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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Das Lindringen Englands in Aegypten

des Kanals angehalten, was um so empfindlicher war, als die Bauausführung
mehrmals neue Anleihen nötig machte. So kam es, daß die Aktien zeitweilig
sogar unter der Hälfte des Nennwertes verkauft wurden. Ja, die Kanalgesellschaft
war sogar noch 1871, also bereits nach der Fertigstellung des Kanals, in größter
Geldklemme. Es hing das freilich damals auch mit dem deutsch-französischen
Kriege und mit dem großen Geldbedürfnis Frankreichs für unsere Kriegsentschädigung
zusammen. Später, als die Aktien durch den zunehmenden Schiffsverkehr schnell
in die Höhe gingen, da hat England gekauft, und heute erfreuen sich die Besitzer
der Suezkanalaktien einer ungefähr achtfachen Rente.

Die englische Mißgunst gegenüber der ägyptischen Wasserstraße zeigte sich
übrigens nicht bloß auf dem Geldmarkte, sondern sie hat auch diplomatisch der
Bauausführung Schwierigkeiten bereitet. Im Auftrage des Lord Palmerston,
der damals das Kabinett von Se. James beherrschte, wurde zum Beispiel gleich
zu Anfang der Sultan mit der Sorge erfüllt, Ägypten möchte durch den Bau des
Kanals in Abhängigkeit von Frankreich geraten. Die dadurch bewirkte abwehrende
Haltung der Pforte konnte nur durch das Eingreifen Napoleons des Dritten
mittels des Versprechens, den Wasserweg zu neutralisieren, beseitigt werden.
Ein ferneres Mal stellten sich die britischen Menschenfreunde um die Freiheit der
ägyptischen Kanalarbeiter bekümmert. Khedive und Sultan wurden zu verdrießlichen
Maßregeln veranlaßt, um von Fellachen, Armeniern, Negern usw. jeden Zwang
fernzuhalten. Nun, der Kanal ist trotz all dieser Hindernisse doch in verhältnis¬
mäßig kurzer Zeit fertig geworden. Im Mai 1869 hatte der Khedive Ismail die
Genugtuung, die europäischen Höfe besuchen zu dürfen, wobei er die Herrscher auf
den Herbst zur Eröffnungsfeier einlud. Die offizielle Einweihung fand am
17. November unter großen Zeremonien statt. Die Kaiserin Eugenie, der Kaiser
von Osterreich, der Kronprinz von Preußen und andere hohe Herrschaften waren
zugegen.

über die weltwirtschaftliche Bedeutung des Suezkanals braucht man kein
Wort zu verlieren. Es genügt der Hinweis, daß es jetzt der Hauptwasserweg
nach Indien, China, Japan, Ostafrika und Australien ist. Die Zahl der jährlich
passierenden Schiffe betrug im Jahre 1912 über 5300. Davon waren 3335 englische,
698 deutsche, 221 französische. Die Einnahme aus den Passagegebühren beträgt
jetzt jährlich rund 136 Millionen Franken.


II.

Die Vollendung des Suezkanals war die größte, aber auch die letzte große
Tat des Franzosentums in Ägypten. Von da ab geht es mit dem Einfluß
Frankreichs abwärts. Man hat das auch als Folge des deutsch-französischen
Krieges hinstellen wollen, und tatsächlich hat die Regierung der Republik nach
1870 nicht mehr den Mut gefunden, dem sich immer stärker geltend machenden
Wettbewerb der Engländer in Ägypten energisch entgegenzutreten. Das war aber
ihre eigene Schuld, ihre eigene Blindheit. Die Franzosen brauchten bloß den von
ihnen geschlossenen Frankfurter Frieden ehrlich anzuerkennen, dann hätten sie von
Deutschland nichts zu fürchten gehabt. Der Beweis dafür liegt in ihrem un¬
gestörten Eindringen in Tunis.


Das Lindringen Englands in Aegypten

des Kanals angehalten, was um so empfindlicher war, als die Bauausführung
mehrmals neue Anleihen nötig machte. So kam es, daß die Aktien zeitweilig
sogar unter der Hälfte des Nennwertes verkauft wurden. Ja, die Kanalgesellschaft
war sogar noch 1871, also bereits nach der Fertigstellung des Kanals, in größter
Geldklemme. Es hing das freilich damals auch mit dem deutsch-französischen
Kriege und mit dem großen Geldbedürfnis Frankreichs für unsere Kriegsentschädigung
zusammen. Später, als die Aktien durch den zunehmenden Schiffsverkehr schnell
in die Höhe gingen, da hat England gekauft, und heute erfreuen sich die Besitzer
der Suezkanalaktien einer ungefähr achtfachen Rente.

Die englische Mißgunst gegenüber der ägyptischen Wasserstraße zeigte sich
übrigens nicht bloß auf dem Geldmarkte, sondern sie hat auch diplomatisch der
Bauausführung Schwierigkeiten bereitet. Im Auftrage des Lord Palmerston,
der damals das Kabinett von Se. James beherrschte, wurde zum Beispiel gleich
zu Anfang der Sultan mit der Sorge erfüllt, Ägypten möchte durch den Bau des
Kanals in Abhängigkeit von Frankreich geraten. Die dadurch bewirkte abwehrende
Haltung der Pforte konnte nur durch das Eingreifen Napoleons des Dritten
mittels des Versprechens, den Wasserweg zu neutralisieren, beseitigt werden.
Ein ferneres Mal stellten sich die britischen Menschenfreunde um die Freiheit der
ägyptischen Kanalarbeiter bekümmert. Khedive und Sultan wurden zu verdrießlichen
Maßregeln veranlaßt, um von Fellachen, Armeniern, Negern usw. jeden Zwang
fernzuhalten. Nun, der Kanal ist trotz all dieser Hindernisse doch in verhältnis¬
mäßig kurzer Zeit fertig geworden. Im Mai 1869 hatte der Khedive Ismail die
Genugtuung, die europäischen Höfe besuchen zu dürfen, wobei er die Herrscher auf
den Herbst zur Eröffnungsfeier einlud. Die offizielle Einweihung fand am
17. November unter großen Zeremonien statt. Die Kaiserin Eugenie, der Kaiser
von Osterreich, der Kronprinz von Preußen und andere hohe Herrschaften waren
zugegen.

