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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Rassenverhältnisse und die Rassenpolitik Englands in Uebersee

Seelen durch einige wenige anders organisierter Geister. -- Aber die große
Last der sittlichen Verantwortung, die ein solches Kulturproblem dem koloni¬
sierenden Volke auferlegt, macht dem Engländer im Grunde kein besonderes
Kopfzerbrechen: mußte doch selbst Lord Curzon als Vizekönig von Indien in
seiner großen Guildhall-Rede von 1904 gestehen, daß "den Durchschnitts¬
engländer das neueste Fußball- oder Cricketwettspiel, ein Motorrennen oder ein
Ringkampfmatch viel mehr interessieren, als die große Verantwortung, die seine
Landsleute auf dem Erdenrund auf sich geladen haben." -- Und was der
kluge Staatsmann hier vom Durchschnittsengländer sagt, das gilt mit unge-
minderter: Rechte auch von der englischen Durchschnittspolitik selbst: sie ist,
zum mindesten in der Beurteilung des verwickelten Rassenproblems, so gleich¬
gültig und verlegen, daß man sie geradezu als grundsatzlos bezeichnen nutz.

Aus dieser Grundsatzlosigkeit erklärt sich denn auch allein die auffallende
und störende Vielfältigkeit der rechtlichen und sozialen Regelung der eingeborenen
Rassenverhältnisse in den englischen Kolonien. In der Union von Südafrika
zum Beispiel haben die Kaffern in der eigentlichen Kapkolonie das aktive Wahl¬
recht, seitdem 1907 das Stimmrecht "jedem zivilisierten Mann" statt jedem
"Weißen" erteilt wurde; die Kaffern des benachbarten Natal jedoch besitzen es
nur theoretisch, während es ihnen praktisch so gut wie unerreichbar bleibt.

Die Neueinwanderung beziehungsweise Einführung von Kukis gelber und
brauner Farbe in das Uniongebiet ist seit demselben Jahre -- vornehmlich
auf das Drängen der burischen Großgrundbesitzer hin -- gesetzlich verboten
worden; die vorhandenen farbigen Arbeiter asiatischer Herkunft wurden wieder
abgeschoben. Später heimlich eingeschmuggelte Kukis wanderten zum Teil ins
Gefängnis oder wurden zwangsmäßig in ihre Heimat zurückbefördert. Die Zahl
dieser besonders seit dem Friedensschlüsse von 1902 von den englischen Groß-
minenbesitzern eingeführten Kukis hatte übrigens bis zu dem obigen Datum
etwa 50000 Mann betragen; und in Natal waren schon 1904 die Inder
allein genommen zahlreicher als die Europäer, so daß in der rassenbewußteren
Presse Australiens und Neuseelands schon damals betont wurde, man solle Pro¬
vinzen, die mit so vielem britischen Blute erobert seien, nicht widerstandslos den
"asiatischen Horden" überlassen. Ebenso müssen zum Beispiel schon seit Jahren alle
bei dem Einwanderungsamt von Vancouver gekanteten Chinesen eine enorme
Kopfsteuer -- wenn wir recht berichtet sind, 600 Mark -- hinterlegen; Inder
aus dem britischen Kolonialgebiet werden überhaupt zurückgewiesen: der farbige
Verbündete Englands aber, Japan, wurde genötigt, die Auswanderung der
eigenen Landeskinder nach Britisch-Nordamerika selbst zu verbieten, und in
Neuseeland ist man schließlich gleichfalls entweder zu Kopfsteuern oder zu
Einwanderungsverboten mit Gefängnisstrafe für braune Arbeiter übergegangen.
Gerade in Australien war man mit der Politik der Rassenabwehr schon
im Jahre 1901 so gut wie fertig geworden: nach 1906 zum Beispiel durfte
in Oueensland kein Kanäle (malaiopolynesischer Arbeiter) mehr eingestellt werden,


Rassenverhältnisse und die Rassenpolitik Englands in Uebersee

Seelen durch einige wenige anders organisierter Geister. — Aber die große
Last der sittlichen Verantwortung, die ein solches Kulturproblem dem koloni¬
sierenden Volke auferlegt, macht dem Engländer im Grunde kein besonderes
Kopfzerbrechen: mußte doch selbst Lord Curzon als Vizekönig von Indien in
seiner großen Guildhall-Rede von 1904 gestehen, daß „den Durchschnitts¬
engländer das neueste Fußball- oder Cricketwettspiel, ein Motorrennen oder ein
Ringkampfmatch viel mehr interessieren, als die große Verantwortung, die seine
Landsleute auf dem Erdenrund auf sich geladen haben." — Und was der
kluge Staatsmann hier vom Durchschnittsengländer sagt, das gilt mit unge-
minderter: Rechte auch von der englischen Durchschnittspolitik selbst: sie ist,
zum mindesten in der Beurteilung des verwickelten Rassenproblems, so gleich¬
gültig und verlegen, daß man sie geradezu als grundsatzlos bezeichnen nutz.

Aus dieser Grundsatzlosigkeit erklärt sich denn auch allein die auffallende
und störende Vielfältigkeit der rechtlichen und sozialen Regelung der eingeborenen
Rassenverhältnisse in den englischen Kolonien. In der Union von Südafrika
zum Beispiel haben die Kaffern in der eigentlichen Kapkolonie das aktive Wahl¬
recht, seitdem 1907 das Stimmrecht „jedem zivilisierten Mann" statt jedem
„Weißen" erteilt wurde; die Kaffern des benachbarten Natal jedoch besitzen es
nur theoretisch, während es ihnen praktisch so gut wie unerreichbar bleibt.

