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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Unsere nächste Handelspolitik

der Vortritt gelassen werden. Aber man darf es aussprechen, daß im zukünf¬
tigen Friedensverträge ein engerer Zusammenschluß mit dem einen oder anderen
uns befreundeten Staate nicht außer Betracht bleiben kann. Man wird im
übrigen an den bewährten Grundsätzen der Meistbegünstigung festhalten, aber
derart, daß wir befugt bleiben, unseren Bundesgenossen sowie den im Kriege
neutral gebliebenen europäischen Staaten Vorzugsbedingungen einzuräumen.
Es wird auch bereits in Betracht gezogen, einen Unterschied der Zollsätze für
die Waren, die auf der Land- oder Seeseite eingehen, einzuführen, und
zwar die Landseiten zu begünstigen, was zugleich einen Ausgleich der Unter¬
schiede der Transportkosten ermöglichen würde. Mit Frankreich, mit dem uns
bisher die glatte Meistbegünstigung verband, wird ein Tarifvertrag anzustreben
sein. Schließlich ist dafür Sorge zu tragen, daß im Eisenbahnverkehr in unseren
Nachbarstaaten im Osten und Westen keine Bestimmungen mehr Gültigkeit haben
dürfen, welche geeignet sind, die Zollabmachungen aufzuheben oder zu durch¬
kreuzen. Die Unterscheidungen der Transportkosten für die vertragsschließenden
Nachbarstaaten müßten also wegfallen. Sehr erstrebenswert ist, daß die Politik
der offenen Tür für alle Kolonialgebiete, namentlich auch für die englischen
Kolonien, weitestgehende Anwendung findet.

Wenn man sich und anderen in der deutschen Öffentlichkeit große Be¬
schränkungen bei der Erörterung der Kriegsziele auferlegte, so geschah es viel¬
fach unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß durch allzuweitgehende
Forderungen nach neuem Landbesitz die Zukunft unserer Handelspolitik und
damit das Gedeihen unserer Industrie und die Beschäftigung unserer Arbeiter
in Frage gestellt werden könnte. Man kann aus anderen Gründen für Zu¬
rückhaltung eintreten. Unsere zukünftige Handelspolitik ist gewiß nicht völlig
unabhängig von der Neugestaltung der Landgrenzen, aber sie ist auch keines¬
wegs davon beherrscht. Was wäre wohl aus der Eroberungspolitik so großer
Handelsmächte wie Großbritannien und der Vereinigten Staaten geworden,
wenn sie ihre Expansionsbestrebungen von den Rücksichten auf die weitere Ent¬
wicklung ihres Handelsverkehrs abhängig gemacht hätten. Beide sind rücksichts¬
los vorangeschritten und wir sehen, daß auch eine kleinere Handelsmacht, wie
etwa Japan, sich keine Schranken auferlegen läßt und frohgemut einer größeren
Zukunft entgegengeht. Mag auch der deutsche Export seine Eigenarten haben,
was nie aus dem Auge gelassen worden ist, im großen und ganzen ist doch
richtig, daß wir es ebenso halten können wie die anderen Großmächte.




Unsere nächste Handelspolitik

der Vortritt gelassen werden. Aber man darf es aussprechen, daß im zukünf¬
tigen Friedensverträge ein engerer Zusammenschluß mit dem einen oder anderen
uns befreundeten Staate nicht außer Betracht bleiben kann. Man wird im
übrigen an den bewährten Grundsätzen der Meistbegünstigung festhalten, aber
derart, daß wir befugt bleiben, unseren Bundesgenossen sowie den im Kriege
neutral gebliebenen europäischen Staaten Vorzugsbedingungen einzuräumen.
Es wird auch bereits in Betracht gezogen, einen Unterschied der Zollsätze für
die Waren, die auf der Land- oder Seeseite eingehen, einzuführen, und
zwar die Landseiten zu begünstigen, was zugleich einen Ausgleich der Unter¬
schiede der Transportkosten ermöglichen würde. Mit Frankreich, mit dem uns
bisher die glatte Meistbegünstigung verband, wird ein Tarifvertrag anzustreben
sein. Schließlich ist dafür Sorge zu tragen, daß im Eisenbahnverkehr in unseren
Nachbarstaaten im Osten und Westen keine Bestimmungen mehr Gültigkeit haben
dürfen, welche geeignet sind, die Zollabmachungen aufzuheben oder zu durch¬
kreuzen. Die Unterscheidungen der Transportkosten für die vertragsschließenden
Nachbarstaaten müßten also wegfallen. Sehr erstrebenswert ist, daß die Politik
der offenen Tür für alle Kolonialgebiete, namentlich auch für die englischen
Kolonien, weitestgehende Anwendung findet.

