Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Hinstellung". Mit Absicht hatte ich dabei Übrigens ist auch der Ausdruck "frag¬ "fraglos" überhaupt nicht, Richard Wagner aber Man ist jetzt im Schriftdeutsch, aber Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Hinstellung". Mit Absicht hatte ich dabei Übrigens ist auch der Ausdruck „frag¬ „fraglos" überhaupt nicht, Richard Wagner aber Man ist jetzt im Schriftdeutsch, aber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329584"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1256" prev="#ID_1255"> Hinstellung". Mit Absicht hatte ich dabei<lb/> „zweifellos" in ganz anderem Sinne ge¬<lb/> braucht als in dem jetzt üblichen, nämlich in<lb/> dem aktiven: „ohne daß man dabei Zweifel<lb/> (an der Richtigkeit, . oder der Berechtigung ,,)<lb/> hegte." Fast immer soll aber das beliebte mo¬<lb/> derne „Zweifellos" (Passiv) bedeuten: „was ich<lb/> als ein Urteil ausspreche, gegen welches mit<lb/> Recht kein Zweifel von irgendjemand er¬<lb/> hoben werden kann." Der richtige Gebrauch<lb/> des Wortes ist sehr selten, weil man nur<lb/> sehr selten einmal das zu sagen hat,<lb/> was er ausdrückt. Zu meiner Freude<lb/> habe ich ihn aber ein Paarmal in der<lb/> besten Literatur gefunden. Konrad Ferdinand<lb/> Meyer sagt in seiner Novelle „Das Amulete",<lb/> Kap. V: „Aus einigen Äußerungen erkannte<lb/> ich zweifellos meinen Freund Schaden."<lb/> Rimnrd Wagner läßt im „Lohengrin" die<lb/> Elsa zu Gertrud sagen: „Du Ärmste kannst<lb/> wohl nie ermessen, wie zweifellos mein Herze<lb/> liebt" (Sämtliche Schriften Bd. S, S. 81).<lb/> Das soll selbstverständlich heißen: ohne daß ich<lb/> je Zweifel hegte, daß hinter der mir auf¬<lb/> gelegten Bedingung, nie nach Lohengrins<lb/> Herkunft zu fragen, UnWürdigkeit oder Untreue<lb/> des Geliebten stecken könnte. Ich kam dabei<lb/> auf den Gedanken, daß Richard Wagner, mit<lb/> heimlicher Freude an seinem Sprachgefühl,<lb/> die Gelegenheit ergriffen habe, „zweifellos"<lb/> einmal sprachlich richtig zu setzen, und in der<lb/> Tat zeigte nun eine Stichprobe von zwanzig<lb/> Seiten (a. a. O. S. 181 bis 201) der Richard<lb/> Wagnerschen Prosa, daß er, wo die Modernen<lb/> „zweifellos" sagen, immer andere Ausdrücke<lb/> desselben Sinnes gebraucht: „ganz gewiß"<lb/> — „jedenfalls" — „unzweifelhaft" — „not¬<lb/> wendig" — „in Wahrheit" — „wahr ist es"<lb/> — „alle Welt weiß, daß er" — „mit Grund"<lb/> — „folgerichtig" — „unverkennbar" — „man<lb/> kann nicht leugnen" — „offenbar" — „un¬<lb/> möglich".</p> <p xml:id="ID_1257" next="#ID_1258"> Übrigens ist auch der Ausdruck „frag¬<lb/> los" aufgekommen, den ich, abgesehen von den<lb/> gegen „zweifellos" vorgetragenen Bedenken,<lb/> auch noch als recht geziert empfinde, zumal<lb/> in der mündlichen Rede. Aufgebracht ist er<lb/> vielleicht zuerst von Fr. Spielhagen, dessen Stil<lb/> ich übrigens sonst gegen einen großen neueren<lb/> Stillehrer im allgemeinen gern verteidigen<lb/> möchte; in Grimms deutschem Wörterbuch steht</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1258" prev="#ID_1257"> „fraglos" überhaupt nicht, Richard Wagner aber<lb/> kann an einer Stelle zufällig einmal dieses Wort<lb/> so gebrauchen, wie es richtigerweise gebraucht<lb/> werben könnte: „Fraglos geb' ihrem Zauber<lb/> ich mich hin," sagt Lohengrin (a. a. O. S. 162),<lb/> vom Zauber der „süßen Düfte" sprechend, in¬<lb/> dem er der Elsa gleichsam induktiv von an¬<lb/> deren Beispielen her verwehren will, ein un¬<lb/> mittelbares Glück durch grübelndes Fragen<lb/> über seinen Ursprung und sein Recht zu<lb/> schädigen, also in dem Sinne „ohne daß ich<lb/> je Fragen erhöbe".