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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts

nicht ratifiziert ist, sie sei deshalb "ohne Autorität, tot und dahin und ohne
Wirksamkeit für England". Wenn sich das britische Auswärtige Amt im Anfang
des Krieges noch im ganzen auf den Standpunkt der Deklaration gestellt habe,
so sei das geschehen, um das "Gesicht zu wahren". Nach der Verordnung
vom 29. Oktober sei die Londoner Deklaration vollständig zerbröckelt und wenn
auch durch die neue Verordnung abermals Beschränkungen für die englische
Flotte aufgestellt seien, so bedeuten sie für den zum Admiral der englischen
Flotte ernannten Lord Fisher papierne Fesseln, denn Lord Fisher. so sagt Gibson
Bootes, "weiß, was Krieg ist".

Alle Errungenschaften auf seekriegsrcchtlichem Gebiete, insbesondere das
VI. und XI. Abkommen der zweiten Haager Konferenz (1907), werden von der
englischen Regierung mißachtet, dabei ist interessant, daß vor Ausbruch des
Krieges englische Stimmen für die Fortentwicklung des Seekriegsrechtes laut ge¬
worden sind. Allerdings fehlte diesen Stimmen der Einfluß, sich durchzusetzen.
Treffend hat der ehemalige Lordkanzler Earl of Loreburn in seiner Schrift
"Privateigentum und Seekrieg" darauf hingewiesen, daß in England in Schiff¬
fahrtsangelegenheiten nicht die Reedereikreise maßgebend seien, sondern die
Marine das letzte Wort rede. Als Schiffahrtskreise sich bemühten, unter den
Nordseeuferstaaten eine Vereinbarung behufs desGrundsatzes der Freiheit des Privat¬
eigentums durchzusetzen, kam der erste Lord der britischen Admiralität Winston
Churchill mit der Mitteilung heraus, daß eine Anzahl geeigneter englischer
Handelsschiffe mit Waffen ausgerüstet werden sollten, und daß bereits (März
1914) vierzig Schiffe bewaffnet seien. Bis zum Jahreswechsel 1914/15
werde sich die Ziffer auf siebzig erhöhen. Churchill erklärte im Anschluß an
diese Mitteilung, es sei nicht die Zeit, über die Freiheit des Eigentums zur
See zu verhandeln. Noch weiter ging Sir Edward Grey, der folgendes
erklärte: Man hat gesagt, daß es mehr in unserem Interesse sei, als in irgend¬
einer Macht in Europa oder sonst auf der Welt, daß Schiffe und sonstiges
Eigentum zur See vor Wegnahme geschützt seien. Dies sei wohl begreiflich,
es müsse dabei aber auch erwogen werden, ob den Handelsschiffen dann noch
ein absoluter und sicherer Schutz verbürgt werden könne. England, das auf
die Seezufuhr angewiesen sei, würde in eine höchst unbefriedigende und gefahr¬
volle Lage kommen, wenn es nur ein locker formuliertes Abkommen unter¬
schreibe, das in Friedenszeit den Eindruck der Sicherheit erweckt, im Kriege
aber die Handelsschiffe des Schutzes entblößt. Wenn die englische Regierung sich
zu einem Vertrage über die Freiheit des Eigentums zur See mit fremden
Mächten entschließen sollte, so sei dies nur unter Bedingungen möglich. Auf
die Frage, ob England auf eine Einladung hin bereit sei, über Änderungen des
Seerechts zu verhandeln, hatte Sir Edward Grey ein glattes "Nein". Grey
vertrat damit die in England eingewurzelte Ansicht, daß über die Rechtsverhältnisse
auf See England zu entscheiden habe, so wie man in England allgemein annimmt,
daß ohne Englands Erlaubnis kein Schuß auf See abgefeuert werden dürfe.


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Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts

nicht ratifiziert ist, sie sei deshalb „ohne Autorität, tot und dahin und ohne
Wirksamkeit für England". Wenn sich das britische Auswärtige Amt im Anfang
des Krieges noch im ganzen auf den Standpunkt der Deklaration gestellt habe,
so sei das geschehen, um das „Gesicht zu wahren". Nach der Verordnung
vom 29. Oktober sei die Londoner Deklaration vollständig zerbröckelt und wenn
auch durch die neue Verordnung abermals Beschränkungen für die englische
Flotte aufgestellt seien, so bedeuten sie für den zum Admiral der englischen
Flotte ernannten Lord Fisher papierne Fesseln, denn Lord Fisher. so sagt Gibson
Bootes, „weiß, was Krieg ist".

