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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Rückgang der englischen Rohlenausfuhr und ihre Folg^u

jetzt viel wertvoller als in anderen Zeiten sind? Das militärische Bedürfnis,
die russischen Eisenbahnen, Kriegsschiffe und Kriegsindustrien möglichst leistungs¬
fähig zu erhalten, mag ja England nötigen, auch den russischen Kohlenhunger
nicht ganz ungestillt zu lassen; aber allen Wünschen gerecht zu werden, wird
hier noch sehr viel schwerer sein als in Frankreich.

Mit Englands Bundesgenossen leiden aber auch die mehr oder weniger
unschuldigen neutralen Staaten Europas mehr und mehr unter den Hemmnissen
der englischen Kohlenausfuhr. Sie erhalten sämtlich viel weniger Kohlen, als
sie brauchen, und müssen das wenige, was ihnen zugeführt wird, ungebührlich
teuer bezahlen. So belief sich zum Beispiel im Januar 1915 die englische
Kohleneinfuhr in Italien auf 470000 Tonnen gegenüber 791000 im Vorjahr,
in Spanien auf 159000 gegen 346000, in Ägypten auf 150000 gegen
315000, in Südamerika auf 259000 gegen 565000 Tonnen usw. Selbst
die Stützpunkte der englischen Flotte erhielten (was besonders bezeichnend ist)
nicht mehr sondern weniger Kohle als im Frieden, so zum Beispiel im November
1914 Gibraltar nur 20000 Tonnen gegen 41000 Tonnen im November 1913,
Malta nur 10000 gegen 73000 Tonnen usw. Dabei mußten die neutralen
Staaten nicht nur die stark gestiegenen Nettopreise der Kohlen bezahlen, sondern
auch die gewaltig erhöhten Unkosten der Beförderung tragen. Wie groß diese
find, mögen zwei Tatsachen klarlegen: die Schiffsfrachten zwischen England und
Spanien waren im März viermal so hoch wie vor dem Kriege, und die Ge¬
samtweizeneinfuhr eines Monats war in England der Menge nach um 11 Prozent
geringer, dem Werte nach aber um 40 Prozent höher als im gleichen Monat
des Vorjahrs! Die Rückwirkung auf die Kohlenversorgung neutraler Länder
ist sehr beträchtlich. Dies zeigt sich besonders klar in Italien, das angesichts
der sehr hohen Preise der englischen und amerikanischen Kohle in steigendem
Maße sein Heizmaterial aus Deutschland bezieht, obwohl seine Fabriken zum
Teil eigentlich nur auf die Verfeuerung englischer Kohle eingerichtet sind. Es
ist übrigens bisher nicht genügend beachtet worden, daß das Kohlenproblem
auf Italien einen starken Druck ausüben müßte, alle Kriegsgelüste fahren zu
lassen und seine Neutralität bis zum Ende des Krieges zu bewahren, denn
sobald Deutschland dem kohlenarmen Italien nicht mehr liefert, würde sogleich
Italiens Kohlennot noch schlimmer als die Frankreichs werden, und die
italienische Handelsschiffahrt, die für das Wohl des Landes von besonderer
Bedeutung ist, würde sogleich nahezu lahmgelegt sein, da von England eher
ein empfindlicher weiterer Rückgang der Kohlenausfuhr nach Italien als eine
Steigerung in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Schweizer Zeitungen meldeten,
daß allein für die italienische Regierung täglich acht Güterzüge mit Kohlen aus
dem Ruhrgebiet über die Gotthard- und die Lötschbergbahn nach Italien
geleitet würden; dazu kommt noch die Versorgung der privaten Industrie
Italiens. Ein Eingreifen Italiens in den Krieg als Gegner feiner einstigen
Bundesgenossen würde diese Quelle natürlich sogleich verstopfen, und der "welschen


Der Rückgang der englischen Rohlenausfuhr und ihre Folg^u

jetzt viel wertvoller als in anderen Zeiten sind? Das militärische Bedürfnis,
die russischen Eisenbahnen, Kriegsschiffe und Kriegsindustrien möglichst leistungs¬
fähig zu erhalten, mag ja England nötigen, auch den russischen Kohlenhunger
nicht ganz ungestillt zu lassen; aber allen Wünschen gerecht zu werden, wird
hier noch sehr viel schwerer sein als in Frankreich.

