Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.Italien eim Scheidewege wenn Österreich gegen dessen Bestimmungen gefehlt haben würde? Mit viel Italien eim Scheidewege wenn Österreich gegen dessen Bestimmungen gefehlt haben würde? Mit viel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323114"/> <fw type="header" place="top"> Italien eim Scheidewege</fw><lb/> <p xml:id="ID_15" prev="#ID_14" next="#ID_16"> wenn Österreich gegen dessen Bestimmungen gefehlt haben würde? Mit viel<lb/> mehr Recht hätte Österreich den Dreibundsoertrag als verfallen erklären können,<lb/> denn mit gutem Gewissen darf es behaupten, daß der Vertrag seine Voraus¬<lb/> setzungen nicht mehr erfüllt, weil Italien teilnahmslos zugesehen hat, als seine<lb/> Interessen von einer fremden Nation verletzt wurden. WeiterI Hat der Dreibund<lb/> bisher gegen seinen grundlegenden friedlichen Charakter verstoßen? Gewiß nicht,<lb/> denn nicht er hat den Frieden Europas gestört, den er durch zweiunddreißig<lb/> Jahre unermüdlich verteidigte. Auch Osterreich hat ihn nicht gestört, denn<lb/> es begann einen Ehrenhandel, wie jeder Staat in gleicher Lage getan haben<lb/> würde. Um den europäischen Frieden zu erhalten, schuf Bismarck einen De¬<lb/> fensivvertrag mit Österreich. Um seinen Frieden nicht gestört zu sehen, trat<lb/> Italien, das sich von der einen Seite von Frankreich, auf der anderen von<lb/> Österreich bedroht sah, dank der einsichtigen Politik Crispis dem Zweibunde<lb/> bei, der nun ein Dreibund wurde und der gerade Italien die größten Vorteile<lb/> gewährte, denn es konnte seinen inneren wirtschaftlichen und liberalen Aufgaben<lb/> und seiner Kolonialpolitik im Schatten der von zwei mächtigen Reichen gepflanzten<lb/> Friedenspalme ungestört nachgehen. Die italienischen Nationalisten behaupten,<lb/> daß Deutschland und Österreich verpflichtet gewesen wären, die italienischen<lb/> Interessen zu schützen, daß diese Interessen jedoch im Gegenteil durch den Krieg<lb/> geschädigt seien. Solches ist ersichtlich noch nicht der Fall gewesen, denn<lb/> während der ganzen Dauer des Dreibundes hat keine Nation Italien den Krieg<lb/> erklärt. Wenn jetzt irgendwelche Interessen dieses Landes geschädigt sind, so<lb/> sind es nur Handelsinteressen, die durch Englands Schuld leiden. Italien darf<lb/> also England den Krieg erklären und genießt dabei den Schutz der zwei Kaiser¬<lb/> reiche. Es zögert dies zu tun, weil es damit auch gegen Frankreich Partei<lb/> ergreifen müßte, das zu schonen es Gründe hat. Was einmal geschehen wird,<lb/> was einmal Osterreich tun kann, sind Voraussetzungen. Aber nur Tatsachen<lb/> können ein Vertragsverhältnis lösen. Solange Italien nicht nachweisen kann,<lb/> daß der Dreibundvertrag infolge des Umstandes, daß zwei der Kontrahenten<lb/> in einen ihnen aufgedrungenen Krieg verwickelt sind, die italienischen Interessen<lb/> gefährdet, daß er das italienische Volk durch dessen treues Festhalten am Vertrage<lb/> in das Verderben reißt — solange ist der Dreibundsvertrag als zu Recht<lb/> bestehend zu betrachten. Deutschland und Österreich haben von Italien nicht<lb/> verlangt, daß es an ihrer Seite gegen den Dreiverband zu Felde ziehe. Sie<lb/> hatten keine Ansprüche auf diese Kriegsbeihilfe Italiens zu erheben, darum taten<lb/> sie es nicht. Indem diese beiden Mächte allein den Kampf aufnahmen, schädigten<lb/> sie nicht nur nicht Italiens Interessen, sondern sie schützten sie. Wir verlangen<lb/> keinen Dank dafür, nur ein Abwarten Gewehr bei Fuß, das Italien selbst so<lb/> oder so zugute kommen muß. „Wenn Frankreich so stark sein wird, wie es<lb/> werden muß," hat einmal Louis Veuillot gesagt, „wird es genötigt sein, zwei<lb/> nationale Einheiten zu zerstören, die deutsche und die italienische." Wir sorgen<lb/> dafür, daß die deutsche Einheit durch Frankreich nicht zerstört werden wird,.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