Alle Errungenschaften auf seekriegsrcchtlichem Gebiete, insbesondere das
VI. und XI. Abkommen der zweiten Haager Konferenz (1907), werden von der
englischen Regierung mißachtet, dabei ist interessant, daß vor Ausbruch des
Krieges englische Stimmen für die Fortentwicklung des Seekriegsrechtes laut ge¬
worden sind. Allerdings fehlte diesen Stimmen der Einfluß, sich durchzusetzen.
Treffend hat der ehemalige Lordkanzler Earl of Loreburn in seiner Schrift
„Privateigentum und Seekrieg" darauf hingewiesen, daß in England in Schiff¬
fahrtsangelegenheiten nicht die Reedereikreise maßgebend seien, sondern die
Marine das letzte Wort rede. Als Schiffahrtskreise sich bemühten, unter den
Nordseeuferstaaten eine Vereinbarung behufs desGrundsatzes der Freiheit des Privat¬
eigentums durchzusetzen, kam der erste Lord der britischen Admiralität Winston
Churchill mit der Mitteilung heraus, daß eine Anzahl geeigneter englischer
Handelsschiffe mit Waffen ausgerüstet werden sollten, und daß bereits (März
1914) vierzig Schiffe bewaffnet seien. Bis zum Jahreswechsel 1914/15
werde sich die Ziffer auf siebzig erhöhen. Churchill erklärte im Anschluß an
diese Mitteilung, es sei nicht die Zeit, über die Freiheit des Eigentums zur
See zu verhandeln. Noch weiter ging Sir Edward Grey, der folgendes
erklärte: Man hat gesagt, daß es mehr in unserem Interesse sei, als in irgend¬
einer Macht in Europa oder sonst auf der Welt, daß Schiffe und sonstiges
Eigentum zur See vor Wegnahme geschützt seien. Dies sei wohl begreiflich,
es müsse dabei aber auch erwogen werden, ob den Handelsschiffen dann noch
ein absoluter und sicherer Schutz verbürgt werden könne. England, das auf
die Seezufuhr angewiesen sei, würde in eine höchst unbefriedigende und gefahr¬
volle Lage kommen, wenn es nur ein locker formuliertes Abkommen unter¬
schreibe, das in Friedenszeit den Eindruck der Sicherheit erweckt, im Kriege
aber die Handelsschiffe des Schutzes entblößt. Wenn die englische Regierung sich
zu einem Vertrage über die Freiheit des Eigentums zur See mit fremden
Mächten entschließen sollte, so sei dies nur unter Bedingungen möglich. Auf
die Frage, ob England auf eine Einladung hin bereit sei, über Änderungen des
Seerechts zu verhandeln, hatte Sir Edward Grey ein glattes „Nein". Grey
vertrat damit die in England eingewurzelte Ansicht, daß über die Rechtsverhältnisse
auf See England zu entscheiden habe, so wie man in England allgemein annimmt,
daß ohne Englands Erlaubnis kein Schuß auf See abgefeuert werden dürfe.


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[0303] Die deutsche Aufgabe an der Fortentwicklung des Seekriegsrechts nicht ratifiziert ist, sie sei deshalb „ohne Autorität, tot und dahin und ohne Wirksamkeit für England". Wenn sich das britische Auswärtige Amt im Anfang des Krieges noch im ganzen auf den Standpunkt der Deklaration gestellt habe, so sei das geschehen, um das „Gesicht zu wahren". Nach der Verordnung vom 29. Oktober sei die Londoner Deklaration vollständig zerbröckelt und wenn auch durch die neue Verordnung abermals Beschränkungen für die englische Flotte aufgestellt seien, so bedeuten sie für den zum Admiral der englischen Flotte ernannten Lord Fisher papierne Fesseln, denn Lord Fisher. so sagt Gibson Bootes, „weiß, was Krieg ist". Alle Errungenschaften auf seekriegsrcchtlichem Gebiete, insbesondere das VI. und XI. Abkommen der zweiten Haager Konferenz (1907), werden von der englischen Regierung mißachtet, dabei ist interessant, daß vor Ausbruch des Krieges englische Stimmen für die Fortentwicklung des Seekriegsrechtes laut ge¬ worden sind. Allerdings fehlte diesen Stimmen der Einfluß, sich durchzusetzen. Treffend hat der ehemalige Lordkanzler Earl of Loreburn in seiner Schrift „Privateigentum und Seekrieg" darauf hingewiesen, daß in England in Schiff¬ fahrtsangelegenheiten nicht die Reedereikreise maßgebend seien, sondern die Marine das letzte Wort rede. Als Schiffahrtskreise sich bemühten, unter den Nordseeuferstaaten eine Vereinbarung behufs desGrundsatzes der Freiheit des Privat¬ eigentums durchzusetzen, kam der erste Lord der britischen Admiralität Winston Churchill mit der Mitteilung heraus, daß eine Anzahl geeigneter englischer Handelsschiffe mit Waffen ausgerüstet werden sollten, und daß bereits (März 1914) vierzig Schiffe bewaffnet seien. Bis zum Jahreswechsel 1914/15 werde sich die Ziffer auf siebzig erhöhen. Churchill erklärte im Anschluß an diese Mitteilung, es sei nicht die Zeit, über die Freiheit des Eigentums zur See zu verhandeln. Noch weiter ging Sir Edward Grey, der folgendes erklärte: Man hat gesagt, daß es mehr in unserem Interesse sei, als in irgend¬ einer Macht in Europa oder sonst auf der Welt, daß Schiffe und sonstiges Eigentum zur See vor Wegnahme geschützt seien. Dies sei wohl begreiflich, es müsse dabei aber auch erwogen werden, ob den Handelsschiffen dann noch ein absoluter und sicherer Schutz verbürgt werden könne. England, das auf die Seezufuhr angewiesen sei, würde in eine höchst unbefriedigende und gefahr¬ volle Lage kommen, wenn es nur ein locker formuliertes Abkommen unter¬ schreibe, das in Friedenszeit den Eindruck der Sicherheit erweckt, im Kriege aber die Handelsschiffe des Schutzes entblößt. Wenn die englische Regierung sich zu einem Vertrage über die Freiheit des Eigentums zur See mit fremden Mächten entschließen sollte, so sei dies nur unter Bedingungen möglich. Auf die Frage, ob England auf eine Einladung hin bereit sei, über Änderungen des Seerechts zu verhandeln, hatte Sir Edward Grey ein glattes „Nein". Grey vertrat damit die in England eingewurzelte Ansicht, daß über die Rechtsverhältnisse auf See England zu entscheiden habe, so wie man in England allgemein annimmt, daß ohne Englands Erlaubnis kein Schuß auf See abgefeuert werden dürfe. 19»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/303>, abgerufen am 20.10.2024.