Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Soldatcnbriefe

Sieg; Ernst und Mitleid beim Anblick der furchtbaren Wirkungen des Krieges;
Sehnsucht nach Heimat und Familie, Sentimentalität; martialischer, jungen¬
hafter, unerschütterlicher Humor.

Den Ton der hellen, jauchzenden Begeisterung werden wir natürlich zu
Beginn des Krieges am reinsten und häufigsten finden. "Rau an den Feind",
so klingt es aus vielen Briefen heraus: "Unser aller Wunsch (der Marine) ist
es. so bald als möglich auch zu zeigen, daß wir uns mit unseren Leistungen
ebenbürtig an die Seite der Schwesterwaffe stellen dürfen." "Ich werde tun,
was in meinen Kräften steht, um Euch Lieben und das Vaterland zu schützen.
Fallen wir, nun so sterben wir den Heldentod fürs geliebte Vaterland. Mit
Freuden ziehen wir gegen den Erbfeind." In manchen wacht die fröhliche
Lust am Kampf auf und dehnt die entwöhnten Glieder: "Das hat Spaß
gemacht". "Unsere Parole ist: vorwärts bis nach Paris und noch viel weiter!
Wir wollen Abenteuer erleben und Kugeln pfeifen hören!" Fast betäubend ist
das Gefühl der eigenen überlegenen Kraft: "Es war herrlich! Ein ohren¬
betäubender Lärm. Draufgegcmgen sind die Kerls wie blödsinnig." "Ich
habe kein anderes Gefühl, bloß eine unsagbar glückselige, wollüstige Aufregung,
daß es gelungen ist, den Feind aus seinen Stellungen zu vertreiben. Das
Gefühl der Kraft, des Selbstvertrauens erwacht in uns mit der stärksten
Wucht."

Es ist in unseren Tagen vom deutschen Haß gesungen worden. Das
Wort hat man schon berichtigt; es muß "Zorn" heißen. Wir sind unfähig zu
hassen. Wenn ich die Soldatenbriefe lese, sehe ich immer die guten Augen
unseres Wilhelm Busch, der so deutsch ist, daß er in dem Gewand einer fremden
Sprache wie eine boshafte Karikatur aussieht; und ich muß an die Worte
Bullerstiebels im "Pater Filucius" denken: "Nu man to." Haß ist ein Gefühl
moralischer Schwäche, und das kennen wir nicht. Und wie unsere Presse sich
rein hält von den wüsten Wortexzessen des feindlichen Auslands, so offenbart
auch die große Seltenheit von Schimpfwörtern in den Feldpostbriefen das reine
Gewissen des deutschen Soldaten. "Das feige Volk", "der feige Franzmann",
"die Halunken", "die Krüppels, die Hampelmänner von Franzosen"; das ist
alles, was ich in fünfzig Briefen an verächtlichen Ausdrücken habe auftreiben
können. Hin und wieder trifft man auf gutmütig spottende Überlegenheit; dann
heißen die Franzosen Franzmänner und die Engländer Hasen: "Aber Angst
haben die Burschen und laufen können sie. Wenn sie uns fehen, wir müssen
immer lachen; die Hasen nennen wir jetzt immer Engländer." Meistens aber
spricht der deutsche Soldat von seinem Feinde gar nicht. Denn in seiner geistigen
Überlegenheit -- diese Erfahrung kann man auch daheim bei den schlichtesten
Verwundeten machen -- sieht er ihn nur seine Pflicht erfüllen und macht allein
die Regierung des fremden Landes verantwortlich.

Dieselbe geistige Reife und Größe der Auffassung bekundet der deutsche
Soldat aber in noch höherem Maße in den Wintertagen des fast endlos


Deutsche Soldatcnbriefe

Sieg; Ernst und Mitleid beim Anblick der furchtbaren Wirkungen des Krieges;
Sehnsucht nach Heimat und Familie, Sentimentalität; martialischer, jungen¬
hafter, unerschütterlicher Humor.

Den Ton der hellen, jauchzenden Begeisterung werden wir natürlich zu
Beginn des Krieges am reinsten und häufigsten finden. „Rau an den Feind",
so klingt es aus vielen Briefen heraus: „Unser aller Wunsch (der Marine) ist
es. so bald als möglich auch zu zeigen, daß wir uns mit unseren Leistungen
ebenbürtig an die Seite der Schwesterwaffe stellen dürfen." „Ich werde tun,
was in meinen Kräften steht, um Euch Lieben und das Vaterland zu schützen.
Fallen wir, nun so sterben wir den Heldentod fürs geliebte Vaterland. Mit
Freuden ziehen wir gegen den Erbfeind." In manchen wacht die fröhliche
Lust am Kampf auf und dehnt die entwöhnten Glieder: „Das hat Spaß
gemacht". „Unsere Parole ist: vorwärts bis nach Paris und noch viel weiter!
Wir wollen Abenteuer erleben und Kugeln pfeifen hören!" Fast betäubend ist
das Gefühl der eigenen überlegenen Kraft: „Es war herrlich! Ein ohren¬
betäubender Lärm. Draufgegcmgen sind die Kerls wie blödsinnig." „Ich
habe kein anderes Gefühl, bloß eine unsagbar glückselige, wollüstige Aufregung,
daß es gelungen ist, den Feind aus seinen Stellungen zu vertreiben. Das
Gefühl der Kraft, des Selbstvertrauens erwacht in uns mit der stärksten
Wucht."

