen
ganz verschwinden. Und es gilt dies auch von den kirchlichen Äußerungen,


Krieg und Religion

wird deswegen dauernden Segen bringen. Ist es auch richtig, daß Tausende
in ihren Gebeten nur dachten an die Bewahrung ihrer eigenen Angehörigen,
mag das Bedürfnis, „gedruckte Ergüsse nachzuempfinden", von der Unfähigkeit
Zeugnis ablegen, selbst zu empfinden, so ist doch die Frömmigkeitsbewegung
jener Tage das Größte, was der religiöse Mensch unserer Tage bisher erlebt
hat. Und wenn ein Volk in seiner Masse in den Tagen des Friedens bisher
die Pflege der Seele zu sehr vernachlässigt hat. kann dann erwartet werden, daß
bei jedem einzelnen die religiösen Äußerungen sofort auf der sittlichen Höhe Christi
stehen? Es ist darum methodisch falsch, wenn Joh. Müller im zweiten Kriegs-
heft der „Grünen Blätter" (Verlag in Schloß Mainberg, Einzelheft 1 Mark)
bei Beurteilung der religiösen Bewegung von dem Unterchristlichen, das hervor¬
getreten ist, ausgeht. Gott ist erlebt worden, — oft wohl in kindlich naiver
Form, die der Läuterung bedarf. Aber wo wirkliches religiöses Erleben und
Fühlen vorliegt, da ist es beinah ein Unrecht und Sünde, an dem segensreichen
Fortwirken solcher großen Augenblicke zu zweifeln. Und wenn die Kirchen jetzt
nicht nichr die Überfülle jener großen Tage zeigen, so ist es nur der Klein-
glaube der Pastoren, aus diese Tatsache auf ein „Abflauen" der Frömmigkeit
ZU schließen.

Die religiöse Stimmung jener Tage ist bisher noch nicht von irgendeinem
Theologen im Zusammenhang geschildert und dargestellt worden. Auch ist heute
noch keiner imstande dazu. Denn will man ein wirklich lebenswahres Bild zeichnen,
so muß das Eigentümliche. Verschiedenartige der religiösen Empfindungen deutlich
hervortreten. Die Religion muß in Zusammenhang stehen mit dem Untergrund
des Einzellebens. Achten wir zwar jetzt im Kriege mehr auf den Gesamt¬
charakter des Deutschtums, auf das Gemeinsame der einzelnen Stämme, so gilt
es doch in der Religion, die auch im Kriege immer etwas ganz persönliches
bleibt, auf das besondere und eigentümliche zu achten. So müssen Einzel¬
schilderungen uns gegeben werden aus Stadt und Land, aus den Kreisen der
organisierten Arbeiter und der studentischen Jugend, aus dem katholischen
Bayern und dem protestantischen Norden. Das Heft von Joh. Jeremias (Frömmig¬
keit im Kriege. Verlag von Schloeßmann in Leipzig. Preis 80 Pfennig) schien
wir durch seinen Untertitel „Beobachtungen aus einer Jndustriegemeinde" ein
Beispiel religiöser lokaler Volkskunde zu werden. Aber der Untertitel paßt nur
für wenige Seiten. Die religiöse Volkskunde war bisher ein Stiefkind der
Theologen. So unerhört und beschämend für die evangelische Kirche dieses ist
^ bei den Katholiken ist es ein wenig besser —, so ist es doch nicht ver-
wunderlich; es gab zu wenig große, erlebte Religion im Volk. Die großen
Erlebnisse der Gegenwart werden ihre Darsteller finden.

Bei aller Verschiedenartigkeit der Menschen und der Stämme der deutschen
Lande, bei allem verschiedenartigen Empfinden drängen sich gleiche religiöse
Gedanken als herrschend so sehr hervor, daß die Unterschiede der Konfessionen
ganz verschwinden. Und es gilt dies auch von den kirchlichen Äußerungen,


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[0225] Krieg und Religion wird deswegen dauernden Segen bringen. Ist es auch richtig, daß Tausende in ihren Gebeten nur dachten an die Bewahrung ihrer eigenen Angehörigen, mag das Bedürfnis, „gedruckte Ergüsse nachzuempfinden", von der Unfähigkeit Zeugnis ablegen, selbst zu empfinden, so ist doch die Frömmigkeitsbewegung jener Tage das Größte, was der religiöse Mensch unserer Tage bisher erlebt hat. Und wenn ein Volk in seiner Masse in den Tagen des Friedens bisher die Pflege der Seele zu sehr vernachlässigt hat. kann dann erwartet werden, daß bei jedem einzelnen die religiösen Äußerungen sofort auf der sittlichen Höhe Christi stehen? Es ist darum methodisch falsch, wenn Joh. Müller im zweiten Kriegs- heft der „Grünen Blätter" (Verlag in Schloß Mainberg, Einzelheft 1 Mark) bei Beurteilung der religiösen Bewegung von dem Unterchristlichen, das hervor¬ getreten ist, ausgeht. Gott ist erlebt worden, — oft wohl in kindlich naiver Form, die der Läuterung bedarf. Aber wo wirkliches religiöses Erleben und Fühlen vorliegt, da ist es beinah ein Unrecht und Sünde, an dem segensreichen Fortwirken solcher großen Augenblicke zu zweifeln. Und wenn die Kirchen jetzt nicht nichr die Überfülle jener großen Tage zeigen, so ist es nur der Klein- glaube der Pastoren, aus diese Tatsache auf ein „Abflauen" der Frömmigkeit ZU schließen. Die religiöse Stimmung jener Tage ist bisher noch nicht von irgendeinem Theologen im Zusammenhang geschildert und dargestellt worden. Auch ist heute noch keiner imstande dazu. Denn will man ein wirklich lebenswahres Bild zeichnen, so muß das Eigentümliche. Verschiedenartige der religiösen Empfindungen deutlich hervortreten. Die Religion muß in Zusammenhang stehen mit dem Untergrund des Einzellebens. Achten wir zwar jetzt im Kriege mehr auf den Gesamt¬ charakter des Deutschtums, auf das Gemeinsame der einzelnen Stämme, so gilt es doch in der Religion, die auch im Kriege immer etwas ganz persönliches bleibt, auf das besondere und eigentümliche zu achten. So müssen Einzel¬ schilderungen uns gegeben werden aus Stadt und Land, aus den Kreisen der organisierten Arbeiter und der studentischen Jugend, aus dem katholischen Bayern und dem protestantischen Norden. Das Heft von Joh. Jeremias (Frömmig¬ keit im Kriege. Verlag von Schloeßmann in Leipzig. Preis 80 Pfennig) schien wir durch seinen Untertitel „Beobachtungen aus einer Jndustriegemeinde" ein Beispiel religiöser lokaler Volkskunde zu werden. Aber der Untertitel paßt nur für wenige Seiten. Die religiöse Volkskunde war bisher ein Stiefkind der Theologen. So unerhört und beschämend für die evangelische Kirche dieses ist ^ bei den Katholiken ist es ein wenig besser —, so ist es doch nicht ver- wunderlich; es gab zu wenig große, erlebte Religion im Volk. Die großen Erlebnisse der Gegenwart werden ihre Darsteller finden. Bei aller Verschiedenartigkeit der Menschen und der Stämme der deutschen Lande, bei allem verschiedenartigen Empfinden drängen sich gleiche religiöse Gedanken als herrschend so sehr hervor, daß die Unterschiede der Konfessionen ganz verschwinden. Und es gilt dies auch von den kirchlichen Äußerungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/225>, abgerufen am 22.07.2024.