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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

von sich selbst und ihrem Allerweltsschiedsrichtetberuf eintrat, die mit der von
den übrigen Völkern gegen sie gehegten Gesinnung mehrfach scharf kontrastierte.
Hatte doch die beständige Unruhe, welche Frankreich seit achtzig Jahren dazu
trieb, von einer Revolution in die andere zu taumeln, eine Regierung nach
der anderen zu stürzen, es am Ende nicht nur bei denjenigen Ländern, welche
für ihr eigenes Staatsleben der Ruhe bedurften, in Mißkredit gebracht.

' Nach diesen Feststellungen -- der politischen Unbeständigkeit, der schranken¬
losen Eitelkeit und der daraus erwachsenden Isolierung -- kommt Gobineau
wieder auf die Zentralisation zurück, für welche man fälschlich öfter den Adel
habe verantwortlich machen wollen, während sie in Wahrheit viel eher auf die
Bourgeoisie zurückzuführen sei, die weit früher, als man gewöhnlich annehme,
in Frankreich eilte Rolle gespielt und zu deren engen und kurzsichtigen Gesichts¬
punkten das bequeme Ideal einer allseitigen und allgewaltigen Verwaltungs-
tnaschinerie vortrefflich gepaßt habe. Gobineau ist übrigens weit entfernt, an
diesem Schauspiel nur die schlimmen Seiten zu sehen.: er erkennt ausdrücklich
an. daß ihm die Größe nicht fehle und daß es "die volle Schönheit aller
konsequenten und notwendigen Werke" besitze. Ein politischer Gedanke kann
großartig sein, ohne darum absolut wahr und unbestreitbar nützlich zu sein.
In jedem Falle ist die franzöftsche Zentralverwaltung dem eigensten Wesen des
Franzosen entsprechend^ dem innersten Geiste seiner Rasse entwachsen. Von
Abt Suger bis auf Louvöis, von Louvois bis auf Robespierre, von Robespierre
bis auf die Heutigen hat ein Geist alle leitenden Franzosen beseelt. Wo
immerfort nur einem Pole zugestrebt wird, kann man fast von einem ethnischen
Verhängnis (kawlitö etknique) reden, dem ein Staat am Ende unterliegen
Muß, in welchem alles, selbst die Religion, administrativ geworden ist.

Das überwuchernde Beamtentum, das einen solchen Staat vornehmlich
charakterisiert und vertritt, ist zugleich alles und nichts, eine anonyme, unver¬
antwortliche Kraft ohne eigenes Dasein, abwechselnd königlich, kaiserlich, national,
ohne innere Beziehung zur jedesmaligen Regierung. Diese ist vorübergehend,
die Verwaltung bleibt, sie ist der Staat.

Nach einem unerbittlichen Naturgesetz verfällt eine jede Macht der Welt
von dem Augenblicke an der Entwerwng, da sie keinen Widerstand mehr findet.
So ist es auch der französischen Verwaltung ergangen. Nachdem sie in ihren
guten Zeiten Außerordentliches geleistet (was Gobineau für die verschiedensten
materiellen wie geistigen Gebiete nochmals ausdrücklich anerkennt, wenn er auch
hinsichtlich dessen, was von den Lobrednern als Krönung des Gebäudes gefeiert
wird, nämlich Paris, seine bekannten Vorbehalte macht), schlug ihr die Stunde
in dem Augenblicke, da sie in die Hände der Unfähigkeit und des Leichtsinns
geriet, da die reine Routine an die Stelle einer intelligenten Leitung trat.

Es folgt ein vernichtendes Urteil über die Beamtenschaft des zweiten
Kaiserreichs, unter welchem Leichtfertigkeit, vollkommene Ignoranz, joviale
Phrasenmacherei die Hauptmerkmale der französischen Verwaltung nach innen


Gobineau über Deutsche und Franzosen

von sich selbst und ihrem Allerweltsschiedsrichtetberuf eintrat, die mit der von
den übrigen Völkern gegen sie gehegten Gesinnung mehrfach scharf kontrastierte.
Hatte doch die beständige Unruhe, welche Frankreich seit achtzig Jahren dazu
trieb, von einer Revolution in die andere zu taumeln, eine Regierung nach
der anderen zu stürzen, es am Ende nicht nur bei denjenigen Ländern, welche
für ihr eigenes Staatsleben der Ruhe bedurften, in Mißkredit gebracht.

' Nach diesen Feststellungen — der politischen Unbeständigkeit, der schranken¬
losen Eitelkeit und der daraus erwachsenden Isolierung — kommt Gobineau
wieder auf die Zentralisation zurück, für welche man fälschlich öfter den Adel
habe verantwortlich machen wollen, während sie in Wahrheit viel eher auf die
Bourgeoisie zurückzuführen sei, die weit früher, als man gewöhnlich annehme,
in Frankreich eilte Rolle gespielt und zu deren engen und kurzsichtigen Gesichts¬
punkten das bequeme Ideal einer allseitigen und allgewaltigen Verwaltungs-
tnaschinerie vortrefflich gepaßt habe. Gobineau ist übrigens weit entfernt, an
diesem Schauspiel nur die schlimmen Seiten zu sehen.: er erkennt ausdrücklich
an. daß ihm die Größe nicht fehle und daß es „die volle Schönheit aller
konsequenten und notwendigen Werke" besitze. Ein politischer Gedanke kann
großartig sein, ohne darum absolut wahr und unbestreitbar nützlich zu sein.
In jedem Falle ist die franzöftsche Zentralverwaltung dem eigensten Wesen des
Franzosen entsprechend^ dem innersten Geiste seiner Rasse entwachsen. Von
Abt Suger bis auf Louvöis, von Louvois bis auf Robespierre, von Robespierre
bis auf die Heutigen hat ein Geist alle leitenden Franzosen beseelt. Wo
immerfort nur einem Pole zugestrebt wird, kann man fast von einem ethnischen
Verhängnis (kawlitö etknique) reden, dem ein Staat am Ende unterliegen
Muß, in welchem alles, selbst die Religion, administrativ geworden ist.

Das überwuchernde Beamtentum, das einen solchen Staat vornehmlich
charakterisiert und vertritt, ist zugleich alles und nichts, eine anonyme, unver¬
antwortliche Kraft ohne eigenes Dasein, abwechselnd königlich, kaiserlich, national,
ohne innere Beziehung zur jedesmaligen Regierung. Diese ist vorübergehend,
die Verwaltung bleibt, sie ist der Staat.

Nach einem unerbittlichen Naturgesetz verfällt eine jede Macht der Welt
von dem Augenblicke an der Entwerwng, da sie keinen Widerstand mehr findet.
So ist es auch der französischen Verwaltung ergangen. Nachdem sie in ihren
guten Zeiten Außerordentliches geleistet (was Gobineau für die verschiedensten
materiellen wie geistigen Gebiete nochmals ausdrücklich anerkennt, wenn er auch
hinsichtlich dessen, was von den Lobrednern als Krönung des Gebäudes gefeiert
wird, nämlich Paris, seine bekannten Vorbehalte macht), schlug ihr die Stunde
in dem Augenblicke, da sie in die Hände der Unfähigkeit und des Leichtsinns
geriet, da die reine Routine an die Stelle einer intelligenten Leitung trat.

Es folgt ein vernichtendes Urteil über die Beamtenschaft des zweiten
Kaiserreichs, unter welchem Leichtfertigkeit, vollkommene Ignoranz, joviale
Phrasenmacherei die Hauptmerkmale der französischen Verwaltung nach innen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/94>, abgerufen am 22.07.2024.