Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Napoleons Plan einer Invasion Englands <hos--^8os

Endlich muß man fragen: konnte der Plan einer Invasion Englands
überhaupt gelingen? Und da darf man allerdings von vornherein zugestehen:
das ganze Projekt hatte etwas Phantastisches; es war ein Abenteuer, freilich
ein gigantisches, etwa wie später der Zug nach Rußland. Aber damit ist nicht
gesagt, daß es geradezu als Schimäre anzusehen sei; im Gegenteil, es ließ sich
so gewiß verwirklichen, wie es sorgfältig vorbereitet war; nur etwas mehr
Glück mußte der Kaiser haben. Ohne Zweifel konnte der neue Pharao in den
Fluten versinken, ehe er Britannien erreichte; war er aber einmal gelandet,
wer wollte ihm widerstehen? Die englische Armee war bei der Länge der von
ihr zu schützenden Küste arg zersplittert und auch wohl den Truppen nicht
gleichwertig, die bald bei Austerlitz und bei Jena die tüchtigsten Heere Europas
zu Boden warfen.


"Ringsum den Erdball steckst du in Brand, um zu plündern im Wirrwarr,
Ähnlich dem gierigen Hai streichst du dahin durch die See",

so schildert der bekannte schwedische Dichter Esaias Tegner die maritime
Tätigkeit Englands, aber er prophezeit auch:


"Doch an dem Strande einmal steigt dir der Rächer empor",

und es fehlte nicht viel, so übernahm Napoleon diese Rolle eines Exekutiobeamten
der seefahrenden Menschheit. Denkbar ist ja allerdings, daß Nelson nach des
Kaisers Übergang möglichst viele englische Schiffe sammelte, sich mit diesen
in den Kanal legte und so die Franzosen von ihrer Heimat abschnitt; dann
wäre Napoleon in dem von ihm eroberten Inselreiche gewissermaßen gefangen
gewesen. Aber einer siegreichen Armee gegenüber, die auf britischen Boden
stand, würden die Engländer auch dann wahrscheinlich zum Frieden geneigt
gewesen sein.

Doch das wogenumgürtete Land, das sie bedrohten, haben die französischen
Krieger nie gesehen; Nelsons Sieg bei Trafalgar, kaum hoch genug zu bewerten,
befreite es definitiv von der Besorgnis vor napoleonischen Landungsplänen: der
Dreizack blieb den Briten, und der Union Jack beherrschte nach wie vor fraglos
die Meere.




Napoleons Plan einer Invasion Englands <hos—^8os

Endlich muß man fragen: konnte der Plan einer Invasion Englands
überhaupt gelingen? Und da darf man allerdings von vornherein zugestehen:
das ganze Projekt hatte etwas Phantastisches; es war ein Abenteuer, freilich
ein gigantisches, etwa wie später der Zug nach Rußland. Aber damit ist nicht
gesagt, daß es geradezu als Schimäre anzusehen sei; im Gegenteil, es ließ sich
so gewiß verwirklichen, wie es sorgfältig vorbereitet war; nur etwas mehr
Glück mußte der Kaiser haben. Ohne Zweifel konnte der neue Pharao in den
Fluten versinken, ehe er Britannien erreichte; war er aber einmal gelandet,
wer wollte ihm widerstehen? Die englische Armee war bei der Länge der von
ihr zu schützenden Küste arg zersplittert und auch wohl den Truppen nicht
gleichwertig, die bald bei Austerlitz und bei Jena die tüchtigsten Heere Europas
zu Boden warfen.


„Ringsum den Erdball steckst du in Brand, um zu plündern im Wirrwarr,
Ähnlich dem gierigen Hai streichst du dahin durch die See",

so schildert der bekannte schwedische Dichter Esaias Tegner die maritime
Tätigkeit Englands, aber er prophezeit auch:


„Doch an dem Strande einmal steigt dir der Rächer empor",

und es fehlte nicht viel, so übernahm Napoleon diese Rolle eines Exekutiobeamten
der seefahrenden Menschheit. Denkbar ist ja allerdings, daß Nelson nach des
Kaisers Übergang möglichst viele englische Schiffe sammelte, sich mit diesen
in den Kanal legte und so die Franzosen von ihrer Heimat abschnitt; dann
wäre Napoleon in dem von ihm eroberten Inselreiche gewissermaßen gefangen
gewesen. Aber einer siegreichen Armee gegenüber, die auf britischen Boden
stand, würden die Engländer auch dann wahrscheinlich zum Frieden geneigt
gewesen sein.