</p> <p xml:id="ID_1259" next="#ID_1260"> Man ist jetzt im Schriftdeutsch, aber<lb/> auch im gesprochenen Deutsch beinahe<lb/> niemals mehr „nicht imstande", sondern<lb/> fast immer nur „nicht in der Lage".<lb/> Das „imstande sein" („im Stande" möchte<lb/> ich nicht schreiben, weil man in der Einheit<lb/> dieser Ausdrucksweise an das Substantivum<lb/> „Stand" gar nicht denkt) war ein vollkommen<lb/> geläufiges Synonymum von „können" oder<lb/> „vermögen" und konnte schon als Abwechslung,<lb/> sehr gut sein sprachliches Dasein rechtfertigen;<lb/> ein feiner Sinnuuterschied lag kaum vor, der<lb/> zu seinem Gebrauch gezwungen hätte, die<lb/> Hauptsache aber war, daß es, echtem unbe¬<lb/> wußten Sprachtriebc sein Entstehen verdankte.<lb/> Die veränderte Wendung beruht an und für<lb/> sich auf einer öfters gewiß ganz zutreffenden<lb/> Erwägung, daß man etwas Wohl könnte, aber<lb/> doch in Berücksichtigung aller in Betracht<lb/> kommenden Gründe es doch nicht tun wolle.<lb/> Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man<lb/> dann diese feinere Schattierungdes Ausdrucks<lb/> anwendet. Aber, daß man, wo nur auf ein<lb/> wirkliches nicht Können, ein nicht ganz aus¬<lb/> reichendes Kraftmaß vorliegt, jetzt immer nur<lb/> nicht „in der Lage" ist, das ist eine 'idle<lb/> Angewohnheit, von der sehr zu wünschen wäre,<lb/> daß sie wieder zum Verschwinden käme. In<lb/> Grimms deutschem Wörterbuch wird für „in<lb/> der Lage sein, ... zu. .." nur ein einziges<lb/> Beispiel von Jeremins Gotthelf angeführt,<lb/> in einem Satze, der seinem Inhalte nach nicht<lb/> vor etwa 1880 geschrieben sein kann, — un¬<lb/> mittelbar nach vielen Beispielen aus unseren<lb/> Klassikern, in denen „Lage" in übertragenem<lb/> Sinne gebraucht wird, aber nirgends wie in<lb/> der neuen Phrase. Die Klassiker sicherlich<lb/> kannten diese noch nicht. Auch fehlt jeder Hin¬<lb/> weis, daß das jetzt eine ganz allgemein ge-</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0356]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Hinstellung". Mit Absicht hatte ich dabei
„zweifellos" in ganz anderem Sinne ge¬
braucht als in dem jetzt üblichen, nämlich in
dem aktiven: „ohne daß man dabei Zweifel
(an der Richtigkeit, . oder der Berechtigung ,,)
hegte." Fast immer soll aber das beliebte mo¬
derne „Zweifellos" (Passiv) bedeuten: „was ich
als ein Urteil ausspreche, gegen welches mit
Recht kein Zweifel von irgendjemand er¬
hoben werden kann." Der richtige Gebrauch
des Wortes ist sehr selten, weil man nur
sehr selten einmal das zu sagen hat,
was er ausdrückt. Zu meiner Freude
habe ich ihn aber ein Paarmal in der
besten Literatur gefunden. Konrad Ferdinand
Meyer sagt in seiner Novelle „Das Amulete",
Kap. V: „Aus einigen Äußerungen erkannte
ich zweifellos meinen Freund Schaden."