Mit Englands Bundesgenossen leiden aber auch die mehr oder weniger
unschuldigen neutralen Staaten Europas mehr und mehr unter den Hemmnissen
der englischen Kohlenausfuhr. Sie erhalten sämtlich viel weniger Kohlen, als
sie brauchen, und müssen das wenige, was ihnen zugeführt wird, ungebührlich
teuer bezahlen. So belief sich zum Beispiel im Januar 1915 die englische
Kohleneinfuhr in Italien auf 470000 Tonnen gegenüber 791000 im Vorjahr,
in Spanien auf 159000 gegen 346000, in Ägypten auf 150000 gegen
315000, in Südamerika auf 259000 gegen 565000 Tonnen usw. Selbst
die Stützpunkte der englischen Flotte erhielten (was besonders bezeichnend ist)
nicht mehr sondern weniger Kohle als im Frieden, so zum Beispiel im November
1914 Gibraltar nur 20000 Tonnen gegen 41000 Tonnen im November 1913,
Malta nur 10000 gegen 73000 Tonnen usw. Dabei mußten die neutralen
Staaten nicht nur die stark gestiegenen Nettopreise der Kohlen bezahlen, sondern
auch die gewaltig erhöhten Unkosten der Beförderung tragen. Wie groß diese
find, mögen zwei Tatsachen klarlegen: die Schiffsfrachten zwischen England und
Spanien waren im März viermal so hoch wie vor dem Kriege, und die Ge¬
samtweizeneinfuhr eines Monats war in England der Menge nach um 11 Prozent
geringer, dem Werte nach aber um 40 Prozent höher als im gleichen Monat
des Vorjahrs! Die Rückwirkung auf die Kohlenversorgung neutraler Länder
ist sehr beträchtlich. Dies zeigt sich besonders klar in Italien, das angesichts
der sehr hohen Preise der englischen und amerikanischen Kohle in steigendem
Maße sein Heizmaterial aus Deutschland bezieht, obwohl seine Fabriken zum
Teil eigentlich nur auf die Verfeuerung englischer Kohle eingerichtet sind. Es
ist übrigens bisher nicht genügend beachtet worden, daß das Kohlenproblem
auf Italien einen starken Druck ausüben müßte, alle Kriegsgelüste fahren zu
lassen und seine Neutralität bis zum Ende des Krieges zu bewahren, denn
sobald Deutschland dem kohlenarmen Italien nicht mehr liefert, würde sogleich
Italiens Kohlennot noch schlimmer als die Frankreichs werden, und die
italienische Handelsschiffahrt, die für das Wohl des Landes von besonderer
Bedeutung ist, würde sogleich nahezu lahmgelegt sein, da von England eher
ein empfindlicher weiterer Rückgang der Kohlenausfuhr nach Italien als eine
Steigerung in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Schweizer Zeitungen meldeten,
daß allein für die italienische Regierung täglich acht Güterzüge mit Kohlen aus
dem Ruhrgebiet über die Gotthard- und die Lötschbergbahn nach Italien
geleitet würden; dazu kommt noch die Versorgung der privaten Industrie
Italiens. Ein Eingreifen Italiens in den Krieg als Gegner feiner einstigen
Bundesgenossen würde diese Quelle natürlich sogleich verstopfen, und der „welschen


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[0186] Der Rückgang der englischen Rohlenausfuhr und ihre Folg^u jetzt viel wertvoller als in anderen Zeiten sind? Das militärische Bedürfnis, die russischen Eisenbahnen, Kriegsschiffe und Kriegsindustrien möglichst leistungs¬ fähig zu erhalten, mag ja England nötigen, auch den russischen Kohlenhunger nicht ganz ungestillt zu lassen; aber allen Wünschen gerecht zu werden, wird hier noch sehr viel schwerer sein als in Frankreich. Mit Englands Bundesgenossen leiden aber auch die mehr oder weniger unschuldigen neutralen Staaten Europas mehr und mehr unter den Hemmnissen der englischen Kohlenausfuhr. Sie erhalten sämtlich viel weniger Kohlen, als sie brauchen, und müssen das wenige, was ihnen zugeführt wird, ungebührlich teuer bezahlen. So belief sich zum Beispiel im Januar 1915 die englische Kohleneinfuhr in Italien auf 470000 Tonnen gegenüber 791000 im Vorjahr, in Spanien auf 159000 gegen 346000, in Ägypten auf 150000 gegen 315000, in Südamerika auf 259000 gegen 565000 Tonnen usw. Selbst die Stützpunkte der englischen Flotte erhielten (was besonders bezeichnend ist) nicht mehr sondern weniger Kohle als im Frieden, so zum Beispiel im November 1914 Gibraltar nur 20000 Tonnen gegen 41000 Tonnen im November 1913, Malta nur 10000 gegen 73000 Tonnen usw. Dabei mußten die neutralen Staaten nicht nur die stark gestiegenen Nettopreise der Kohlen bezahlen, sondern auch die gewaltig erhöhten Unkosten der Beförderung tragen. Wie groß diese find, mögen zwei Tatsachen klarlegen: die Schiffsfrachten zwischen England und Spanien waren im März viermal so hoch wie vor dem Kriege, und die Ge¬ samtweizeneinfuhr eines Monats war in England der Menge nach um 11 Prozent geringer, dem Werte nach aber um 40 Prozent höher als im gleichen Monat des Vorjahrs! Die Rückwirkung auf die Kohlenversorgung neutraler Länder ist sehr beträchtlich. Dies zeigt sich besonders klar in Italien, das angesichts der sehr hohen Preise der englischen und amerikanischen Kohle in steigendem Maße sein Heizmaterial aus Deutschland bezieht, obwohl seine Fabriken zum Teil eigentlich nur auf die Verfeuerung englischer Kohle eingerichtet sind. Es ist übrigens bisher nicht genügend beachtet worden, daß das Kohlenproblem auf Italien einen starken Druck ausüben müßte, alle Kriegsgelüste fahren zu lassen und seine Neutralität bis zum Ende des Krieges zu bewahren, denn sobald Deutschland dem kohlenarmen Italien nicht mehr liefert, würde sogleich Italiens Kohlennot noch schlimmer als die Frankreichs werden, und die italienische Handelsschiffahrt, die für das Wohl des Landes von besonderer Bedeutung ist, würde sogleich nahezu lahmgelegt sein, da von England eher ein empfindlicher weiterer Rückgang der Kohlenausfuhr nach Italien als eine Steigerung in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Schweizer Zeitungen meldeten, daß allein für die italienische Regierung täglich acht Güterzüge mit Kohlen aus dem Ruhrgebiet über die Gotthard- und die Lötschbergbahn nach Italien geleitet würden; dazu kommt noch die Versorgung der privaten Industrie Italiens. Ein Eingreifen Italiens in den Krieg als Gegner feiner einstigen Bundesgenossen würde diese Quelle natürlich sogleich verstopfen, und der „welschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/186>, abgerufen am 22.07.2024.