über die weltwirtschaftliche Bedeutung des Suezkanals braucht man kein
Wort zu verlieren. Es genügt der Hinweis, daß es jetzt der Hauptwasserweg
nach Indien, China, Japan, Ostafrika und Australien ist. Die Zahl der jährlich
passierenden Schiffe betrug im Jahre 1912 über 5300. Davon waren 3335 englische,
698 deutsche, 221 französische. Die Einnahme aus den Passagegebühren beträgt
jetzt jährlich rund 136 Millionen Franken.


II.

Die Vollendung des Suezkanals war die größte, aber auch die letzte große
Tat des Franzosentums in Ägypten. Von da ab geht es mit dem Einfluß
Frankreichs abwärts. Man hat das auch als Folge des deutsch-französischen
Krieges hinstellen wollen, und tatsächlich hat die Regierung der Republik nach
1870 nicht mehr den Mut gefunden, dem sich immer stärker geltend machenden
Wettbewerb der Engländer in Ägypten energisch entgegenzutreten. Das war aber
ihre eigene Schuld, ihre eigene Blindheit. Die Franzosen brauchten bloß den von
ihnen geschlossenen Frankfurter Frieden ehrlich anzuerkennen, dann hätten sie von
Deutschland nichts zu fürchten gehabt. Der Beweis dafür liegt in ihrem un¬
gestörten Eindringen in Tunis.


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[0024] Das Lindringen Englands in Aegypten des Kanals angehalten, was um so empfindlicher war, als die Bauausführung mehrmals neue Anleihen nötig machte. So kam es, daß die Aktien zeitweilig sogar unter der Hälfte des Nennwertes verkauft wurden. Ja, die Kanalgesellschaft war sogar noch 1871, also bereits nach der Fertigstellung des Kanals, in größter Geldklemme. Es hing das freilich damals auch mit dem deutsch-französischen Kriege und mit dem großen Geldbedürfnis Frankreichs für unsere Kriegsentschädigung zusammen. Später, als die Aktien durch den zunehmenden Schiffsverkehr schnell in die Höhe gingen, da hat England gekauft, und heute erfreuen sich die Besitzer der Suezkanalaktien einer ungefähr achtfachen Rente. Die englische Mißgunst gegenüber der ägyptischen Wasserstraße zeigte sich übrigens nicht bloß auf dem Geldmarkte, sondern sie hat auch diplomatisch der Bauausführung Schwierigkeiten bereitet. Im Auftrage des Lord Palmerston, der damals das Kabinett von Se. James beherrschte, wurde zum Beispiel gleich zu Anfang der Sultan mit der Sorge erfüllt, Ägypten möchte durch den Bau des Kanals in Abhängigkeit von Frankreich geraten. Die dadurch bewirkte abwehrende Haltung der Pforte konnte nur durch das Eingreifen Napoleons des Dritten mittels des Versprechens, den Wasserweg zu neutralisieren, beseitigt werden. Ein ferneres Mal stellten sich die britischen Menschenfreunde um die Freiheit der ägyptischen Kanalarbeiter bekümmert. Khedive und Sultan wurden zu verdrießlichen Maßregeln veranlaßt, um von Fellachen, Armeniern, Negern usw. jeden Zwang fernzuhalten. Nun, der Kanal ist trotz all dieser Hindernisse doch in verhältnis¬ mäßig kurzer Zeit fertig geworden. Im Mai 1869 hatte der Khedive Ismail die Genugtuung, die europäischen Höfe besuchen zu dürfen, wobei er die Herrscher auf den Herbst zur Eröffnungsfeier einlud. Die offizielle Einweihung fand am 17. November unter großen Zeremonien statt. Die Kaiserin Eugenie, der Kaiser von Osterreich, der Kronprinz von Preußen und andere hohe Herrschaften waren zugegen. über die weltwirtschaftliche Bedeutung des Suezkanals braucht man kein Wort zu verlieren. Es genügt der Hinweis, daß es jetzt der Hauptwasserweg nach Indien, China, Japan, Ostafrika und Australien ist. Die Zahl der jährlich passierenden Schiffe betrug im Jahre 1912 über 5300. Davon waren 3335 englische, 698 deutsche, 221 französische. Die Einnahme aus den Passagegebühren beträgt jetzt jährlich rund 136 Millionen Franken. II. Die Vollendung des Suezkanals war die größte, aber auch die letzte große Tat des Franzosentums in Ägypten. Von da ab geht es mit dem Einfluß Frankreichs abwärts. Man hat das auch als Folge des deutsch-französischen Krieges hinstellen wollen, und tatsächlich hat die Regierung der Republik nach 1870 nicht mehr den Mut gefunden, dem sich immer stärker geltend machenden Wettbewerb der Engländer in Ägypten energisch entgegenzutreten. Das war aber ihre eigene Schuld, ihre eigene Blindheit. Die Franzosen brauchten bloß den von ihnen geschlossenen Frankfurter Frieden ehrlich anzuerkennen, dann hätten sie von Deutschland nichts zu fürchten gehabt. Der Beweis dafür liegt in ihrem un¬ gestörten Eindringen in Tunis.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/24>, abgerufen am 22.07.2024.