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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Weltkrieg und Volkszahl

Kinderzahl offenbart. Nur durch Einwanderung wird Frankreich seine Volks-
zahl behaupten können.

Dem entsprechend sinkt Frankreichs militärische und -politische Bedeutung
immer mehr. Bertillon veranschaulicht diesen Vorgang durch einen Vergleich
Frankreichs mit Deutschland. Es hatte Frankreich 1852 bis 1855 eine
Geburtenzahl von 932000 und dementsprechend zwanzig Jahre später eine
Rekrutenzahl von 291000; 1909 aber nur 770000 Geburten und zwanzig
Jahre später wird es nur 269 500 Rekruten haben. Deutschland dagegen hatte
1852 bis 1855 1228800 Geburten und von diesen später 345800 Rekruten,
1909 aber 2015000 Geburten und demnach hat es 594000 Rekruten zu
erwarten. Das militärische Stärkeverhältnis, das anfangs der siebziger Jahre
wie 100:119 sich verhielt, wird dann wie 100:215 sich gestalten.

Für die Weiterentwicklung und Weltstellung Deutschlands wird die Höhe
seiner Geburtenzahl in Verbindung mit der Kindersterblichkeit von entscheidender
Bedeutung sein. Bei seiner geographisch gefährdeten Lage muß es numerisch
stark sein, wenn es sich behaupten will gegen eine Welt von Feinden.
Unbestreitbar hat es bisher einen hohen, günstigen Geburtenüberschuß aufzuweisen,
seit 1900 13 bis 14 pro Mille jährlich, trotz stark sinkender
Geburtenziffer, die zum Beispiel für die Reichshauptstadt auf 1,93 Geburten
auf jede Eheschließung im Jahre 1912 zurückging. Wenn aber dieses Sinken,
das von 1880 bis 1911 nicht weniger als 10 pro Mille betrug (von 39,1
auf 29,0) weiter anhält, so wird auch der Geburtenüberschuß nicht nur relativ
sondern absolut sich gewaltig mindern. Betrug dieser doch in sämtlichen
deutschen Städten mit mehr als 15000 Einwohnern 1912 nur noch 10,5 pro
Mille gegen 13,6 pro Mille im Jahre 1901, und bei den Großstädten weniger
als 10, während nach dem günstigen Altersaufbau der Städte ein höherer
Geburtenüberschuß als auf dem Lande zu erwarten wäre. Jedenfalls verdankt
Deutschland seine gewaltigen Erfolge im Weltkriege nicht zum wenigsten seiner
günstigen Bevölkerungsvermehrung, ohne die seine militärische Kraft zum Siege
im großen Entschetdungskampfe gewiß nicht ausreichend wäre.

Das Wort "wer die Jugend hat, der hat die Zukunft", läßt sich auf
die Weltstellung und Geltung der Völker anwenden: nur ein Volk, das viel
Jugend hat und die Mühsal und Kosten ihrer Auferziehung nicht scheut, das
hat eine Zukunft, das kann sich im Kampfe behaupten.




Weltkrieg und Volkszahl

Kinderzahl offenbart. Nur durch Einwanderung wird Frankreich seine Volks-
zahl behaupten können.

Dem entsprechend sinkt Frankreichs militärische und -politische Bedeutung
immer mehr. Bertillon veranschaulicht diesen Vorgang durch einen Vergleich
Frankreichs mit Deutschland. Es hatte Frankreich 1852 bis 1855 eine
Geburtenzahl von 932000 und dementsprechend zwanzig Jahre später eine
Rekrutenzahl von 291000; 1909 aber nur 770000 Geburten und zwanzig
Jahre später wird es nur 269 500 Rekruten haben. Deutschland dagegen hatte
1852 bis 1855 1228800 Geburten und von diesen später 345800 Rekruten,
1909 aber 2015000 Geburten und demnach hat es 594000 Rekruten zu
erwarten. Das militärische Stärkeverhältnis, das anfangs der siebziger Jahre
wie 100:119 sich verhielt, wird dann wie 100:215 sich gestalten.

