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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Gobineau über Deutsche und Franzosen

fiun in diesem Kriege auf französischer Seite eine gar so geringe Rolle
gespielt haben.

Wenn schon Zeit- und Landesgenossen, welche von diesen Denkwürdigkeiten
noch keine Kenntnis haben konnten, Bezeichnungen wie "^Icests an patrioti8ML"
(von dem Helden des Moliöreschen Misanthrope hergenommen) oder "Lonnötabls
6Sö lsttrs8" (nach dem unter anderm von ihm selbst in der Renaissance ver¬
ewigten Connötable von Bourbon) auf Gobineau anwandten, so wird doch erst,
wer die Betrachtungen jener fast allzulange der Welt vorenthaltenen Blätter in
ihrem vollen Umfange und Zusammenhange in sich aufgenommen hat, den Sinn
und die Berechtigung derartiger Bezeichnungen ganz ermessen und sich die Leiden
ausmalen können, welche ein solcher Patriotismus des Wahrheit- und Wahr-
heitensagens seinem Träger einbringen mußte.

Aber ein vollständiges Bild des Gobineau von 1870 würden darum diese
Kriegsbetrachtungen noch lange nicht ergeben. Sie enthalten nur erst die eine,
gewissermaßen die negative Seite. Die positive gehört aber unbedingt hinzu,
wenn man dem Manne gerecht werden will, diesem Manne, der im gleichen
Atem, da er (beim Ausbruch des Krieges) die herbsten Urteile über sein Volk
zu äußern sich gedrungen fühlt, mit den Worten "aber jetzt ist keine Zeit zum
Anklagen, sondern zum Handeln" sich aufrafft, sich besinnt, daß er hier nicht
mehr Geistesmensch, sondern ganz Wirklichkeitsmensch zu sein habe und nun,
in amtlicher wie reinmenschlicher Eigenschaft, für die Beruhigung und richtige
Anleitung seiner Umgebung, für die Organisierung der Verteidigung, die Ver¬
pflegung der Truppen, insbesondere auch die Pflege der Verwundeten, für den
amtlichen Verkehr mit dem Feinde und für die Milderung der seinem Departement
von diesem auferlegten Bedingungen unter fortwährenden eigenen Kämpfen und
Gefahren -- er hat einmal sogar eine Einsperrung durch den falschen Übereifer
eines deutschen Präfekten erlitten -- so außerordentliches leistet, daß wenigstens
in diesem Falle einmal die matzgebenden Wortführer seines Volkes rückhaltlos
anerkannt haben, es sei dies wahrhaft vorbildlich gewesen und über das Matz
Hessen hinausgegangen, was man selbst von einem Edelmann seiner Art an
Patriotismus gewohnt gewesen sei. Mit Recht konnte denn auch Lord Lytton
damals ihm sagen: "Hätte Frankreich mehr Männer wie Sie. würde es diesen
unsinnigen Krieg nicht angefangen, einmal angefangen aber nicht so verloren,
einmal verloren aber sich ganz anders wieder davon erhoben haben."

In jenen Tagen haben denn auch seine Landsleute einmal Verständnis
für ihn bewiesen, ja er war eine Zeitlang wirklich populär, und man hoffte
seine Dienste dem Vaterlande in ähnlicher Weise, wie während des Krieges, anch
fernerhin erhalten zu können. Aber Gobineau hat von dieser Popularität keinen
Gebrauch gemacht, Senats- und Deputiertenkandidaturen abgelehnt, womit von
selbst auch die Hoffnung einzelner Freunde, datz er etwa die Führung der
Konservativen in Frankreich in die Hand nehmen könne, wozu er vor anderen
berufen schien, hinfiel. Er glaubte wohl im Innersten nicht mehr an eine rechte


Gobineau über Deutsche und Franzosen

fiun in diesem Kriege auf französischer Seite eine gar so geringe Rolle
gespielt haben.

Wenn schon Zeit- und Landesgenossen, welche von diesen Denkwürdigkeiten
noch keine Kenntnis haben konnten, Bezeichnungen wie „^Icests an patrioti8ML"
(von dem Helden des Moliöreschen Misanthrope hergenommen) oder „Lonnötabls
6Sö lsttrs8" (nach dem unter anderm von ihm selbst in der Renaissance ver¬
ewigten Connötable von Bourbon) auf Gobineau anwandten, so wird doch erst,
wer die Betrachtungen jener fast allzulange der Welt vorenthaltenen Blätter in
ihrem vollen Umfange und Zusammenhange in sich aufgenommen hat, den Sinn
und die Berechtigung derartiger Bezeichnungen ganz ermessen und sich die Leiden
ausmalen können, welche ein solcher Patriotismus des Wahrheit- und Wahr-
heitensagens seinem Träger einbringen mußte.

Aber ein vollständiges Bild des Gobineau von 1870 würden darum diese
Kriegsbetrachtungen noch lange nicht ergeben. Sie enthalten nur erst die eine,
gewissermaßen die negative Seite. Die positive gehört aber unbedingt hinzu,
wenn man dem Manne gerecht werden will, diesem Manne, der im gleichen
Atem, da er (beim Ausbruch des Krieges) die herbsten Urteile über sein Volk
zu äußern sich gedrungen fühlt, mit den Worten „aber jetzt ist keine Zeit zum
Anklagen, sondern zum Handeln" sich aufrafft, sich besinnt, daß er hier nicht
mehr Geistesmensch, sondern ganz Wirklichkeitsmensch zu sein habe und nun,
in amtlicher wie reinmenschlicher Eigenschaft, für die Beruhigung und richtige
Anleitung seiner Umgebung, für die Organisierung der Verteidigung, die Ver¬
pflegung der Truppen, insbesondere auch die Pflege der Verwundeten, für den
amtlichen Verkehr mit dem Feinde und für die Milderung der seinem Departement
von diesem auferlegten Bedingungen unter fortwährenden eigenen Kämpfen und
Gefahren — er hat einmal sogar eine Einsperrung durch den falschen Übereifer
eines deutschen Präfekten erlitten — so außerordentliches leistet, daß wenigstens
in diesem Falle einmal die matzgebenden Wortführer seines Volkes rückhaltlos
anerkannt haben, es sei dies wahrhaft vorbildlich gewesen und über das Matz
Hessen hinausgegangen, was man selbst von einem Edelmann seiner Art an
Patriotismus gewohnt gewesen sei. Mit Recht konnte denn auch Lord Lytton
damals ihm sagen: „Hätte Frankreich mehr Männer wie Sie. würde es diesen
unsinnigen Krieg nicht angefangen, einmal angefangen aber nicht so verloren,
einmal verloren aber sich ganz anders wieder davon erhoben haben."

In jenen Tagen haben denn auch seine Landsleute einmal Verständnis
für ihn bewiesen, ja er war eine Zeitlang wirklich populär, und man hoffte
seine Dienste dem Vaterlande in ähnlicher Weise, wie während des Krieges, anch
fernerhin erhalten zu können. Aber Gobineau hat von dieser Popularität keinen
Gebrauch gemacht, Senats- und Deputiertenkandidaturen abgelehnt, womit von
selbst auch die Hoffnung einzelner Freunde, datz er etwa die Führung der
Konservativen in Frankreich in die Hand nehmen könne, wozu er vor anderen
berufen schien, hinfiel. Er glaubte wohl im Innersten nicht mehr an eine rechte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/101>, abgerufen am 22.07.2024.