Doch das wogenumgürtete Land, das sie bedrohten, haben die französischen
Krieger nie gesehen; Nelsons Sieg bei Trafalgar, kaum hoch genug zu bewerten,
befreite es definitiv von der Besorgnis vor napoleonischen Landungsplänen: der
Dreizack blieb den Briten, und der Union Jack beherrschte nach wie vor fraglos
die Meere.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323699"/>
          <fw type="header" place="top"> Napoleons Plan einer Invasion Englands &lt;hos&#x2014;^8os</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_518" next="#ID_519"> Endlich muß man fragen: konnte der Plan einer Invasion Englands<lb/>
überhaupt gelingen? Und da darf man allerdings von vornherein zugestehen:<lb/>
das ganze Projekt hatte etwas Phantastisches; es war ein Abenteuer, freilich<lb/>
ein gigantisches, etwa wie später der Zug nach Rußland. Aber damit ist nicht<lb/>
gesagt, daß es geradezu als Schimäre anzusehen sei; im Gegenteil, es ließ sich<lb/>
so gewiß verwirklichen, wie es sorgfältig vorbereitet war; nur etwas mehr<lb/>
Glück mußte der Kaiser haben. Ohne Zweifel konnte der neue Pharao in den<lb/>
Fluten versinken, ehe er Britannien erreichte; war er aber einmal gelandet,<lb/>
wer wollte ihm widerstehen? Die englische Armee war bei der Länge der von<lb/>
ihr zu schützenden Küste arg zersplittert und auch wohl den Truppen nicht<lb/>
gleichwertig, die bald bei Austerlitz und bei Jena die tüchtigsten Heere Europas<lb/>
zu Boden warfen.</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Ringsum den Erdball steckst du in Brand, um zu plündern im Wirrwarr,<lb/>
Ähnlich dem gierigen Hai streichst du dahin durch die See",</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_519" prev="#ID_518" next="#ID_520"> so schildert der bekannte schwedische Dichter Esaias Tegner die maritime<lb/>
Tätigkeit Englands, aber er prophezeit auch:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Doch an dem Strande einmal steigt dir der Rächer empor",</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_520" prev="#ID_519"> und es fehlte nicht viel, so übernahm Napoleon diese Rolle eines Exekutiobeamten<lb/>
der seefahrenden Menschheit. Denkbar ist ja allerdings, daß Nelson nach des<lb/>
Kaisers Übergang möglichst viele englische Schiffe sammelte, sich mit diesen<lb/>
in den Kanal legte und so die Franzosen von ihrer Heimat abschnitt; dann<lb/>
wäre Napoleon in dem von ihm eroberten Inselreiche gewissermaßen gefangen<lb/>
gewesen. Aber einer siegreichen Armee gegenüber, die auf britischen Boden<lb/>
stand, würden die Engländer auch dann wahrscheinlich zum Frieden geneigt<lb/>
gewesen sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_521"> Doch das wogenumgürtete Land, das sie bedrohten, haben die französischen<lb/>
Krieger nie gesehen; Nelsons Sieg bei Trafalgar, kaum hoch genug zu bewerten,<lb/>
befreite es definitiv von der Besorgnis vor napoleonischen Landungsplänen: der<lb/>
Dreizack blieb den Briten, und der Union Jack beherrschte nach wie vor fraglos<lb/>
die Meere.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Napoleons Plan einer Invasion Englands <hos—^8os Endlich muß man fragen: konnte der Plan einer Invasion Englands überhaupt gelingen? Und da darf man allerdings von vornherein zugestehen: das ganze Projekt hatte etwas Phantastisches; es war ein Abenteuer, freilich ein gigantisches, etwa wie später der Zug nach Rußland. Aber damit ist nicht gesagt, daß es geradezu als Schimäre anzusehen sei; im Gegenteil, es ließ sich so gewiß verwirklichen, wie es sorgfältig vorbereitet war; nur etwas mehr Glück mußte der Kaiser haben. Ohne Zweifel konnte der neue Pharao in den Fluten versinken, ehe er Britannien erreichte; war er aber einmal gelandet, wer wollte ihm widerstehen? Die englische Armee war bei der Länge der von ihr zu schützenden Küste arg zersplittert und auch wohl den Truppen nicht gleichwertig, die bald bei Austerlitz und bei Jena die tüchtigsten Heere Europas zu Boden warfen. „Ringsum den Erdball steckst du in Brand, um zu plündern im Wirrwarr, Ähnlich dem gierigen Hai streichst du dahin durch die See", so schildert der bekannte schwedische Dichter Esaias Tegner die maritime Tätigkeit Englands, aber er prophezeit auch: „Doch an dem Strande einmal steigt dir der Rächer empor", und es fehlte nicht viel, so übernahm Napoleon diese Rolle eines Exekutiobeamten der seefahrenden Menschheit. Denkbar ist ja allerdings, daß Nelson nach des Kaisers Übergang möglichst viele englische Schiffe sammelte, sich mit diesen in den Kanal legte und so die Franzosen von ihrer Heimat abschnitt; dann wäre Napoleon in dem von ihm eroberten Inselreiche gewissermaßen gefangen gewesen. Aber einer siegreichen Armee gegenüber, die auf britischen Boden stand, würden die Engländer auch dann wahrscheinlich zum Frieden geneigt gewesen sein. Doch das wogenumgürtete Land, das sie bedrohten, haben die französischen Krieger nie gesehen; Nelsons Sieg bei Trafalgar, kaum hoch genug zu bewerten, befreite es definitiv von der Besorgnis vor napoleonischen Landungsplänen: der Dreizack blieb den Briten, und der Union Jack beherrschte nach wie vor fraglos die Meere.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/160>, abgerufen am 24.08.2024.