Wenn man sich und anderen in der deutschen Öffentlichkeit große Be¬
schränkungen bei der Erörterung der Kriegsziele auferlegte, so geschah es viel¬
fach unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß durch allzuweitgehende
Forderungen nach neuem Landbesitz die Zukunft unserer Handelspolitik und
damit das Gedeihen unserer Industrie und die Beschäftigung unserer Arbeiter
in Frage gestellt werden könnte. Man kann aus anderen Gründen für Zu¬
rückhaltung eintreten. Unsere zukünftige Handelspolitik ist gewiß nicht völlig
unabhängig von der Neugestaltung der Landgrenzen, aber sie ist auch keines¬
wegs davon beherrscht. Was wäre wohl aus der Eroberungspolitik so großer
Handelsmächte wie Großbritannien und der Vereinigten Staaten geworden,
wenn sie ihre Expansionsbestrebungen von den Rücksichten auf die weitere Ent¬
wicklung ihres Handelsverkehrs abhängig gemacht hätten. Beide sind rücksichts¬
los vorangeschritten und wir sehen, daß auch eine kleinere Handelsmacht, wie
etwa Japan, sich keine Schranken auferlegen läßt und frohgemut einer größeren
Zukunft entgegengeht. Mag auch der deutsche Export seine Eigenarten haben,
was nie aus dem Auge gelassen worden ist, im großen und ganzen ist doch
richtig, daß wir es ebenso halten können wie die anderen Großmächte.




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[0064] Unsere nächste Handelspolitik der Vortritt gelassen werden. Aber man darf es aussprechen, daß im zukünf¬ tigen Friedensverträge ein engerer Zusammenschluß mit dem einen oder anderen uns befreundeten Staate nicht außer Betracht bleiben kann. Man wird im übrigen an den bewährten Grundsätzen der Meistbegünstigung festhalten, aber derart, daß wir befugt bleiben, unseren Bundesgenossen sowie den im Kriege neutral gebliebenen europäischen Staaten Vorzugsbedingungen einzuräumen. Es wird auch bereits in Betracht gezogen, einen Unterschied der Zollsätze für die Waren, die auf der Land- oder Seeseite eingehen, einzuführen, und zwar die Landseiten zu begünstigen, was zugleich einen Ausgleich der Unter¬ schiede der Transportkosten ermöglichen würde. Mit Frankreich, mit dem uns bisher die glatte Meistbegünstigung verband, wird ein Tarifvertrag anzustreben sein. Schließlich ist dafür Sorge zu tragen, daß im Eisenbahnverkehr in unseren Nachbarstaaten im Osten und Westen keine Bestimmungen mehr Gültigkeit haben dürfen, welche geeignet sind, die Zollabmachungen aufzuheben oder zu durch¬ kreuzen. Die Unterscheidungen der Transportkosten für die vertragsschließenden Nachbarstaaten müßten also wegfallen. Sehr erstrebenswert ist, daß die Politik der offenen Tür für alle Kolonialgebiete, namentlich auch für die englischen Kolonien, weitestgehende Anwendung findet. Wenn man sich und anderen in der deutschen Öffentlichkeit große Be¬ schränkungen bei der Erörterung der Kriegsziele auferlegte, so geschah es viel¬ fach unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß durch allzuweitgehende Forderungen nach neuem Landbesitz die Zukunft unserer Handelspolitik und damit das Gedeihen unserer Industrie und die Beschäftigung unserer Arbeiter in Frage gestellt werden könnte. Man kann aus anderen Gründen für Zu¬ rückhaltung eintreten. Unsere zukünftige Handelspolitik ist gewiß nicht völlig unabhängig von der Neugestaltung der Landgrenzen, aber sie ist auch keines¬ wegs davon beherrscht. Was wäre wohl aus der Eroberungspolitik so großer Handelsmächte wie Großbritannien und der Vereinigten Staaten geworden, wenn sie ihre Expansionsbestrebungen von den Rücksichten auf die weitere Ent¬ wicklung ihres Handelsverkehrs abhängig gemacht hätten. Beide sind rücksichts¬ los vorangeschritten und wir sehen, daß auch eine kleinere Handelsmacht, wie etwa Japan, sich keine Schranken auferlegen läßt und frohgemut einer größeren Zukunft entgegengeht. Mag auch der deutsche Export seine Eigenarten haben, was nie aus dem Auge gelassen worden ist, im großen und ganzen ist doch richtig, daß wir es ebenso halten können wie die anderen Großmächte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/64>, abgerufen am 24.08.2024.