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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Belle Alliance

das Korps Lobaus von Zielens und Bülows Truppen in Front und Flanke
gepackt und zersprengt.

Als Napoleon sah, daß auf dem linken und vollends auf dem rechten
Flügel alles verloren war, gab er einen letzten Angriff mit der Division Quiot
auf Mont Se. Jean auf. Wellington aber benutzte in kalter Ruhe diesen
Augenblick und machte mit allen ihm irgendwie erreichbaren Teilen seines
Heeres einen letzten Vorstoß, damit es so schiene, als ob er hierdurch die
Entscheidung herbeigeführt hätte, wie er es denn auch -- zum hellen Zorn
Blüchers und Gneisenaus -- in seinem alsbald in Brüssel verfaßten Bericht
dargestellt hat*).

In wilder Flucht strömten jetzt die Heerestrümmer des Imperators auf
der Brüsseler Straße, die bereits von der preußischen Artillerie bestrichen
wurde, in wirrem Durcheinander zusammen, nur noch aufgelöste Haufen, die
keine Disziplin, kein Kommando mehr kannten. Gneisenau, der südlich von
Belle Alliance dem Zusammentreffen Blüchers mit Wellingtons beigewohnt
und mit Bardeleben einen Augenblick die reine Freude des Sieges gekostet
hatte, raffte zusammen, was er an Kavallerie und Artillerie zur Hand fand,
und übernahm selbst die Verfolgung des geschlagenen Feindes. In wilder
Hast jagte er, schließlich nur noch mit einem Trupp Ulanen und fünfzig
Füsilieren, hinter den angstgepeitschten Massen einher, die noch mehr als sieben¬
mal gar unsanft aus ihren Biwaks aufgeschreckt wurden. Als die Verfolger
schließlich erschöpft bei Frasnes Halt machten, da säumte bereits das Morgen¬
rot den Horizont. Erst durch diese beispiellose Verfolgung ist die Auflösung
der napoleonischen Armee derartig gesteigert worden, daß sich von ihr in Paris
nur noch 10000 Versprengte zusammenfanden.

Der Feldherr aber, durch dessen heroischen Entschluß erst die Vereinigung
von Blüchers und Wellingtons Armee zur Wirklichkeit geworden ist, der durch
persönliche Leitung derVerfolgung den Sieg erst zu einem endgültigen gemacht hat--
Gneisenau empfand in seinem ewig jungen Herzen auch in diesen Stunden die
wilde Poesie des Krieges. Sechs Tage darauf schrieb er an Frau von Clause-
witz und die Gräfin Dohna, Scharnhorsts edle Tochter: "Unsere Schlacht von
Belle Alliance war schön wie keine, entscheidend wie keine, der Feind vernichtet
wie nie ein Feind." Und von der Verfolgung unter seiner Führung: "Wir
machten erst dann Halt, als der Tag angebrochen war. Es war die herrlichste
Nacht meines Lebens. Der Mond beleuchtete die schöne Szene, das Wetter
war mild." An den Staatskanzler Hardenberg hatte er schon zwei Tage



*) In diesem Bericht, den er schon am 19. an den Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes, Bathurst, richtete, heißt es: "Die Operation des Generals von Bülow gegen die
Flanke des Feindes war höchst entscheidend, und selbst wenn ich mich nicht in der Lage
befunden hätte, den Angriff unternehmen zu können, der das endliche Resultat herbeiführte,
würde dieselbe den Feind zum Rückzüge genötigt haben . . Desp. XII 478, zitiert von
von Lettow-Vorbeck, Napoleons Untergang 181ö (Berlin 1904) l Seite 444.
Belle Alliance

das Korps Lobaus von Zielens und Bülows Truppen in Front und Flanke
gepackt und zersprengt.

Als Napoleon sah, daß auf dem linken und vollends auf dem rechten
Flügel alles verloren war, gab er einen letzten Angriff mit der Division Quiot
auf Mont Se. Jean auf. Wellington aber benutzte in kalter Ruhe diesen
Augenblick und machte mit allen ihm irgendwie erreichbaren Teilen seines
Heeres einen letzten Vorstoß, damit es so schiene, als ob er hierdurch die
Entscheidung herbeigeführt hätte, wie er es denn auch — zum hellen Zorn
Blüchers und Gneisenaus — in seinem alsbald in Brüssel verfaßten Bericht
dargestellt hat*).

In wilder Flucht strömten jetzt die Heerestrümmer des Imperators auf
der Brüsseler Straße, die bereits von der preußischen Artillerie bestrichen
wurde, in wirrem Durcheinander zusammen, nur noch aufgelöste Haufen, die
keine Disziplin, kein Kommando mehr kannten. Gneisenau, der südlich von
Belle Alliance dem Zusammentreffen Blüchers mit Wellingtons beigewohnt
und mit Bardeleben einen Augenblick die reine Freude des Sieges gekostet
hatte, raffte zusammen, was er an Kavallerie und Artillerie zur Hand fand,
und übernahm selbst die Verfolgung des geschlagenen Feindes. In wilder
Hast jagte er, schließlich nur noch mit einem Trupp Ulanen und fünfzig
Füsilieren, hinter den angstgepeitschten Massen einher, die noch mehr als sieben¬
mal gar unsanft aus ihren Biwaks aufgeschreckt wurden. Als die Verfolger
schließlich erschöpft bei Frasnes Halt machten, da säumte bereits das Morgen¬
rot den Horizont. Erst durch diese beispiellose Verfolgung ist die Auflösung
der napoleonischen Armee derartig gesteigert worden, daß sich von ihr in Paris
nur noch 10000 Versprengte zusammenfanden.

