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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Das große wecken

Unwillig tritt er den Kommenden entgegen. Da nimmt diese das Schein¬
werferlicht des Torpedoboots einen Augenblick in seine Hut: hochgewachsene
Männer mit Helmen und Gewehren . . .

Dicht vor Walter machen sie Halt. Der vorderste grüßt höflich.
Ein Offizier.

"Ich habe Befehl. Ihr Haus als Beobachtungsposten zu besetzen."

Werden steht und starrt die Soldaten an, ohne zu begreifen.

"Sie haben Befehl, mein Haus zu besetzen -- was soll das heißen?
Wer hat über mein Haus zu befehlen?"

Der Offizier mißt ihn mit erstaunten Blicken. "Ja -- erlauben Sie mal
-- wissen Sie denn gar nicht, daß wir im Kriegszustand sind?"

W rden tritt zurück. Wie von einem Blitz erhellt liegt plötzlich der ganze
Ernst der Lage vor ihm. Er greift sich an den Kopf. "Davon ahne ich ja
gar nichts ..."

Der Offizier betrachtet Werden mit erstaunten, etwas spöttischen Lächeln.
"Ja, Sie leben ja hier sozusagen auf Ihrem Stern für sich."

Werden hat sich schnell gefaßt. Ein Gefühl heißer Leidenschaftlichkeit, eine
plötzlich erwachte Kraft durchströmt ihn. Und blitzartig zuckt es durch ihn, die
ganze Entwicklung -- wie das Ungewitter sich um sein Vaterland getürmt,
und wie es nun loszubrechen droht."

"Und nun brauchen Sie ein Haus. ruft er lebhaft. "Natürlich, Sie
haben von hier den besten Blick über das Meer nach oller Seiten."

Der Leutnant nickt. "Es tut mir leid, aber Ihr Grundstück ist der einzig
geeignete Punkt.""

"Es soll Ihnen nicht leid tun, wehrt Walter entschlossen. "Im Gegenteil,
ich bin froh, für mein Teil auch etwas tun zu können. Aber daß es soweit
gekommen ist . ."

Sie haben das Haus erreicht. Mit tiefer, lebendiger Teilnahme fragt
Werden: "Und Rußland stellt sich also wirklich an die Seite dieses Volkes der
Königsmörder! Es scheut sich nicht, unter dieser Flagge uns zum Krieg zu
zwingen?"

"Nicht gerade in aller Form. Aber warum nicht? Es bleibt
nicht allein ..."

"Frankreich?"

"Gewiß. Und England wird nicht zurückbleiben. Es zögert noch."

Einen Augenblick steht Walter starr. Eine tiefe Empörung rollt durch
seine Adern."

"Und Deutschland? fragt er mit bebender Stimme. "Steht es nicht
auf wie ein Mann?"

"Hören Sie!" antwortet der Offizier.

Fern, voni Dorf her klingt Gesang: "Deutschland, Deutschland über alles!"

Die Fischer, die kargen, kühlen, schwerbewegten Gesellen marschieren durch
die Nacht zum fernen Bahnhof, ihres Kaisers Ruf folgend, der sie zu morgen
aufgeboten hat.---

Lautes, hartes Leben ist in Walter Werdens stilles, der Kunst geweihtes
Heiligtum gebrochen. Kurze Befehle klingen, harte Tritte eilen über Kies und
Rasen, dröhnen auf dem Altan und in der Halle. Harte Schwielenhände greifen
nach den schwanenweißen Marmorfrauen, schieben und rücken sie unsanft in
eine Ecke zusammen, und manch derber Witz über soviel steinerne Nacktheit in
einem einsamen Junggesellennest wird laut.


Das große wecken

Unwillig tritt er den Kommenden entgegen. Da nimmt diese das Schein¬
werferlicht des Torpedoboots einen Augenblick in seine Hut: hochgewachsene
Männer mit Helmen und Gewehren . . .

Dicht vor Walter machen sie Halt. Der vorderste grüßt höflich.
Ein Offizier.

„Ich habe Befehl. Ihr Haus als Beobachtungsposten zu besetzen."

Werden steht und starrt die Soldaten an, ohne zu begreifen.

„Sie haben Befehl, mein Haus zu besetzen — was soll das heißen?
Wer hat über mein Haus zu befehlen?"

Der Offizier mißt ihn mit erstaunten Blicken. „Ja — erlauben Sie mal
— wissen Sie denn gar nicht, daß wir im Kriegszustand sind?"

W rden tritt zurück. Wie von einem Blitz erhellt liegt plötzlich der ganze
Ernst der Lage vor ihm. Er greift sich an den Kopf. „Davon ahne ich ja
gar nichts ..."

Der Offizier betrachtet Werden mit erstaunten, etwas spöttischen Lächeln.
„Ja, Sie leben ja hier sozusagen auf Ihrem Stern für sich."

Werden hat sich schnell gefaßt. Ein Gefühl heißer Leidenschaftlichkeit, eine
plötzlich erwachte Kraft durchströmt ihn. Und blitzartig zuckt es durch ihn, die
ganze Entwicklung — wie das Ungewitter sich um sein Vaterland getürmt,
und wie es nun loszubrechen droht."

„Und nun brauchen Sie ein Haus. ruft er lebhaft. „Natürlich, Sie
haben von hier den besten Blick über das Meer nach oller Seiten."

Der Leutnant nickt. „Es tut mir leid, aber Ihr Grundstück ist der einzig
geeignete Punkt.""

„Es soll Ihnen nicht leid tun, wehrt Walter entschlossen. „Im Gegenteil,
ich bin froh, für mein Teil auch etwas tun zu können. Aber daß es soweit
gekommen ist . ."

Sie haben das Haus erreicht. Mit tiefer, lebendiger Teilnahme fragt
Werden: „Und Rußland stellt sich also wirklich an die Seite dieses Volkes der
Königsmörder! Es scheut sich nicht, unter dieser Flagge uns zum Krieg zu
zwingen?"

„Nicht gerade in aller Form. Aber warum nicht? Es bleibt
nicht allein ..."

„Frankreich?"

„Gewiß. Und England wird nicht zurückbleiben. Es zögert noch."

Einen Augenblick steht Walter starr. Eine tiefe Empörung rollt durch
seine Adern."

„Und Deutschland? fragt er mit bebender Stimme. „Steht es nicht
auf wie ein Mann?"

„Hören Sie!" antwortet der Offizier.

Fern, voni Dorf her klingt Gesang: „Deutschland, Deutschland über alles!"

Die Fischer, die kargen, kühlen, schwerbewegten Gesellen marschieren durch
die Nacht zum fernen Bahnhof, ihres Kaisers Ruf folgend, der sie zu morgen
aufgeboten hat.---

Lautes, hartes Leben ist in Walter Werdens stilles, der Kunst geweihtes
Heiligtum gebrochen. Kurze Befehle klingen, harte Tritte eilen über Kies und
Rasen, dröhnen auf dem Altan und in der Halle. Harte Schwielenhände greifen
nach den schwanenweißen Marmorfrauen, schieben und rücken sie unsanft in
eine Ecke zusammen, und manch derber Witz über soviel steinerne Nacktheit in
einem einsamen Junggesellennest wird laut.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/330>, abgerufen am 20.10.2024.