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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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leiten angerufen wurden, ist diese Zahl trotz einer Vermehrung der Schieds-
männer um mehr als 1000 und trotz der bedeutenden Zunahme der Bevölkerung
von Jahr zu Jahr ohne jede Ausnahme zurückgegangen, bis sie im Jahre 1913
auf 4087 Fälle gesunken ist, von denen nur noch 1847 gütlich geschlichtet
wurden.

Angesichts dieser Zahlen ist gesagt worden, daß die Bevölkerung offenbar
die Güteverhandlungen selbst nicht wünsche, aber ein solcher Schluß wäre völlig
irrig; die Erklärung dafür, daß der Rückgang in der Inanspruchnahme der für
das Güteverfahren geschaffenen Einrichtungen ein so außerordentlich starker
gewesen ist, liegt meiner Meinung nach nur in ihrer fehlerhaften Organisation.
Einen schlagenden Beweis dafür, daß selbst in den Großstädten das Bedürfnis
nach Güteverhandlungen auch vor dem Kriege ein recht starkes gewesen ist, bringt
ein mir vom Lübecker Rat Dr. Link zugegangener Bericht der Rechtsauskunfts¬
stelle der Freien und Hansestadt Lübeck für das Jahr 1913. der eine Zunahme
der Inanspruchnahme des erst im Jahre 1912 nur für Mietstreitigkeiten dort
eingerichteten Einigungsamts für das erste Quartal 1914 auf das Jahr berechnet
um mehr als 1200 Prozent ergibt. Noch deutlicher wird dies durch einen
Bericht des Justizrath Dr. Ernst Auerbach in Frankfurt am Main. Ist es doch
ihm zufolge dem von der Rechtsanwaltschaft in Frankfurt am Main ins Leben
gerufenen Einigungsamte gelungen, in der Zeit vom 27. August bis zum
10. November 1914 von 979 Streitfällen -- das macht für ein volles Jahr
4700 -- nicht weniger als 849 oder für das Jahr 4074 Fälle, also 86 Prozent,
durch gütliche Verhandlung und Aufklärung über das Sach- und Rechtsver¬
hältnis unter Leitung von Nechtsanwälten zu schlichten. Wahrlich ein überaus
glänzendes Ergebnis für eine einzige preußische Stadt, um so mehr, als es
sämtliche 1122 Preußischen und Waldecker Amtsgerichte als Sühnebehörden in
der Zahl der Anrufungen nahezu um das Doppelte und in der Zahl der zu¬
stande gebrachten gütlichen Schlichtungen gar um das 5^ fache übertrifft.
Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den bayerischen und sächsischen Amtsgerichten,
die 1912 entsprechend der geringeren Einwohnerzahl nur in 1214 beziehungs¬
weise 573 Fällen angerufen wurden und 301 beziehungsweise 205 gütliche
Schlichtungen zuwege brachten. Durch die Tätigkeit des Frankfurter Friedens¬
amtes wird aber auch das Ergebnis der Tätigkeit der Schiedsmänner und
Friedensrichter völlig in den Schatten gestellt. Allein in Preußen sind rund
18 500 Schiedsmänner, wie wir oben gesehen haben, nur noch in 4087 Fällen,
also weniger oft als das eine einzige Frankfurter Friedensamt, zur Schlichtung
eines bürgerlichen Rechtsstreits angerufen worden, und die Zahl der von
18500 Schiedsmänner" wirklich zustande gebrachten gütlichen Schlichtungen ist,
auf ein Jahr berechnet, um mehr als das Doppelte kleiner, als die des Frank¬
furter Friedensamtes. Auf den durch ihre selbstlose Tätigkeit herbeigeführten
Erfolg können daher die Rechtsanwälte in Frankfurt am Main mit hoher
Befriedigung hinweisen! Bei dem von ihnen gezeitigten Ergebnis ist aber auch


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leiten angerufen wurden, ist diese Zahl trotz einer Vermehrung der Schieds-
männer um mehr als 1000 und trotz der bedeutenden Zunahme der Bevölkerung
von Jahr zu Jahr ohne jede Ausnahme zurückgegangen, bis sie im Jahre 1913
auf 4087 Fälle gesunken ist, von denen nur noch 1847 gütlich geschlichtet
wurden.