Die Neueinwanderung beziehungsweise Einführung von Kukis gelber und
brauner Farbe in das Uniongebiet ist seit demselben Jahre — vornehmlich
auf das Drängen der burischen Großgrundbesitzer hin — gesetzlich verboten
worden; die vorhandenen farbigen Arbeiter asiatischer Herkunft wurden wieder
abgeschoben. Später heimlich eingeschmuggelte Kukis wanderten zum Teil ins
Gefängnis oder wurden zwangsmäßig in ihre Heimat zurückbefördert. Die Zahl
dieser besonders seit dem Friedensschlüsse von 1902 von den englischen Groß-
minenbesitzern eingeführten Kukis hatte übrigens bis zu dem obigen Datum
etwa 50000 Mann betragen; und in Natal waren schon 1904 die Inder
allein genommen zahlreicher als die Europäer, so daß in der rassenbewußteren
Presse Australiens und Neuseelands schon damals betont wurde, man solle Pro¬
vinzen, die mit so vielem britischen Blute erobert seien, nicht widerstandslos den
„asiatischen Horden" überlassen. Ebenso müssen zum Beispiel schon seit Jahren alle
bei dem Einwanderungsamt von Vancouver gekanteten Chinesen eine enorme
Kopfsteuer — wenn wir recht berichtet sind, 600 Mark — hinterlegen; Inder
aus dem britischen Kolonialgebiet werden überhaupt zurückgewiesen: der farbige
Verbündete Englands aber, Japan, wurde genötigt, die Auswanderung der
eigenen Landeskinder nach Britisch-Nordamerika selbst zu verbieten, und in
Neuseeland ist man schließlich gleichfalls entweder zu Kopfsteuern oder zu
Einwanderungsverboten mit Gefängnisstrafe für braune Arbeiter übergegangen.
Gerade in Australien war man mit der Politik der Rassenabwehr schon
im Jahre 1901 so gut wie fertig geworden: nach 1906 zum Beispiel durfte
in Oueensland kein Kanäle (malaiopolynesischer Arbeiter) mehr eingestellt werden,


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[0104] Rassenverhältnisse und die Rassenpolitik Englands in Uebersee Seelen durch einige wenige anders organisierter Geister. — Aber die große Last der sittlichen Verantwortung, die ein solches Kulturproblem dem koloni¬ sierenden Volke auferlegt, macht dem Engländer im Grunde kein besonderes Kopfzerbrechen: mußte doch selbst Lord Curzon als Vizekönig von Indien in seiner großen Guildhall-Rede von 1904 gestehen, daß „den Durchschnitts¬ engländer das neueste Fußball- oder Cricketwettspiel, ein Motorrennen oder ein Ringkampfmatch viel mehr interessieren, als die große Verantwortung, die seine Landsleute auf dem Erdenrund auf sich geladen haben." — Und was der kluge Staatsmann hier vom Durchschnittsengländer sagt, das gilt mit unge- minderter: Rechte auch von der englischen Durchschnittspolitik selbst: sie ist, zum mindesten in der Beurteilung des verwickelten Rassenproblems, so gleich¬ gültig und verlegen, daß man sie geradezu als grundsatzlos bezeichnen nutz. Aus dieser Grundsatzlosigkeit erklärt sich denn auch allein die auffallende und störende Vielfältigkeit der rechtlichen und sozialen Regelung der eingeborenen Rassenverhältnisse in den englischen Kolonien. In der Union von Südafrika zum Beispiel haben die Kaffern in der eigentlichen Kapkolonie das aktive Wahl¬ recht, seitdem 1907 das Stimmrecht „jedem zivilisierten Mann" statt jedem „Weißen" erteilt wurde; die Kaffern des benachbarten Natal jedoch besitzen es nur theoretisch, während es ihnen praktisch so gut wie unerreichbar bleibt. Die Neueinwanderung beziehungsweise Einführung von Kukis gelber und brauner Farbe in das Uniongebiet ist seit demselben Jahre — vornehmlich auf das Drängen der burischen Großgrundbesitzer hin — gesetzlich verboten worden; die vorhandenen farbigen Arbeiter asiatischer Herkunft wurden wieder abgeschoben. Später heimlich eingeschmuggelte Kukis wanderten zum Teil ins Gefängnis oder wurden zwangsmäßig in ihre Heimat zurückbefördert. Die Zahl dieser besonders seit dem Friedensschlüsse von 1902 von den englischen Groß- minenbesitzern eingeführten Kukis hatte übrigens bis zu dem obigen Datum etwa 50000 Mann betragen; und in Natal waren schon 1904 die Inder allein genommen zahlreicher als die Europäer, so daß in der rassenbewußteren Presse Australiens und Neuseelands schon damals betont wurde, man solle Pro¬ vinzen, die mit so vielem britischen Blute erobert seien, nicht widerstandslos den „asiatischen Horden" überlassen. Ebenso müssen zum Beispiel schon seit Jahren alle bei dem Einwanderungsamt von Vancouver gekanteten Chinesen eine enorme Kopfsteuer — wenn wir recht berichtet sind, 600 Mark — hinterlegen; Inder aus dem britischen Kolonialgebiet werden überhaupt zurückgewiesen: der farbige Verbündete Englands aber, Japan, wurde genötigt, die Auswanderung der eigenen Landeskinder nach Britisch-Nordamerika selbst zu verbieten, und in Neuseeland ist man schließlich gleichfalls entweder zu Kopfsteuern oder zu Einwanderungsverboten mit Gefängnisstrafe für braune Arbeiter übergegangen. Gerade in Australien war man mit der Politik der Rassenabwehr schon im Jahre 1901 so gut wie fertig geworden: nach 1906 zum Beispiel durfte in Oueensland kein Kanäle (malaiopolynesischer Arbeiter) mehr eingestellt werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/104>, abgerufen am 20.10.2024.