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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Die Volkskirche und ihre vaterländische Sendung

ist und diese Bezeichnung dennoch als die Liebesbetätigung einer religiös sittlichen
Gesinnung verdient.

"Gebt jedes Goldstück sofort in den Verkehr oder bringt es auf die
Reichsbank, tragt keinen Putz, bezähmt eure Vergnügungssucht, meidet die
schalen Schaustellungen der Kinos, die widerwärtigen Operetten nach französischem
Rezept, die elende Theater anstatt gesunder Kost selbst in dieser bitterernsten
Zeit vorzusetzen den Mut haben, schraubt mit jedem Tage eure Ansprüche
um ein weniges herab, seid genügsam und gebt von dem, was ihr so ohne
große Mühe erspart, denen da draußen oder den Notleidenden!" das wäre
eine Behandlung der vierten Bitte: "Unser täglich Brot gib uns heute" in neuer
nationaler Bedeutung. Eine schwere, aber heilig große Zeit voller Würde und
Kraft auf sich zu nehmen, das ist das Ziel, dem wir entgegenreifen, und an
dem die Kirche in erster Reihe mitzuarbeiten berufen ist.




Und wieder gehe ich einen Schritt weiter. Soll die Kirche ihre vater¬
ländische Aufgabe erfüllen, soll sie ins Volk dringen und eine "Volkskirche"
werden, dann darf sie nicht mehr eine Kirche der Pastoren bleiben, wie sie es
leider immer noch ist.

Das ist ja der ganze Widerspruch und das Verhängnis, an dem insbesondere
die evangelische Kirche leidet: sie will eine Kirche des Volkes sein, sie proklamiert
das Priestertum aller Gläubigen, sie verwirft die ängstliche Trennung von
Klerus und Laien -- und sie bleibt doch die Kirche der Pastoren, bleibt doch
von jeder wirklichen Mitarbeit der Volkskreise weit entfernt. Sie hat ihre
Gemeindeorganisation, ihre Kirchenältesten, ihre Gemeindevertreter aus bürger¬
lichen Kreisen, beruft aus ihnen ihre Synoden: Kreis-, Provinzial- und
Generalsynode. Aber die Redenden und Handelnden sind fast immer die
Geistlichen.

Sie hat ihre Gutes wollenden Vereine: Gustav-Adolf-Verein, Evangelischer
Bund, Innere und Äußere Mission. Aber die leitenden Persönlichkeiten find
Pastoren oder Mitglieder der Konsistorien. Grundfalsch. Das gerade ist es,
was die Kirche hindert, ins Volk zu dringen. Ein mitten in der Arbeit des
Tages, mitten im Strome des Lebens stehender Mann müßte in ihnen die Führung
übernehmen, gleichviel, ob er den ersten oder den einfachen Gesellschaftskreisen
angehört -- nur nicht der Geistliche, von dem jedermann sofort die Über¬
zeugung hat. er müsse solche Arbeit "von Berufs wegen" leisten.

Jetzt ist wiederum die Zeit da. wo es einer von ihrer vaterländischen
Sendung erfüllten und diese mit allem Eifer treibenden Kirche nicht schwer
fallen sollte, solche Persönlichkeiten aus den Kreisen der "Laien" zu finden und
für ihre Aufgaben und Ziele warm zu machen.

Zielbewußte Heranziehung der Volkskreise zur Mitarbeit, rechtes Verständnis
für nationale Wirksamkeit, eine der großen Zeit angepaßte großzügige Predigt,


Die Volkskirche und ihre vaterländische Sendung

ist und diese Bezeichnung dennoch als die Liebesbetätigung einer religiös sittlichen
Gesinnung verdient.

„Gebt jedes Goldstück sofort in den Verkehr oder bringt es auf die
Reichsbank, tragt keinen Putz, bezähmt eure Vergnügungssucht, meidet die
schalen Schaustellungen der Kinos, die widerwärtigen Operetten nach französischem
Rezept, die elende Theater anstatt gesunder Kost selbst in dieser bitterernsten
Zeit vorzusetzen den Mut haben, schraubt mit jedem Tage eure Ansprüche
um ein weniges herab, seid genügsam und gebt von dem, was ihr so ohne
große Mühe erspart, denen da draußen oder den Notleidenden!" das wäre
eine Behandlung der vierten Bitte: „Unser täglich Brot gib uns heute" in neuer
nationaler Bedeutung. Eine schwere, aber heilig große Zeit voller Würde und
Kraft auf sich zu nehmen, das ist das Ziel, dem wir entgegenreifen, und an
dem die Kirche in erster Reihe mitzuarbeiten berufen ist.




Und wieder gehe ich einen Schritt weiter. Soll die Kirche ihre vater¬
ländische Aufgabe erfüllen, soll sie ins Volk dringen und eine „Volkskirche"
werden, dann darf sie nicht mehr eine Kirche der Pastoren bleiben, wie sie es
leider immer noch ist.

Das ist ja der ganze Widerspruch und das Verhängnis, an dem insbesondere
die evangelische Kirche leidet: sie will eine Kirche des Volkes sein, sie proklamiert
das Priestertum aller Gläubigen, sie verwirft die ängstliche Trennung von
Klerus und Laien — und sie bleibt doch die Kirche der Pastoren, bleibt doch
von jeder wirklichen Mitarbeit der Volkskreise weit entfernt. Sie hat ihre
Gemeindeorganisation, ihre Kirchenältesten, ihre Gemeindevertreter aus bürger¬
lichen Kreisen, beruft aus ihnen ihre Synoden: Kreis-, Provinzial- und
Generalsynode. Aber die Redenden und Handelnden sind fast immer die
Geistlichen.

Sie hat ihre Gutes wollenden Vereine: Gustav-Adolf-Verein, Evangelischer
Bund, Innere und Äußere Mission. Aber die leitenden Persönlichkeiten find
Pastoren oder Mitglieder der Konsistorien. Grundfalsch. Das gerade ist es,
was die Kirche hindert, ins Volk zu dringen. Ein mitten in der Arbeit des
Tages, mitten im Strome des Lebens stehender Mann müßte in ihnen die Führung
übernehmen, gleichviel, ob er den ersten oder den einfachen Gesellschaftskreisen
angehört — nur nicht der Geistliche, von dem jedermann sofort die Über¬
zeugung hat. er müsse solche Arbeit „von Berufs wegen" leisten.

Jetzt ist wiederum die Zeit da. wo es einer von ihrer vaterländischen
Sendung erfüllten und diese mit allem Eifer treibenden Kirche nicht schwer
fallen sollte, solche Persönlichkeiten aus den Kreisen der „Laien" zu finden und
für ihre Aufgaben und Ziele warm zu machen.

Zielbewußte Heranziehung der Volkskreise zur Mitarbeit, rechtes Verständnis
für nationale Wirksamkeit, eine der großen Zeit angepaßte großzügige Predigt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/91>, abgerufen am 22.07.2024.