Für die Weiterentwicklung und Weltstellung Deutschlands wird die Höhe
seiner Geburtenzahl in Verbindung mit der Kindersterblichkeit von entscheidender
Bedeutung sein. Bei seiner geographisch gefährdeten Lage muß es numerisch
stark sein, wenn es sich behaupten will gegen eine Welt von Feinden.
Unbestreitbar hat es bisher einen hohen, günstigen Geburtenüberschuß aufzuweisen,
seit 1900 13 bis 14 pro Mille jährlich, trotz stark sinkender
Geburtenziffer, die zum Beispiel für die Reichshauptstadt auf 1,93 Geburten
auf jede Eheschließung im Jahre 1912 zurückging. Wenn aber dieses Sinken,
das von 1880 bis 1911 nicht weniger als 10 pro Mille betrug (von 39,1
auf 29,0) weiter anhält, so wird auch der Geburtenüberschuß nicht nur relativ
sondern absolut sich gewaltig mindern. Betrug dieser doch in sämtlichen
deutschen Städten mit mehr als 15000 Einwohnern 1912 nur noch 10,5 pro
Mille gegen 13,6 pro Mille im Jahre 1901, und bei den Großstädten weniger
als 10, während nach dem günstigen Altersaufbau der Städte ein höherer
Geburtenüberschuß als auf dem Lande zu erwarten wäre. Jedenfalls verdankt
Deutschland seine gewaltigen Erfolge im Weltkriege nicht zum wenigsten seiner
günstigen Bevölkerungsvermehrung, ohne die seine militärische Kraft zum Siege
im großen Entschetdungskampfe gewiß nicht ausreichend wäre.

Das Wort „wer die Jugend hat, der hat die Zukunft", läßt sich auf
die Weltstellung und Geltung der Völker anwenden: nur ein Volk, das viel
Jugend hat und die Mühsal und Kosten ihrer Auferziehung nicht scheut, das
hat eine Zukunft, das kann sich im Kampfe behaupten.




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[0225] Weltkrieg und Volkszahl Kinderzahl offenbart. Nur durch Einwanderung wird Frankreich seine Volks- zahl behaupten können. Dem entsprechend sinkt Frankreichs militärische und -politische Bedeutung immer mehr. Bertillon veranschaulicht diesen Vorgang durch einen Vergleich Frankreichs mit Deutschland. Es hatte Frankreich 1852 bis 1855 eine Geburtenzahl von 932000 und dementsprechend zwanzig Jahre später eine Rekrutenzahl von 291000; 1909 aber nur 770000 Geburten und zwanzig Jahre später wird es nur 269 500 Rekruten haben. Deutschland dagegen hatte 1852 bis 1855 1228800 Geburten und von diesen später 345800 Rekruten, 1909 aber 2015000 Geburten und demnach hat es 594000 Rekruten zu erwarten. Das militärische Stärkeverhältnis, das anfangs der siebziger Jahre wie 100:119 sich verhielt, wird dann wie 100:215 sich gestalten. Für die Weiterentwicklung und Weltstellung Deutschlands wird die Höhe seiner Geburtenzahl in Verbindung mit der Kindersterblichkeit von entscheidender Bedeutung sein. Bei seiner geographisch gefährdeten Lage muß es numerisch stark sein, wenn es sich behaupten will gegen eine Welt von Feinden. Unbestreitbar hat es bisher einen hohen, günstigen Geburtenüberschuß aufzuweisen, seit 1900 13 bis 14 pro Mille jährlich, trotz stark sinkender Geburtenziffer, die zum Beispiel für die Reichshauptstadt auf 1,93 Geburten auf jede Eheschließung im Jahre 1912 zurückging. Wenn aber dieses Sinken, das von 1880 bis 1911 nicht weniger als 10 pro Mille betrug (von 39,1 auf 29,0) weiter anhält, so wird auch der Geburtenüberschuß nicht nur relativ sondern absolut sich gewaltig mindern. Betrug dieser doch in sämtlichen deutschen Städten mit mehr als 15000 Einwohnern 1912 nur noch 10,5 pro Mille gegen 13,6 pro Mille im Jahre 1901, und bei den Großstädten weniger als 10, während nach dem günstigen Altersaufbau der Städte ein höherer Geburtenüberschuß als auf dem Lande zu erwarten wäre. Jedenfalls verdankt Deutschland seine gewaltigen Erfolge im Weltkriege nicht zum wenigsten seiner günstigen Bevölkerungsvermehrung, ohne die seine militärische Kraft zum Siege im großen Entschetdungskampfe gewiß nicht ausreichend wäre. Das Wort „wer die Jugend hat, der hat die Zukunft", läßt sich auf die Weltstellung und Geltung der Völker anwenden: nur ein Volk, das viel Jugend hat und die Mühsal und Kosten ihrer Auferziehung nicht scheut, das hat eine Zukunft, das kann sich im Kampfe behaupten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/225>, abgerufen am 22.07.2024.