Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Der italienische Jrredentismus oder ob es männlich aufrecht, ein geschlossen einheitliches Reich, mitsprechen Schon der erste Napoleon hatte dem verlotterten, mißregierten Land, das War es da ein Wunder, daß sich ein wilder Haß gegen die österreichischen War es da ein Wunder, daß die Nation, die keine politische Bildung, keine 17"
Der italienische Jrredentismus oder ob es männlich aufrecht, ein geschlossen einheitliches Reich, mitsprechen Schon der erste Napoleon hatte dem verlotterten, mißregierten Land, das War es da ein Wunder, daß sich ein wilder Haß gegen die österreichischen War es da ein Wunder, daß die Nation, die keine politische Bildung, keine 17»
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Der italienische Jrredentismus
oder ob es männlich aufrecht, ein geschlossen einheitliches Reich, mitsprechen
dürfte im Rate der Völker.
Schon der erste Napoleon hatte dem verlotterten, mißregierten Land, das
seit Jahrhunderten von ausländischen Fürstengeschlechtern regiert worden war,
von den spanischen und österreichischen Habsburgern, von französischen und
spanischen Bourbonen, zum erstenmal eine geordnete Verwaltung, bürgerliche
Gleichheit, eine moderne Gesetzgebung, militärischen Ruhm, vor allem aber das
Zauberwort eines geeinten Königreiches gegeben; aber schon der Wiener
Kongreß und Metternichs plumpe Hand hatten nach wenigen Jahren die ganze
napoleonische Schöpfung wieder zerstört. Alles war schonungslos vernichtet
worden, was „an den Geist des italienischen Jakobinismus", an den Geist der
„italienischen Vereinigung" erinnern konnte. Im Süden hausten wieder schlimmer
als je die spanischen Bourbonen, im Kirchenstaat wütete von neuem die ärgste
Reaktion, im Norden aber hatten die Duodezfürsten sich wieder eingenistet,
noch vergrößert an Zahl durch die neu geschaffenen Länder und Ländchen für
die Fürsten Österreichs, dessem buntgemischtem Völkerstaat nicht nur wie vor
der napoleonischen Zeit Mailand, sondern ganz Oberitalien westlich des Ticino
als Lombardo-venezianisches Königreich eingegliedert worden war. Ein
unwürdiges Polizei- und Spionagesystem, die Abschaffung aller Reformen, die
Herrschaft des kaiserlichen Stockes, die Knebelung jeder freiheitlichen Regung,
das waren die Kennzeichen jener Jahre Metternichscher Staatskunst in Italien,
wie sie auch unter seinem mächtigen Einfluß in Deutschland, in Rußland und
Spanien es waren. In Wirklichkeit war Italien nur noch ein geographischer
Begriff, nur noch der Name sür die souveränen Staaten der Halbinsel, wie
Metternich es boshaft der Welt verkündet hatte.
War es da ein Wunder, daß sich ein wilder Haß gegen die österreichischen
Unterdrücker leidenschaftlich erhob, daß Rebellionen, Aufstände, blutige Erhebungen
an der Tagesordnung waren? Daß dies Volk mit jedem Atemzug sich auflehnte
gegen die Fremdherrschaft der „Tedeschi". dies Volk, das jene Tage republikanischer
Herrlichkeit gesehen, da der Löwe des heiligen Markus die Häfen des Morgen¬
landes beherrschte und das hochsinnige Künstlervolk von Florenz zu seinem
Arnolfo sprach: „Der Plan für unsern Dom soll groß sein, wie die allergrößte
Seele, wie die Herzen so vieler Bürger, die zu einem Wollen vereinigt
sind"?
War es da ein Wunder, daß die Nation, die keine politische Bildung, keine
fteie Presse und keine Rednerbühne besaß, sich zu Verschwörungen und Geheim¬
bünden zusammenfand, daß man damals ewige Feindschaft einem Staate schwur,
der blutig die ewigen Menschheitsrechte unterdrückte, daß ein überspannter
Idealismus wahnsinnige Ideen gebar, daß eine lichtscheue Gesellschaft versteckte
Schleichwege wandelte, um heimlich die verhaßte Staatsgewalt zu unterwühlen,
daß man sich an jene hinterhaltige Kampfesart gewöhnte, die noch heute das
politische Leben Italiens so unheilvoll vergiftet?
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