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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Rechts frieden

soweit sie überhaupt die gleiche Ausbildung wie die Richter haben, was
bekanntlich allein in Württemberg, abgesehen von den dortigen Anwaltsnotaren,
nicht der Fall ist, nur in Bayern, Baden, Reichslande, Hamburg, zum
Teil auch in Rheinpreußen und Württemberg, nicht aus dem Stande der
Rechtsanwälte hervorgegangen find, so bleiben für den größten Teil des
Deutschen Reiches als weitere Personenstandsklasse, der die Leiter der Einigungs¬
ämter entnommen werden könnten, nur die Rechtsanwälte oder früheren
Rechtsanwälte übrig. Sie sind meines Erachtens aber auch im besonderen
Maße geeignet, soweit im einzelnen Falle persönliche Neigung und Anlagen,
sowie sonstige Eigenschaften dem nicht widersprechen, als Leiter dieser Friedens¬
ämter berufen zu werden. Ausgerüstet mit der gleichen juristischen Qualifikation
wie die Richter und im stündigen unmittelbaren Verkehr mit dem rechtsuchenden
Publikum stehend, haben sich jedenfalls die älteren von ihnen eine Erfahrung
im Verkehr mit dem Publikum angeeignet, die manchem Richter seinem prak¬
tischen Entwicklungsgange entsprechend abgeht. Sie haben außerdem durch ihre
jahrelange Prozeßführung die unvermeidlichen Schäden und unheilvollen Neben¬
folgen aller Prozesse zur Genüge kennen gelernt, und man wird daher annehmen
dürfen, daß sie in einer dem Bedürfnisse entsprechenden Zahl in reiferen Jahren
gern dazu übergehen werden, ihre Tätigkeit statt der Vertretung von Partei¬
interessen, nunmehr der aufbauenden produktiven Tätigkeit der gütlichen Ver¬
mittlung und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zu widmen. Man wende nicht
ein, daß der Anwalt durch jahrelange Vertretung von Parteiinteressen die
allerdings notwendige objektive Denkweise verloren habe. Dagegen spricht allein
der Umstand, daß manche Rechtsanwälte mit schönstem Erfolge und in aus¬
gedehntem Umfange die Güteverhandlungen in der Stille des Sprechzimmers
pflegen, und dagegen sprechen im stärksten Maße die oben erwähnten Ergebnisse
des von Nechtsanwälten ehrenamtlich geleiteten Frankfurter Einigungsamtes.
Solange der Rechtsanwalt nur die eine der streitenden Parteien hört, und so¬
lange es die Pflicht des Rechtsanwalts ist, das Interesse dieser Partei --
selbstverständlich nur, soweit er es nach der immer mehr oder weniger einseitigen
Parteiinstruktion als tatsächlich und rechtlich begründet erkennt -- zu vertreten,
solange wird man von ihm eben nichts anderes als die Vertretung dieser ein¬
seitigen Parteiinteressen erwarten dürfen. Hätte er aber vornherein auch die
gegnerische Partei gehört, so würde sicherlich manche Klage, aus deren An¬
strengung man später auf eine allzu subjektive Denkweise des Rechtsanwalts
mit Unrecht folgern zu müssen glaubt, nicht erhoben, anderseits manche Klage¬
beantwortung nicht erfolgt sein. Allerdings muß zwecks Wahrung vollständiger
Objektivität, ganz vornehmlich in den Augen des die Güterverhandlungen an¬
rufenden Publikums, notwendig gefordert werden, daß die Leiter derselben
völlig uninteressiert sind, also, da sie nicht immer, wie in den jetzigen Kriegs¬
zeiten ehrenamtlich und unentgeltlich tätig sein können, ein festes Gehalt beziehen.
Daß dadurch die Arbeitsfreudigkeit der Verhandlungsleiter geschmälert oder sie