Italien eim Scheidewege
wenn Österreich gegen dessen Bestimmungen gefehlt haben würde? Mit viel
mehr Recht hätte Österreich den Dreibundsoertrag als verfallen erklären können,
denn mit gutem Gewissen darf es behaupten, daß der Vertrag seine Voraus¬
setzungen nicht mehr erfüllt, weil Italien teilnahmslos zugesehen hat, als seine
Interessen von einer fremden Nation verletzt wurden. WeiterI Hat der Dreibund
bisher gegen seinen grundlegenden friedlichen Charakter verstoßen? Gewiß nicht,
denn nicht er hat den Frieden Europas gestört, den er durch zweiunddreißig
Jahre unermüdlich verteidigte. Auch Osterreich hat ihn nicht gestört, denn
es begann einen Ehrenhandel, wie jeder Staat in gleicher Lage getan haben
würde. Um den europäischen Frieden zu erhalten, schuf Bismarck einen De¬
fensivvertrag mit Österreich. Um seinen Frieden nicht gestört zu sehen, trat
Italien, das sich von der einen Seite von Frankreich, auf der anderen von
Österreich bedroht sah, dank der einsichtigen Politik Crispis dem Zweibunde
bei, der nun ein Dreibund wurde und der gerade Italien die größten Vorteile
gewährte, denn es konnte seinen inneren wirtschaftlichen und liberalen Aufgaben
und seiner Kolonialpolitik im Schatten der von zwei mächtigen Reichen gepflanzten
Friedenspalme ungestört nachgehen. Die italienischen Nationalisten behaupten,
daß Deutschland und Österreich verpflichtet gewesen wären, die italienischen
Interessen zu schützen, daß diese Interessen jedoch im Gegenteil durch den Krieg
geschädigt seien. Solches ist ersichtlich noch nicht der Fall gewesen, denn
während der ganzen Dauer des Dreibundes hat keine Nation Italien den Krieg
erklärt. Wenn jetzt irgendwelche Interessen dieses Landes geschädigt sind, so
sind es nur Handelsinteressen, die durch Englands Schuld leiden. Italien darf
also England den Krieg erklären und genießt dabei den Schutz der zwei Kaiser¬
reiche. Es zögert dies zu tun, weil es damit auch gegen Frankreich Partei
ergreifen müßte, das zu schonen es Gründe hat. Was einmal geschehen wird,
was einmal Osterreich tun kann, sind Voraussetzungen. Aber nur Tatsachen
können ein Vertragsverhältnis lösen. Solange Italien nicht nachweisen kann,
daß der Dreibundvertrag infolge des Umstandes, daß zwei der Kontrahenten
in einen ihnen aufgedrungenen Krieg verwickelt sind, die italienischen Interessen
gefährdet, daß er das italienische Volk durch dessen treues Festhalten am Vertrage
in das Verderben reißt — solange ist der Dreibundsvertrag als zu Recht
bestehend zu betrachten. Deutschland und Österreich haben von Italien nicht
verlangt, daß es an ihrer Seite gegen den Dreiverband zu Felde ziehe. Sie
hatten keine Ansprüche auf diese Kriegsbeihilfe Italiens zu erheben, darum taten
sie es nicht. Indem diese beiden Mächte allein den Kampf aufnahmen, schädigten
sie nicht nur nicht Italiens Interessen, sondern sie schützten sie. Wir verlangen
keinen Dank dafür, nur ein Abwarten Gewehr bei Fuß, das Italien selbst so
oder so zugute kommen muß. „Wenn Frankreich so stark sein wird, wie es
werden muß," hat einmal Louis Veuillot gesagt, „wird es genötigt sein, zwei
nationale Einheiten zu zerstören, die deutsche und die italienische." Wir sorgen
dafür, daß die deutsche Einheit durch Frankreich nicht zerstört werden wird,.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |