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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Schweden und der Weltkrieg

eines Artikels imAugusthest von "Tiber" dar, habe "seine Stunde richtig gewählt",
und seine "Berechnungen würden vielleicht binnen kurzer Zeit sich verwirklichen
und Deutschland der Herr der Welt sein". In derselben Nummer verstattet
man aber noch einmal auch einem Verteidiger Deutschlands das Wort, der die
unberechtigten Anklagen gegen unser Land abweist. Er zeigt Deutschlands
Versuche, den Frieden zu bewahren und legt dar, daß es einen gerechten Krieg
führt, weil es durch eine große Übermacht gezwungen wurde, die Waffen zu
ergreifen; -- nun kämpft es für die Aufrechterhaltung seiner Existenz.

Stellt man sich einmal auf den Standpunkt, daß Deutschland den Krieg
gewollt hat, so wird man ihm gegenüber eine um so feindlichere Stellung
einnehmen, je mehr das eigene Land unter dem Kriege zu leiden hat. Die
Wirkungen der jetzigen Lage find aber für Schweden sehr bedeutend gewesen;
insbesondere haben die breiten Schichten des Volkes, die Arbeitermassen, die
ungünstige Lage des Arbeitsmarktes und die Verteuerung der Lebensmittel sehr
gespürt. Die Arbeitslosenziffern waren im Dezember in Schweden höher als in
Deutschland. Während sie dort im letzten Vierteljahr des Jahres 1913
2,2 Prozent, 2,6 Prozent und 4,4 Prozent betrugen, zeigen sie 1914 mit
7,7 Prozent, 8,1 Prozent und 10,3 Prozent die eingetretene Krisis. Selbst¬
verständlich sind es besonders die Arbeiter der Exportindustrien, die durch den
Krieg stark betroffen werden. Groß war die Arbeitslosigkeit in der Stein- und
Tonindustrie, die 1911 von den 305000 schwedischen Industriearbeitern
rund 31000 beschäftigte. Der Wert der Steinausfuhr betrug 1911 rund
14^2 Millionen Kronen, das Hauptabsatzland ist Deutschland. Auch das Bau¬
gewerbe hatte noch unter einer stärkeren Arbeitslosigkeit zu leiden wie in
gewöhnlichen Wintern. Die Preise einiger Lebensmittel -- insbesondere Fleisch --
sind in Schweden sehr stark gestiegen.

Als die deutsche Regierung am 23. November bearbeitete und un¬
bearbeitete schwedische Hölzer als relative Kriegskonterbande erklärte, da
versäumte man in sozialdemokratischen Kreisen nicht, die Handlungsweise
Deutschlands zu brandmarken. Nur die rechtsstehende Presse wies energisch auf
den Handelskrieg Englands hin, der die Interessen der skandinavischen Staaten
tödlich verletzt. Gerade für Schweden hatte die Erklärung der relativen Konter¬
bande zur absoluten die schwersten Folgen. Allerdings ist der Holzexport für
die schwedische Volkswirtschaft Lebensbedingung. 52 Prozent des Landes sind
mit Wald bedeckt und die zahlreichen Flußläufe und Seen ermöglichen einen
billigen Transport der Hölzer. 1911 betrug die Ausfuhr unbearbeiteter,
behauener und gesägter Hölzer sechs Millionen Kubikmeter. Von besonderer
Bedeutung war die Verordnung vom 23. November dadurch, daß mehr wie
der dritte Teil der schwedischen Holzausfuhr nach Großbritannien gerichtet ist.
Eine Krisis in der Sägemühlenindustrie muß schon deshalb von schweren
Folgen begleitet sein, weil allein rund 40000 Arbeiter dort beschäftigt sind.
Aber die Erklärung vom 23. November hat trotzdem nicht so einschneidend


Schweden und der Weltkrieg

eines Artikels imAugusthest von „Tiber" dar, habe „seine Stunde richtig gewählt",
und seine „Berechnungen würden vielleicht binnen kurzer Zeit sich verwirklichen
und Deutschland der Herr der Welt sein". In derselben Nummer verstattet
man aber noch einmal auch einem Verteidiger Deutschlands das Wort, der die
unberechtigten Anklagen gegen unser Land abweist. Er zeigt Deutschlands
Versuche, den Frieden zu bewahren und legt dar, daß es einen gerechten Krieg
führt, weil es durch eine große Übermacht gezwungen wurde, die Waffen zu
ergreifen; — nun kämpft es für die Aufrechterhaltung seiner Existenz.

Stellt man sich einmal auf den Standpunkt, daß Deutschland den Krieg
gewollt hat, so wird man ihm gegenüber eine um so feindlichere Stellung
einnehmen, je mehr das eigene Land unter dem Kriege zu leiden hat. Die
Wirkungen der jetzigen Lage find aber für Schweden sehr bedeutend gewesen;
insbesondere haben die breiten Schichten des Volkes, die Arbeitermassen, die
ungünstige Lage des Arbeitsmarktes und die Verteuerung der Lebensmittel sehr
gespürt. Die Arbeitslosenziffern waren im Dezember in Schweden höher als in
Deutschland. Während sie dort im letzten Vierteljahr des Jahres 1913
2,2 Prozent, 2,6 Prozent und 4,4 Prozent betrugen, zeigen sie 1914 mit
7,7 Prozent, 8,1 Prozent und 10,3 Prozent die eingetretene Krisis. Selbst¬
verständlich sind es besonders die Arbeiter der Exportindustrien, die durch den
Krieg stark betroffen werden. Groß war die Arbeitslosigkeit in der Stein- und
Tonindustrie, die 1911 von den 305000 schwedischen Industriearbeitern
rund 31000 beschäftigte. Der Wert der Steinausfuhr betrug 1911 rund
14^2 Millionen Kronen, das Hauptabsatzland ist Deutschland. Auch das Bau¬
gewerbe hatte noch unter einer stärkeren Arbeitslosigkeit zu leiden wie in
gewöhnlichen Wintern. Die Preise einiger Lebensmittel — insbesondere Fleisch —
sind in Schweden sehr stark gestiegen.

Als die deutsche Regierung am 23. November bearbeitete und un¬
bearbeitete schwedische Hölzer als relative Kriegskonterbande erklärte, da
versäumte man in sozialdemokratischen Kreisen nicht, die Handlungsweise
Deutschlands zu brandmarken. Nur die rechtsstehende Presse wies energisch auf
den Handelskrieg Englands hin, der die Interessen der skandinavischen Staaten
tödlich verletzt. Gerade für Schweden hatte die Erklärung der relativen Konter¬
bande zur absoluten die schwersten Folgen. Allerdings ist der Holzexport für
die schwedische Volkswirtschaft Lebensbedingung. 52 Prozent des Landes sind
mit Wald bedeckt und die zahlreichen Flußläufe und Seen ermöglichen einen
billigen Transport der Hölzer. 1911 betrug die Ausfuhr unbearbeiteter,
behauener und gesägter Hölzer sechs Millionen Kubikmeter. Von besonderer
Bedeutung war die Verordnung vom 23. November dadurch, daß mehr wie
der dritte Teil der schwedischen Holzausfuhr nach Großbritannien gerichtet ist.
Eine Krisis in der Sägemühlenindustrie muß schon deshalb von schweren
Folgen begleitet sein, weil allein rund 40000 Arbeiter dort beschäftigt sind.
Aber die Erklärung vom 23. November hat trotzdem nicht so einschneidend


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[0114] Schweden und der Weltkrieg eines Artikels imAugusthest von „Tiber" dar, habe „seine Stunde richtig gewählt", und seine „Berechnungen würden vielleicht binnen kurzer Zeit sich verwirklichen und Deutschland der Herr der Welt sein". In derselben Nummer verstattet man aber noch einmal auch einem Verteidiger Deutschlands das Wort, der die unberechtigten Anklagen gegen unser Land abweist. Er zeigt Deutschlands Versuche, den Frieden zu bewahren und legt dar, daß es einen gerechten Krieg führt, weil es durch eine große Übermacht gezwungen wurde, die Waffen zu ergreifen; — nun kämpft es für die Aufrechterhaltung seiner Existenz. Stellt man sich einmal auf den Standpunkt, daß Deutschland den Krieg gewollt hat, so wird man ihm gegenüber eine um so feindlichere Stellung einnehmen, je mehr das eigene Land unter dem Kriege zu leiden hat. Die Wirkungen der jetzigen Lage find aber für Schweden sehr bedeutend gewesen; insbesondere haben die breiten Schichten des Volkes, die Arbeitermassen, die ungünstige Lage des Arbeitsmarktes und die Verteuerung der Lebensmittel sehr gespürt. Die Arbeitslosenziffern waren im Dezember in Schweden höher als in Deutschland. Während sie dort im letzten Vierteljahr des Jahres 1913 2,2 Prozent, 2,6 Prozent und 4,4 Prozent betrugen, zeigen sie 1914 mit 7,7 Prozent, 8,1 Prozent und 10,3 Prozent die eingetretene Krisis. Selbst¬ verständlich sind es besonders die Arbeiter der Exportindustrien, die durch den Krieg stark betroffen werden. Groß war die Arbeitslosigkeit in der Stein- und Tonindustrie, die 1911 von den 305000 schwedischen Industriearbeitern rund 31000 beschäftigte. Der Wert der Steinausfuhr betrug 1911 rund 14^2 Millionen Kronen, das Hauptabsatzland ist Deutschland. Auch das Bau¬ gewerbe hatte noch unter einer stärkeren Arbeitslosigkeit zu leiden wie in gewöhnlichen Wintern. Die Preise einiger Lebensmittel — insbesondere Fleisch — sind in Schweden sehr stark gestiegen. Als die deutsche Regierung am 23. November bearbeitete und un¬ bearbeitete schwedische Hölzer als relative Kriegskonterbande erklärte, da versäumte man in sozialdemokratischen Kreisen nicht, die Handlungsweise Deutschlands zu brandmarken. Nur die rechtsstehende Presse wies energisch auf den Handelskrieg Englands hin, der die Interessen der skandinavischen Staaten tödlich verletzt. Gerade für Schweden hatte die Erklärung der relativen Konter¬ bande zur absoluten die schwersten Folgen. Allerdings ist der Holzexport für die schwedische Volkswirtschaft Lebensbedingung. 52 Prozent des Landes sind mit Wald bedeckt und die zahlreichen Flußläufe und Seen ermöglichen einen billigen Transport der Hölzer. 1911 betrug die Ausfuhr unbearbeiteter, behauener und gesägter Hölzer sechs Millionen Kubikmeter. Von besonderer Bedeutung war die Verordnung vom 23. November dadurch, daß mehr wie der dritte Teil der schwedischen Holzausfuhr nach Großbritannien gerichtet ist. Eine Krisis in der Sägemühlenindustrie muß schon deshalb von schweren Folgen begleitet sein, weil allein rund 40000 Arbeiter dort beschäftigt sind. Aber die Erklärung vom 23. November hat trotzdem nicht so einschneidend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/114>, abgerufen am 22.07.2024.