Angesichts dieser Zahlen ist gesagt worden, daß die Bevölkerung offenbar
die Güteverhandlungen selbst nicht wünsche, aber ein solcher Schluß wäre völlig
irrig; die Erklärung dafür, daß der Rückgang in der Inanspruchnahme der für
das Güteverfahren geschaffenen Einrichtungen ein so außerordentlich starker
gewesen ist, liegt meiner Meinung nach nur in ihrer fehlerhaften Organisation.
Einen schlagenden Beweis dafür, daß selbst in den Großstädten das Bedürfnis
nach Güteverhandlungen auch vor dem Kriege ein recht starkes gewesen ist, bringt
ein mir vom Lübecker Rat Dr. Link zugegangener Bericht der Rechtsauskunfts¬
stelle der Freien und Hansestadt Lübeck für das Jahr 1913. der eine Zunahme
der Inanspruchnahme des erst im Jahre 1912 nur für Mietstreitigkeiten dort
eingerichteten Einigungsamts für das erste Quartal 1914 auf das Jahr berechnet
um mehr als 1200 Prozent ergibt. Noch deutlicher wird dies durch einen
Bericht des Justizrath Dr. Ernst Auerbach in Frankfurt am Main. Ist es doch
ihm zufolge dem von der Rechtsanwaltschaft in Frankfurt am Main ins Leben
gerufenen Einigungsamte gelungen, in der Zeit vom 27. August bis zum
10. November 1914 von 979 Streitfällen — das macht für ein volles Jahr
4700 — nicht weniger als 849 oder für das Jahr 4074 Fälle, also 86 Prozent,
durch gütliche Verhandlung und Aufklärung über das Sach- und Rechtsver¬
hältnis unter Leitung von Nechtsanwälten zu schlichten. Wahrlich ein überaus
glänzendes Ergebnis für eine einzige preußische Stadt, um so mehr, als es
sämtliche 1122 Preußischen und Waldecker Amtsgerichte als Sühnebehörden in
der Zahl der Anrufungen nahezu um das Doppelte und in der Zahl der zu¬
stande gebrachten gütlichen Schlichtungen gar um das 5^ fache übertrifft.
Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den bayerischen und sächsischen Amtsgerichten,
die 1912 entsprechend der geringeren Einwohnerzahl nur in 1214 beziehungs¬
weise 573 Fällen angerufen wurden und 301 beziehungsweise 205 gütliche
Schlichtungen zuwege brachten. Durch die Tätigkeit des Frankfurter Friedens¬
amtes wird aber auch das Ergebnis der Tätigkeit der Schiedsmänner und
Friedensrichter völlig in den Schatten gestellt. Allein in Preußen sind rund
18 500 Schiedsmänner, wie wir oben gesehen haben, nur noch in 4087 Fällen,
also weniger oft als das eine einzige Frankfurter Friedensamt, zur Schlichtung
eines bürgerlichen Rechtsstreits angerufen worden, und die Zahl der von
18500 Schiedsmänner» wirklich zustande gebrachten gütlichen Schlichtungen ist,
auf ein Jahr berechnet, um mehr als das Doppelte kleiner, als die des Frank¬
furter Friedensamtes. Auf den durch ihre selbstlose Tätigkeit herbeigeführten
Erfolg können daher die Rechtsanwälte in Frankfurt am Main mit hoher
Befriedigung hinweisen! Bei dem von ihnen gezeitigten Ergebnis ist aber auch


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[0346] Rechtsfrieoe» leiten angerufen wurden, ist diese Zahl trotz einer Vermehrung der Schieds- männer um mehr als 1000 und trotz der bedeutenden Zunahme der Bevölkerung von Jahr zu Jahr ohne jede Ausnahme zurückgegangen, bis sie im Jahre 1913 auf 4087 Fälle gesunken ist, von denen nur noch 1847 gütlich geschlichtet wurden. Angesichts dieser Zahlen ist gesagt worden, daß die Bevölkerung offenbar die Güteverhandlungen selbst nicht wünsche, aber ein solcher Schluß wäre völlig irrig; die Erklärung dafür, daß der Rückgang in der Inanspruchnahme der für das Güteverfahren geschaffenen Einrichtungen ein so außerordentlich starker gewesen ist, liegt meiner Meinung nach nur in ihrer fehlerhaften Organisation. Einen schlagenden Beweis dafür, daß selbst in den Großstädten das Bedürfnis nach Güteverhandlungen auch vor dem Kriege ein recht starkes gewesen ist, bringt ein mir vom Lübecker Rat Dr. Link zugegangener Bericht der Rechtsauskunfts¬ stelle der Freien und Hansestadt Lübeck für das Jahr 1913. der eine Zunahme der Inanspruchnahme des erst im Jahre 1912 nur für Mietstreitigkeiten dort eingerichteten Einigungsamts für das erste Quartal 1914 auf das Jahr berechnet um mehr als 1200 Prozent ergibt. Noch deutlicher wird dies durch einen Bericht des Justizrath Dr. Ernst Auerbach in Frankfurt am Main. Ist es doch ihm zufolge dem von der Rechtsanwaltschaft in Frankfurt am Main ins Leben gerufenen Einigungsamte gelungen, in der Zeit vom 27. August bis zum 10. November 1914 von 979 Streitfällen — das macht für ein volles Jahr 4700 — nicht weniger als 849 oder für das Jahr 4074 Fälle, also 86 Prozent, durch gütliche Verhandlung und Aufklärung über das Sach- und Rechtsver¬ hältnis unter Leitung von Nechtsanwälten zu schlichten. Wahrlich ein überaus glänzendes Ergebnis für eine einzige preußische Stadt, um so mehr, als es sämtliche 1122 Preußischen und Waldecker Amtsgerichte als Sühnebehörden in der Zahl der Anrufungen nahezu um das Doppelte und in der Zahl der zu¬ stande gebrachten gütlichen Schlichtungen gar um das 5^ fache übertrifft. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den bayerischen und sächsischen Amtsgerichten, die 1912 entsprechend der geringeren Einwohnerzahl nur in 1214 beziehungs¬ weise 573 Fällen angerufen wurden und 301 beziehungsweise 205 gütliche Schlichtungen zuwege brachten. Durch die Tätigkeit des Frankfurter Friedens¬ amtes wird aber auch das Ergebnis der Tätigkeit der Schiedsmänner und Friedensrichter völlig in den Schatten gestellt. Allein in Preußen sind rund 18 500 Schiedsmänner, wie wir oben gesehen haben, nur noch in 4087 Fällen, also weniger oft als das eine einzige Frankfurter Friedensamt, zur Schlichtung eines bürgerlichen Rechtsstreits angerufen worden, und die Zahl der von 18500 Schiedsmänner» wirklich zustande gebrachten gütlichen Schlichtungen ist, auf ein Jahr berechnet, um mehr als das Doppelte kleiner, als die des Frank¬ furter Friedensamtes. Auf den durch ihre selbstlose Tätigkeit herbeigeführten Erfolg können daher die Rechtsanwälte in Frankfurt am Main mit hoher Befriedigung hinweisen! Bei dem von ihnen gezeitigten Ergebnis ist aber auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/346>, abgerufen am 20.10.2024.