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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Menschen überwinden können. Und sollte das selbst einmal, in unabsehbarer
Zukunft, soweit gelungen sein, daß die ganze Menschheit ein Staat und ein
Volk ist -- doch wohl ein reizloser Gedanke! -- so stünde die Möglichkeit vor
uns auf. das; wir unsere Macht mit Wesen eines anderen Sterns messen müßten.




Wir kehren zu unserer ersten Frage zurück: Was wird im Kriege gemessen?
und antworten: Es mißt sich die Macht der Staaten, indem sie einander nach
ihrem Willen zu zwingen versuchen mit brutaler Gewalt. Gewalt ist freilich
ein Wort, das den Gegensatz zur Kultur bedeutet. Aber was den Staaten
Gewalt gibt, das ist die Quintessenz all ihrer Kultur, des technischen Könnens,
der Disziplin und Gewissenhaftigkeit, des Gehorsams und der Bereitschaft
zu sterben. Richten wir den Blick darauf, daß wir mit unseren furchtbaren
Maschinen des Todes auf die Feinde eindringen, so ist der Krieg Barbarei.
Erinnern wir uns, daß genau mit den gleichen Maschinen der Feind gegen
unser Heer wütet, und daß unsere Truppen trotzdem hingehen, standhalten und
vorwärtsdringen, so ist der Krieg Blüte und Frucht menschlicher Kultur. Er
ist die Fähigkeit und Bereitschaft zum Opfer, und was ein Volk an Eigennutz,
Genußsucht und jeder Art materieller Niedrigkeit gefehlt haben mag: all dies
ist sühnbar, weil hinter allem die Möglichkeit des Krieges steht.

Und so bliebe allenfalls noch die Frage, ob die Entscheidungen der Kriege
gerecht sind -- wäre diese Frage nicht sinnlos. Gerechte und ungerechte Ent¬
scheidung würde voraussetzen, daß es vor dem Kriege feststeht, wer siegen soll
-- und dann gäbe es diesen Krieg nicht. Der Krieg selbst ist die höchste
Instanz im Leben der Staaten; der Sieg ist ebensogut die Folge der Macht
wie ihre Ursache. Ungerecht mag das Schicksal der Individuen sein, die in
den Krieg hineingerissen werden. Der Staat -- und dies dürste "des Königs
letzte Weisheit" sein -- ist soweit Staat, als er zu siegen versteht.




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Menschen überwinden können. Und sollte das selbst einmal, in unabsehbarer
Zukunft, soweit gelungen sein, daß die ganze Menschheit ein Staat und ein
Volk ist — doch wohl ein reizloser Gedanke! — so stünde die Möglichkeit vor
uns auf. das; wir unsere Macht mit Wesen eines anderen Sterns messen müßten.




Wir kehren zu unserer ersten Frage zurück: Was wird im Kriege gemessen?
und antworten: Es mißt sich die Macht der Staaten, indem sie einander nach
ihrem Willen zu zwingen versuchen mit brutaler Gewalt. Gewalt ist freilich
ein Wort, das den Gegensatz zur Kultur bedeutet. Aber was den Staaten
Gewalt gibt, das ist die Quintessenz all ihrer Kultur, des technischen Könnens,
der Disziplin und Gewissenhaftigkeit, des Gehorsams und der Bereitschaft
zu sterben. Richten wir den Blick darauf, daß wir mit unseren furchtbaren
Maschinen des Todes auf die Feinde eindringen, so ist der Krieg Barbarei.
Erinnern wir uns, daß genau mit den gleichen Maschinen der Feind gegen
unser Heer wütet, und daß unsere Truppen trotzdem hingehen, standhalten und
vorwärtsdringen, so ist der Krieg Blüte und Frucht menschlicher Kultur. Er
ist die Fähigkeit und Bereitschaft zum Opfer, und was ein Volk an Eigennutz,
Genußsucht und jeder Art materieller Niedrigkeit gefehlt haben mag: all dies
ist sühnbar, weil hinter allem die Möglichkeit des Krieges steht.

Und so bliebe allenfalls noch die Frage, ob die Entscheidungen der Kriege
gerecht sind — wäre diese Frage nicht sinnlos. Gerechte und ungerechte Ent¬
scheidung würde voraussetzen, daß es vor dem Kriege feststeht, wer siegen soll
— und dann gäbe es diesen Krieg nicht. Der Krieg selbst ist die höchste
Instanz im Leben der Staaten; der Sieg ist ebensogut die Folge der Macht
wie ihre Ursache. Ungerecht mag das Schicksal der Individuen sein, die in
den Krieg hineingerissen werden. Der Staat — und dies dürste „des Königs
letzte Weisheit" sein — ist soweit Staat, als er zu siegen versteht.




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[0158] llltims rstio reZis Menschen überwinden können. Und sollte das selbst einmal, in unabsehbarer Zukunft, soweit gelungen sein, daß die ganze Menschheit ein Staat und ein Volk ist — doch wohl ein reizloser Gedanke! — so stünde die Möglichkeit vor uns auf. das; wir unsere Macht mit Wesen eines anderen Sterns messen müßten. Wir kehren zu unserer ersten Frage zurück: Was wird im Kriege gemessen? und antworten: Es mißt sich die Macht der Staaten, indem sie einander nach ihrem Willen zu zwingen versuchen mit brutaler Gewalt. Gewalt ist freilich ein Wort, das den Gegensatz zur Kultur bedeutet. Aber was den Staaten Gewalt gibt, das ist die Quintessenz all ihrer Kultur, des technischen Könnens, der Disziplin und Gewissenhaftigkeit, des Gehorsams und der Bereitschaft zu sterben. Richten wir den Blick darauf, daß wir mit unseren furchtbaren Maschinen des Todes auf die Feinde eindringen, so ist der Krieg Barbarei. Erinnern wir uns, daß genau mit den gleichen Maschinen der Feind gegen unser Heer wütet, und daß unsere Truppen trotzdem hingehen, standhalten und vorwärtsdringen, so ist der Krieg Blüte und Frucht menschlicher Kultur. Er ist die Fähigkeit und Bereitschaft zum Opfer, und was ein Volk an Eigennutz, Genußsucht und jeder Art materieller Niedrigkeit gefehlt haben mag: all dies ist sühnbar, weil hinter allem die Möglichkeit des Krieges steht. Und so bliebe allenfalls noch die Frage, ob die Entscheidungen der Kriege gerecht sind — wäre diese Frage nicht sinnlos. Gerechte und ungerechte Ent¬ scheidung würde voraussetzen, daß es vor dem Kriege feststeht, wer siegen soll — und dann gäbe es diesen Krieg nicht. Der Krieg selbst ist die höchste Instanz im Leben der Staaten; der Sieg ist ebensogut die Folge der Macht wie ihre Ursache. Ungerecht mag das Schicksal der Individuen sein, die in den Krieg hineingerissen werden. Der Staat — und dies dürste „des Königs letzte Weisheit" sein — ist soweit Staat, als er zu siegen versteht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/158>, abgerufen am 19.10.2024.