Rechts frieden

soweit sie überhaupt die gleiche Ausbildung wie die Richter haben, was
bekanntlich allein in Württemberg, abgesehen von den dortigen Anwaltsnotaren,
nicht der Fall ist, nur in Bayern, Baden, Reichslande, Hamburg, zum
Teil auch in Rheinpreußen und Württemberg, nicht aus dem Stande der
Rechtsanwälte hervorgegangen find, so bleiben für den größten Teil des
Deutschen Reiches als weitere Personenstandsklasse, der die Leiter der Einigungs¬
ämter entnommen werden könnten, nur die Rechtsanwälte oder früheren
Rechtsanwälte übrig. Sie sind meines Erachtens aber auch im besonderen
Maße geeignet, soweit im einzelnen Falle persönliche Neigung und Anlagen,
sowie sonstige Eigenschaften dem nicht widersprechen, als Leiter dieser Friedens¬
ämter berufen zu werden. Ausgerüstet mit der gleichen juristischen Qualifikation
wie die Richter und im stündigen unmittelbaren Verkehr mit dem rechtsuchenden
Publikum stehend, haben sich jedenfalls die älteren von ihnen eine Erfahrung
im Verkehr mit dem Publikum angeeignet, die manchem Richter seinem prak¬
tischen Entwicklungsgange entsprechend abgeht. Sie haben außerdem durch ihre
jahrelange Prozeßführung die unvermeidlichen Schäden und unheilvollen Neben¬
folgen aller Prozesse zur Genüge kennen gelernt, und man wird daher annehmen
dürfen, daß sie in einer dem Bedürfnisse entsprechenden Zahl in reiferen Jahren
gern dazu übergehen werden, ihre Tätigkeit statt der Vertretung von Partei¬
interessen, nunmehr der aufbauenden produktiven Tätigkeit der gütlichen Ver¬
mittlung und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zu widmen. Man wende nicht
ein, daß der Anwalt durch jahrelange Vertretung von Parteiinteressen die
allerdings notwendige objektive Denkweise verloren habe. Dagegen spricht allein
der Umstand, daß manche Rechtsanwälte mit schönstem Erfolge und in aus¬
gedehntem Umfange die Güteverhandlungen in der Stille des Sprechzimmers
pflegen, und dagegen sprechen im stärksten Maße die oben erwähnten Ergebnisse
des von Nechtsanwälten ehrenamtlich geleiteten Frankfurter Einigungsamtes.
Solange der Rechtsanwalt nur die eine der streitenden Parteien hört, und so¬
lange es die Pflicht des Rechtsanwalts ist, das Interesse dieser Partei —
selbstverständlich nur, soweit er es nach der immer mehr oder weniger einseitigen
Parteiinstruktion als tatsächlich und rechtlich begründet erkennt — zu vertreten,
solange wird man von ihm eben nichts anderes als die Vertretung dieser ein¬
seitigen Parteiinteressen erwarten dürfen. Hätte er aber vornherein auch die
gegnerische Partei gehört, so würde sicherlich manche Klage, aus deren An¬
strengung man später auf eine allzu subjektive Denkweise des Rechtsanwalts
mit Unrecht folgern zu müssen glaubt, nicht erhoben, anderseits manche Klage¬
beantwortung nicht erfolgt sein. Allerdings muß zwecks Wahrung vollständiger
Objektivität, ganz vornehmlich in den Augen des die Güterverhandlungen an¬
rufenden Publikums, notwendig gefordert werden, daß die Leiter derselben
völlig uninteressiert sind, also, da sie nicht immer, wie in den jetzigen Kriegs¬
zeiten ehrenamtlich und unentgeltlich tätig sein können, ein festes Gehalt beziehen.
Daß dadurch die Arbeitsfreudigkeit der Verhandlungsleiter geschmälert oder sie


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[0348] Rechts frieden soweit sie überhaupt die gleiche Ausbildung wie die Richter haben, was bekanntlich allein in Württemberg, abgesehen von den dortigen Anwaltsnotaren, nicht der Fall ist, nur in Bayern, Baden, Reichslande, Hamburg, zum Teil auch in Rheinpreußen und Württemberg, nicht aus dem Stande der Rechtsanwälte hervorgegangen find, so bleiben für den größten Teil des Deutschen Reiches als weitere Personenstandsklasse, der die Leiter der Einigungs¬ ämter entnommen werden könnten, nur die Rechtsanwälte oder früheren Rechtsanwälte übrig. Sie sind meines Erachtens aber auch im besonderen Maße geeignet, soweit im einzelnen Falle persönliche Neigung und Anlagen, sowie sonstige Eigenschaften dem nicht widersprechen, als Leiter dieser Friedens¬ ämter berufen zu werden. Ausgerüstet mit der gleichen juristischen Qualifikation wie die Richter und im stündigen unmittelbaren Verkehr mit dem rechtsuchenden Publikum stehend, haben sich jedenfalls die älteren von ihnen eine Erfahrung im Verkehr mit dem Publikum angeeignet, die manchem Richter seinem prak¬ tischen Entwicklungsgange entsprechend abgeht. Sie haben außerdem durch ihre jahrelange Prozeßführung die unvermeidlichen Schäden und unheilvollen Neben¬ folgen aller Prozesse zur Genüge kennen gelernt, und man wird daher annehmen dürfen, daß sie in einer dem Bedürfnisse entsprechenden Zahl in reiferen Jahren gern dazu übergehen werden, ihre Tätigkeit statt der Vertretung von Partei¬ interessen, nunmehr der aufbauenden produktiven Tätigkeit der gütlichen Ver¬ mittlung und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zu widmen. Man wende nicht ein, daß der Anwalt durch jahrelange Vertretung von Parteiinteressen die allerdings notwendige objektive Denkweise verloren habe. Dagegen spricht allein der Umstand, daß manche Rechtsanwälte mit schönstem Erfolge und in aus¬ gedehntem Umfange die Güteverhandlungen in der Stille des Sprechzimmers pflegen, und dagegen sprechen im stärksten Maße die oben erwähnten Ergebnisse des von Nechtsanwälten ehrenamtlich geleiteten Frankfurter Einigungsamtes. Solange der Rechtsanwalt nur die eine der streitenden Parteien hört, und so¬ lange es die Pflicht des Rechtsanwalts ist, das Interesse dieser Partei — selbstverständlich nur, soweit er es nach der immer mehr oder weniger einseitigen Parteiinstruktion als tatsächlich und rechtlich begründet erkennt — zu vertreten, solange wird man von ihm eben nichts anderes als die Vertretung dieser ein¬ seitigen Parteiinteressen erwarten dürfen. Hätte er aber vornherein auch die gegnerische Partei gehört, so würde sicherlich manche Klage, aus deren An¬ strengung man später auf eine allzu subjektive Denkweise des Rechtsanwalts mit Unrecht folgern zu müssen glaubt, nicht erhoben, anderseits manche Klage¬ beantwortung nicht erfolgt sein. Allerdings muß zwecks Wahrung vollständiger Objektivität, ganz vornehmlich in den Augen des die Güterverhandlungen an¬ rufenden Publikums, notwendig gefordert werden, daß die Leiter derselben völlig uninteressiert sind, also, da sie nicht immer, wie in den jetzigen Kriegs¬ zeiten ehrenamtlich und unentgeltlich tätig sein können, ein festes Gehalt beziehen. Daß dadurch die Arbeitsfreudigkeit der Verhandlungsleiter geschmälert oder sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/348>, abgerufen am 20.10.2024.