Der Feldherr aber, durch dessen heroischen Entschluß erst die Vereinigung
von Blüchers und Wellingtons Armee zur Wirklichkeit geworden ist, der durch
persönliche Leitung derVerfolgung den Sieg erst zu einem endgültigen gemacht hat—
Gneisenau empfand in seinem ewig jungen Herzen auch in diesen Stunden die
wilde Poesie des Krieges. Sechs Tage darauf schrieb er an Frau von Clause-
witz und die Gräfin Dohna, Scharnhorsts edle Tochter: „Unsere Schlacht von
Belle Alliance war schön wie keine, entscheidend wie keine, der Feind vernichtet
wie nie ein Feind." Und von der Verfolgung unter seiner Führung: „Wir
machten erst dann Halt, als der Tag angebrochen war. Es war die herrlichste
Nacht meines Lebens. Der Mond beleuchtete die schöne Szene, das Wetter
war mild." An den Staatskanzler Hardenberg hatte er schon zwei Tage



*) In diesem Bericht, den er schon am 19. an den Staatssekretär des Auswärtigen
Amtes, Bathurst, richtete, heißt es: „Die Operation des Generals von Bülow gegen die
Flanke des Feindes war höchst entscheidend, und selbst wenn ich mich nicht in der Lage
befunden hätte, den Angriff unternehmen zu können, der das endliche Resultat herbeiführte,
würde dieselbe den Feind zum Rückzüge genötigt haben . . Desp. XII 478, zitiert von
von Lettow-Vorbeck, Napoleons Untergang 181ö (Berlin 1904) l Seite 444.
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[0344] Belle Alliance das Korps Lobaus von Zielens und Bülows Truppen in Front und Flanke gepackt und zersprengt. Als Napoleon sah, daß auf dem linken und vollends auf dem rechten Flügel alles verloren war, gab er einen letzten Angriff mit der Division Quiot auf Mont Se. Jean auf. Wellington aber benutzte in kalter Ruhe diesen Augenblick und machte mit allen ihm irgendwie erreichbaren Teilen seines Heeres einen letzten Vorstoß, damit es so schiene, als ob er hierdurch die Entscheidung herbeigeführt hätte, wie er es denn auch — zum hellen Zorn Blüchers und Gneisenaus — in seinem alsbald in Brüssel verfaßten Bericht dargestellt hat*). In wilder Flucht strömten jetzt die Heerestrümmer des Imperators auf der Brüsseler Straße, die bereits von der preußischen Artillerie bestrichen wurde, in wirrem Durcheinander zusammen, nur noch aufgelöste Haufen, die keine Disziplin, kein Kommando mehr kannten. Gneisenau, der südlich von Belle Alliance dem Zusammentreffen Blüchers mit Wellingtons beigewohnt und mit Bardeleben einen Augenblick die reine Freude des Sieges gekostet hatte, raffte zusammen, was er an Kavallerie und Artillerie zur Hand fand, und übernahm selbst die Verfolgung des geschlagenen Feindes. In wilder Hast jagte er, schließlich nur noch mit einem Trupp Ulanen und fünfzig Füsilieren, hinter den angstgepeitschten Massen einher, die noch mehr als sieben¬ mal gar unsanft aus ihren Biwaks aufgeschreckt wurden. Als die Verfolger schließlich erschöpft bei Frasnes Halt machten, da säumte bereits das Morgen¬ rot den Horizont. Erst durch diese beispiellose Verfolgung ist die Auflösung der napoleonischen Armee derartig gesteigert worden, daß sich von ihr in Paris nur noch 10000 Versprengte zusammenfanden. Der Feldherr aber, durch dessen heroischen Entschluß erst die Vereinigung von Blüchers und Wellingtons Armee zur Wirklichkeit geworden ist, der durch persönliche Leitung derVerfolgung den Sieg erst zu einem endgültigen gemacht hat— Gneisenau empfand in seinem ewig jungen Herzen auch in diesen Stunden die wilde Poesie des Krieges. Sechs Tage darauf schrieb er an Frau von Clause- witz und die Gräfin Dohna, Scharnhorsts edle Tochter: „Unsere Schlacht von Belle Alliance war schön wie keine, entscheidend wie keine, der Feind vernichtet wie nie ein Feind." Und von der Verfolgung unter seiner Führung: „Wir machten erst dann Halt, als der Tag angebrochen war. Es war die herrlichste Nacht meines Lebens. Der Mond beleuchtete die schöne Szene, das Wetter war mild." An den Staatskanzler Hardenberg hatte er schon zwei Tage *) In diesem Bericht, den er schon am 19. an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bathurst, richtete, heißt es: „Die Operation des Generals von Bülow gegen die Flanke des Feindes war höchst entscheidend, und selbst wenn ich mich nicht in der Lage befunden hätte, den Angriff unternehmen zu können, der das endliche Resultat herbeiführte, würde dieselbe den Feind zum Rückzüge genötigt haben . . Desp. XII 478, zitiert von von Lettow-Vorbeck, Napoleons Untergang 181ö (Berlin 1904) l Seite 444.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/344>, abgerufen am 26.06.2024.