Es ist in unseren Tagen vom deutschen Haß gesungen worden. Das
Wort hat man schon berichtigt; es muß „Zorn" heißen. Wir sind unfähig zu
hassen. Wenn ich die Soldatenbriefe lese, sehe ich immer die guten Augen
unseres Wilhelm Busch, der so deutsch ist, daß er in dem Gewand einer fremden
Sprache wie eine boshafte Karikatur aussieht; und ich muß an die Worte
Bullerstiebels im „Pater Filucius" denken: „Nu man to." Haß ist ein Gefühl
moralischer Schwäche, und das kennen wir nicht. Und wie unsere Presse sich
rein hält von den wüsten Wortexzessen des feindlichen Auslands, so offenbart
auch die große Seltenheit von Schimpfwörtern in den Feldpostbriefen das reine
Gewissen des deutschen Soldaten. „Das feige Volk", „der feige Franzmann",
„die Halunken", „die Krüppels, die Hampelmänner von Franzosen"; das ist
alles, was ich in fünfzig Briefen an verächtlichen Ausdrücken habe auftreiben
können. Hin und wieder trifft man auf gutmütig spottende Überlegenheit; dann
heißen die Franzosen Franzmänner und die Engländer Hasen: „Aber Angst
haben die Burschen und laufen können sie. Wenn sie uns fehen, wir müssen
immer lachen; die Hasen nennen wir jetzt immer Engländer." Meistens aber
spricht der deutsche Soldat von seinem Feinde gar nicht. Denn in seiner geistigen
Überlegenheit — diese Erfahrung kann man auch daheim bei den schlichtesten
Verwundeten machen — sieht er ihn nur seine Pflicht erfüllen und macht allein
die Regierung des fremden Landes verantwortlich.

Dieselbe geistige Reife und Größe der Auffassung bekundet der deutsche
Soldat aber in noch höherem Maße in den Wintertagen des fast endlos


