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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Der Rückgang der englischen Aohlenausfuhr und ihre Folgen

UM 372/z Prozent, geringer als im gleichen Monat des Vorjahres war
(3613000 gegen 5795000 Tonnen). Das Ungeheuerlichste aber ist, daß
England selbst an empfindlicher Kohlenknappheit leidet, daß schon im September
die Londoner Gaspreise erhöht werden nutzten und daß diese absonderlichen
Verhältnisse sich immer weiter zugespitzt haben, bis jetzt England, wie gesagt,
gezwungen ist, nach dem Zeugnis des Newcastle Daily Journal große Kohlen¬
mengen in Nordamerika zu kaufen und sich langsam mit dem Gedanken des
Kohlenausfuhrverbots vertraut zu machen!

Daß damit der Kohlenknappheit in England selbst gesteuert werden wird,
ist wohl kaum zu bezweifeln. Viel bedeutsamer aber für Deutschlands Interessen
an diesen Vorgängen ist einmal die tiefgehende Wirkung auf das englische
Wirtschaftsleben, wie sie ein Kohlenausfuhrverbot durch den Fortfall der
bedeutenden Einnahmen aus den Kohlenlieferungen zur Folge haben muß, und
anderseits die geradezu unerträgliche Lage, in die zahlreiche neutrale Länder,
sowie Englands Verbündete und nahezu die gesamte nichtenglische Schiffahrt
durch die stets stärkere Erschwerung und baldige völlige Unterbindung der
Kohlenzufuhr gebracht werden müssen. Schon heut haben die Dinge vielfach
einen sehr kritischen Charakter angenommen. England muß wohl oder übel
darauf bedacht sein, in erster Linie seinen Bundesgenossen Frankreich und (nach
Wiedereröffnung des Schiffsverkehrs mit Archangelsk) Rußland in ihrer noch
weit schwereren Kohlennot beizustehen. Frankreichs normale Kohlenproduktion
ist ja seit September zu 72 Prozent in deutschen Händen, und in seinen übrig¬
gebliebenen Kohlengruben ist die Förderung, zumal im Pas de Calais, durch
Männermangel und teilweise Bedrohung durch die Kriegsvorgänge stark
beeinträchtigt. Frankreich, das schon im Frieden mehr Kohlen verbraucht als
erzeugt, und dem nun die eigenen Kohlen zu rund drei Viertel, dazu die
gesamten belgischen und deutschen Kohlen abgeschnitten sind, muß daher von
Amerika und England Kohlen beziehen, um wenigstens den dringendsten Bedarf
zu decken, und England erkennt, daß es dem Bundesgenossen, der ohnehin seine
Haut für britische Interessen zu Markte trägt, in seiner schweren Kohlennot bei¬
springen muß, teils aus Anstandsgefühl, mehr aber noch um wenigstens die
französischen Eisenbahnen und Kriegsschiffe leistungsfähig zu erhalten. So liefert
denn England, trotz seiner eigenen Schwierigkeiten, mehr Kohlen als in Friedens¬
zeiten nach Frankreich; die stark verringerte englische Gesamtkohlenausfuhr ging
im Januar 1915 zu mehr als einem Drittel nach Frankreich (1334000 von
3613000 Tonnen), während im Frieden (Januar 1914) nur etwas mehr als
ein Fünftel (1236000 von 5795000 Tonnen) Frankreich zufloß. Daß Frankreichs
Kohlenhunger durch die Vermehrung der englischen Einfuhr um nur etwa 10
Prozent unter den obwaltenden Umständen nicht annähernd gestillt werden kann,
bedarf keiner weiteren Erörterung.

Daß das kohlenarme und von der Einfuhr abgeschnittene Rußland in
vielfacher Hinficht noch übler daran ist als Frankreich, ist bekannt. Auch


Der Rückgang der englischen Aohlenausfuhr und ihre Folgen

UM 372/z Prozent, geringer als im gleichen Monat des Vorjahres war
(3613000 gegen 5795000 Tonnen). Das Ungeheuerlichste aber ist, daß
England selbst an empfindlicher Kohlenknappheit leidet, daß schon im September
die Londoner Gaspreise erhöht werden nutzten und daß diese absonderlichen
Verhältnisse sich immer weiter zugespitzt haben, bis jetzt England, wie gesagt,
gezwungen ist, nach dem Zeugnis des Newcastle Daily Journal große Kohlen¬
mengen in Nordamerika zu kaufen und sich langsam mit dem Gedanken des
Kohlenausfuhrverbots vertraut zu machen!

Daß damit der Kohlenknappheit in England selbst gesteuert werden wird,
ist wohl kaum zu bezweifeln. Viel bedeutsamer aber für Deutschlands Interessen
an diesen Vorgängen ist einmal die tiefgehende Wirkung auf das englische
Wirtschaftsleben, wie sie ein Kohlenausfuhrverbot durch den Fortfall der
bedeutenden Einnahmen aus den Kohlenlieferungen zur Folge haben muß, und
anderseits die geradezu unerträgliche Lage, in die zahlreiche neutrale Länder,
sowie Englands Verbündete und nahezu die gesamte nichtenglische Schiffahrt
durch die stets stärkere Erschwerung und baldige völlige Unterbindung der
Kohlenzufuhr gebracht werden müssen. Schon heut haben die Dinge vielfach
einen sehr kritischen Charakter angenommen. England muß wohl oder übel
darauf bedacht sein, in erster Linie seinen Bundesgenossen Frankreich und (nach
Wiedereröffnung des Schiffsverkehrs mit Archangelsk) Rußland in ihrer noch
weit schwereren Kohlennot beizustehen. Frankreichs normale Kohlenproduktion
ist ja seit September zu 72 Prozent in deutschen Händen, und in seinen übrig¬
gebliebenen Kohlengruben ist die Förderung, zumal im Pas de Calais, durch
Männermangel und teilweise Bedrohung durch die Kriegsvorgänge stark
beeinträchtigt. Frankreich, das schon im Frieden mehr Kohlen verbraucht als
erzeugt, und dem nun die eigenen Kohlen zu rund drei Viertel, dazu die
gesamten belgischen und deutschen Kohlen abgeschnitten sind, muß daher von
Amerika und England Kohlen beziehen, um wenigstens den dringendsten Bedarf
zu decken, und England erkennt, daß es dem Bundesgenossen, der ohnehin seine
Haut für britische Interessen zu Markte trägt, in seiner schweren Kohlennot bei¬
springen muß, teils aus Anstandsgefühl, mehr aber noch um wenigstens die
französischen Eisenbahnen und Kriegsschiffe leistungsfähig zu erhalten. So liefert
denn England, trotz seiner eigenen Schwierigkeiten, mehr Kohlen als in Friedens¬
zeiten nach Frankreich; die stark verringerte englische Gesamtkohlenausfuhr ging
im Januar 1915 zu mehr als einem Drittel nach Frankreich (1334000 von
3613000 Tonnen), während im Frieden (Januar 1914) nur etwas mehr als
ein Fünftel (1236000 von 5795000 Tonnen) Frankreich zufloß. Daß Frankreichs
Kohlenhunger durch die Vermehrung der englischen Einfuhr um nur etwa 10
Prozent unter den obwaltenden Umständen nicht annähernd gestillt werden kann,
bedarf keiner weiteren Erörterung.

Daß das kohlenarme und von der Einfuhr abgeschnittene Rußland in
vielfacher Hinficht noch übler daran ist als Frankreich, ist bekannt. Auch


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[0184] Der Rückgang der englischen Aohlenausfuhr und ihre Folgen UM 372/z Prozent, geringer als im gleichen Monat des Vorjahres war (3613000 gegen 5795000 Tonnen). Das Ungeheuerlichste aber ist, daß England selbst an empfindlicher Kohlenknappheit leidet, daß schon im September die Londoner Gaspreise erhöht werden nutzten und daß diese absonderlichen Verhältnisse sich immer weiter zugespitzt haben, bis jetzt England, wie gesagt, gezwungen ist, nach dem Zeugnis des Newcastle Daily Journal große Kohlen¬ mengen in Nordamerika zu kaufen und sich langsam mit dem Gedanken des Kohlenausfuhrverbots vertraut zu machen! Daß damit der Kohlenknappheit in England selbst gesteuert werden wird, ist wohl kaum zu bezweifeln. Viel bedeutsamer aber für Deutschlands Interessen an diesen Vorgängen ist einmal die tiefgehende Wirkung auf das englische Wirtschaftsleben, wie sie ein Kohlenausfuhrverbot durch den Fortfall der bedeutenden Einnahmen aus den Kohlenlieferungen zur Folge haben muß, und anderseits die geradezu unerträgliche Lage, in die zahlreiche neutrale Länder, sowie Englands Verbündete und nahezu die gesamte nichtenglische Schiffahrt durch die stets stärkere Erschwerung und baldige völlige Unterbindung der Kohlenzufuhr gebracht werden müssen. Schon heut haben die Dinge vielfach einen sehr kritischen Charakter angenommen. England muß wohl oder übel darauf bedacht sein, in erster Linie seinen Bundesgenossen Frankreich und (nach Wiedereröffnung des Schiffsverkehrs mit Archangelsk) Rußland in ihrer noch weit schwereren Kohlennot beizustehen. Frankreichs normale Kohlenproduktion ist ja seit September zu 72 Prozent in deutschen Händen, und in seinen übrig¬ gebliebenen Kohlengruben ist die Förderung, zumal im Pas de Calais, durch Männermangel und teilweise Bedrohung durch die Kriegsvorgänge stark beeinträchtigt. Frankreich, das schon im Frieden mehr Kohlen verbraucht als erzeugt, und dem nun die eigenen Kohlen zu rund drei Viertel, dazu die gesamten belgischen und deutschen Kohlen abgeschnitten sind, muß daher von Amerika und England Kohlen beziehen, um wenigstens den dringendsten Bedarf zu decken, und England erkennt, daß es dem Bundesgenossen, der ohnehin seine Haut für britische Interessen zu Markte trägt, in seiner schweren Kohlennot bei¬ springen muß, teils aus Anstandsgefühl, mehr aber noch um wenigstens die französischen Eisenbahnen und Kriegsschiffe leistungsfähig zu erhalten. So liefert denn England, trotz seiner eigenen Schwierigkeiten, mehr Kohlen als in Friedens¬ zeiten nach Frankreich; die stark verringerte englische Gesamtkohlenausfuhr ging im Januar 1915 zu mehr als einem Drittel nach Frankreich (1334000 von 3613000 Tonnen), während im Frieden (Januar 1914) nur etwas mehr als ein Fünftel (1236000 von 5795000 Tonnen) Frankreich zufloß. Daß Frankreichs Kohlenhunger durch die Vermehrung der englischen Einfuhr um nur etwa 10 Prozent unter den obwaltenden Umständen nicht annähernd gestillt werden kann, bedarf keiner weiteren Erörterung. Daß das kohlenarme und von der Einfuhr abgeschnittene Rußland in vielfacher Hinficht noch übler daran ist als Frankreich, ist bekannt. Auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/184>, abgerufen am 22.07.2024.