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323580"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Soldatcnbriefe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_88" prev="#ID_87"> Sieg; Ernst und Mitleid beim Anblick der furchtbaren Wirkungen des Krieges;<lb/>
Sehnsucht nach Heimat und Familie, Sentimentalität; martialischer, jungen¬<lb/>
hafter, unerschütterlicher Humor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_89"> Den Ton der hellen, jauchzenden Begeisterung werden wir natürlich zu<lb/>
Beginn des Krieges am reinsten und häufigsten finden. &#x201E;Rau an den Feind",<lb/>
so klingt es aus vielen Briefen heraus: &#x201E;Unser aller Wunsch (der Marine) ist<lb/>
es. so bald als möglich auch zu zeigen, daß wir uns mit unseren Leistungen<lb/>
ebenbürtig an die Seite der Schwesterwaffe stellen dürfen." &#x201E;Ich werde tun,<lb/>
was in meinen Kräften steht, um Euch Lieben und das Vaterland zu schützen.<lb/>
Fallen wir, nun so sterben wir den Heldentod fürs geliebte Vaterland. Mit<lb/>
Freuden ziehen wir gegen den Erbfeind." In manchen wacht die fröhliche<lb/>
Lust am Kampf auf und dehnt die entwöhnten Glieder: &#x201E;Das hat Spaß<lb/>
gemacht". &#x201E;Unsere Parole ist: vorwärts bis nach Paris und noch viel weiter!<lb/>
Wir wollen Abenteuer erleben und Kugeln pfeifen hören!" Fast betäubend ist<lb/>
das Gefühl der eigenen überlegenen Kraft: &#x201E;Es war herrlich! Ein ohren¬<lb/>
betäubender Lärm. Draufgegcmgen sind die Kerls wie blödsinnig." &#x201E;Ich<lb/>
habe kein anderes Gefühl, bloß eine unsagbar glückselige, wollüstige Aufregung,<lb/>
daß es gelungen ist, den Feind aus seinen Stellungen zu vertreiben. Das<lb/>
Gefühl der Kraft, des Selbstvertrauens erwacht in uns mit der stärksten<lb/>
Wucht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Es ist in unseren Tagen vom deutschen Haß gesungen worden. Das<lb/>
Wort hat man schon berichtigt; es muß &#x201E;Zorn" heißen. Wir sind unfähig zu<lb/>
hassen. Wenn ich die Soldatenbriefe lese, sehe ich immer die guten Augen<lb/>
unseres Wilhelm Busch, der so deutsch ist, daß er in dem Gewand einer fremden<lb/>
Sprache wie eine boshafte Karikatur aussieht; und ich muß an die Worte<lb/>
Bullerstiebels im &#x201E;Pater Filucius" denken: &#x201E;Nu man to." Haß ist ein Gefühl<lb/>
moralischer Schwäche, und das kennen wir nicht. Und wie unsere Presse sich<lb/>
rein hält von den wüsten Wortexzessen des feindlichen Auslands, so offenbart<lb/>
auch die große Seltenheit von Schimpfwörtern in den Feldpostbriefen das reine<lb/>
Gewissen des deutschen Soldaten. &#x201E;Das feige Volk", &#x201E;der feige Franzmann",<lb/>
&#x201E;die Halunken", &#x201E;die Krüppels, die Hampelmänner von Franzosen"; das ist<lb/>
alles, was ich in fünfzig Briefen an verächtlichen Ausdrücken habe auftreiben<lb/>
können. Hin und wieder trifft man auf gutmütig spottende Überlegenheit; dann<lb/>
heißen die Franzosen Franzmänner und die Engländer Hasen: &#x201E;Aber Angst<lb/>
haben die Burschen und laufen können sie. Wenn sie uns fehen, wir müssen<lb/>
immer lachen; die Hasen nennen wir jetzt immer Engländer." Meistens aber<lb/>
spricht der deutsche Soldat von seinem Feinde gar nicht. Denn in seiner geistigen<lb/>
Überlegenheit &#x2014; diese Erfahrung kann man auch daheim bei den schlichtesten<lb/>
Verwundeten machen &#x2014; sieht er ihn nur seine Pflicht erfüllen und macht allein<lb/>
die Regierung des fremden Landes verantwortlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Dieselbe geistige Reife und Größe der Auffassung bekundet der deutsche<lb/>
Soldat aber in noch höherem Maße in den Wintertagen des fast endlos</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] Deutsche Soldatcnbriefe Sieg; Ernst und Mitleid beim Anblick der furchtbaren Wirkungen des Krieges; Sehnsucht nach Heimat und Familie, Sentimentalität; martialischer, jungen¬ hafter, unerschütterlicher Humor. Den Ton der hellen, jauchzenden Begeisterung werden wir natürlich zu Beginn des Krieges am reinsten und häufigsten finden. „Rau an den Feind", so klingt es aus vielen Briefen heraus: „Unser aller Wunsch (der Marine) ist es. so bald als möglich auch zu zeigen, daß wir uns mit unseren Leistungen ebenbürtig an die Seite der Schwesterwaffe stellen dürfen." „Ich werde tun, was in meinen Kräften steht, um Euch Lieben und das Vaterland zu schützen. Fallen wir, nun so sterben wir den Heldentod fürs geliebte Vaterland. Mit Freuden ziehen wir gegen den Erbfeind." In manchen wacht die fröhliche Lust am Kampf auf und dehnt die entwöhnten Glieder: „Das hat Spaß gemacht". „Unsere Parole ist: vorwärts bis nach Paris und noch viel weiter! Wir wollen Abenteuer erleben und Kugeln pfeifen hören!" Fast betäubend ist das Gefühl der eigenen überlegenen Kraft: „Es war herrlich! Ein ohren¬ betäubender Lärm. Draufgegcmgen sind die Kerls wie blödsinnig." „Ich habe kein anderes Gefühl, bloß eine unsagbar glückselige, wollüstige Aufregung, daß es gelungen ist, den Feind aus seinen Stellungen zu vertreiben. Das Gefühl der Kraft, des Selbstvertrauens erwacht in uns mit der stärksten Wucht." Es ist in unseren Tagen vom deutschen Haß gesungen worden. Das Wort hat man schon berichtigt; es muß „Zorn" heißen. Wir sind unfähig zu hassen. Wenn ich die Soldatenbriefe lese, sehe ich immer die guten Augen unseres Wilhelm Busch, der so deutsch ist, daß er in dem Gewand einer fremden Sprache wie eine boshafte Karikatur aussieht; und ich muß an die Worte Bullerstiebels im „Pater Filucius" denken: „Nu man to." Haß ist ein Gefühl moralischer Schwäche, und das kennen wir nicht. Und wie unsere Presse sich rein hält von den wüsten Wortexzessen des feindlichen Auslands, so offenbart auch die große Seltenheit von Schimpfwörtern in den Feldpostbriefen das reine Gewissen des deutschen Soldaten. „Das feige Volk", „der feige Franzmann", „die Halunken", „die Krüppels, die Hampelmänner von Franzosen"; das ist alles, was ich in fünfzig Briefen an verächtlichen Ausdrücken habe auftreiben können. Hin und wieder trifft man auf gutmütig spottende Überlegenheit; dann heißen die Franzosen Franzmänner und die Engländer Hasen: „Aber Angst haben die Burschen und laufen können sie. Wenn sie uns fehen, wir müssen immer lachen; die Hasen nennen wir jetzt immer Engländer." Meistens aber spricht der deutsche Soldat von seinem Feinde gar nicht. Denn in seiner geistigen Überlegenheit — diese Erfahrung kann man auch daheim bei den schlichtesten Verwundeten machen — sieht er ihn nur seine Pflicht erfüllen und macht allein die Regierung des fremden Landes verantwortlich. Dieselbe geistige Reife und Größe der Auffassung bekundet der deutsche Soldat aber in noch höherem Maße in den Wintertagen des fast endlos

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/41>, abgerufen am 22.07.2024.