Rimnrd Wagner läßt im „Lohengrin" die
Elsa zu Gertrud sagen: „Du Ärmste kannst
wohl nie ermessen, wie zweifellos mein Herze
liebt" (Sämtliche Schriften Bd. S, S. 81).
Das soll selbstverständlich heißen: ohne daß ich
je Zweifel hegte, daß hinter der mir auf¬
gelegten Bedingung, nie nach Lohengrins
Herkunft zu fragen, UnWürdigkeit oder Untreue
des Geliebten stecken könnte. Ich kam dabei
auf den Gedanken, daß Richard Wagner, mit
heimlicher Freude an seinem Sprachgefühl,
die Gelegenheit ergriffen habe, „zweifellos"
einmal sprachlich richtig zu setzen, und in der
Tat zeigte nun eine Stichprobe von zwanzig
Seiten (a. a. O. S. 181 bis 201) der Richard
Wagnerschen Prosa, daß er, wo die Modernen
„zweifellos" sagen, immer andere Ausdrücke
desselben Sinnes gebraucht: „ganz gewiß"
— „jedenfalls" — „unzweifelhaft" — „not¬
wendig" — „in Wahrheit" — „wahr ist es"
— „alle Welt weiß, daß er" — „mit Grund"
— „folgerichtig" — „unverkennbar" — „man
kann nicht leugnen" — „offenbar" — „un¬
möglich".
Übrigens ist auch der Ausdruck „frag¬
los" aufgekommen, den ich, abgesehen von den
gegen „zweifellos" vorgetragenen Bedenken,
auch noch als recht geziert empfinde, zumal
in der mündlichen Rede. Aufgebracht ist er
vielleicht zuerst von Fr. Spielhagen, dessen Stil
ich übrigens sonst gegen einen großen neueren
Stillehrer im allgemeinen gern verteidigen
möchte; in Grimms deutschem Wörterbuch steht
„fraglos" überhaupt nicht, Richard Wagner aber
kann an einer Stelle zufällig einmal dieses Wort
so gebrauchen, wie es richtigerweise gebraucht
werben könnte: „Fraglos geb' ihrem Zauber
ich mich hin," sagt Lohengrin (a. a. O. S. 162),
vom Zauber der „süßen Düfte" sprechend, in¬
dem er der Elsa gleichsam induktiv von an¬
deren Beispielen her verwehren will, ein un¬
mittelbares Glück durch grübelndes Fragen
über seinen Ursprung und sein Recht zu
schädigen, also in dem Sinne „ohne daß ich
je Fragen erhöbe".
Man ist jetzt im Schriftdeutsch, aber
auch im gesprochenen Deutsch beinahe
niemals mehr „nicht imstande", sondern
fast immer nur „nicht in der Lage".
Das „imstande sein" („im Stande" möchte
ich nicht schreiben, weil man in der Einheit
dieser Ausdrucksweise an das Substantivum
„Stand" gar nicht denkt) war ein vollkommen
geläufiges Synonymum von „können" oder
„vermögen" und konnte schon als Abwechslung,
sehr gut sein sprachliches Dasein rechtfertigen;
ein feiner Sinnuuterschied lag kaum vor, der
zu seinem Gebrauch gezwungen hätte, die
Hauptsache aber war, daß es, echtem unbe¬
wußten Sprachtriebc sein Entstehen verdankte.
Die veränderte Wendung beruht an und für
sich auf einer öfters gewiß ganz zutreffenden
Erwägung, daß man etwas Wohl könnte, aber
doch in Berücksichtigung aller in Betracht
kommenden Gründe es doch nicht tun wolle.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man
dann diese feinere Schattierungdes Ausdrucks
anwendet. Aber, daß man, wo nur auf ein
wirkliches nicht Können, ein nicht ganz aus¬
reichendes Kraftmaß vorliegt, jetzt immer nur
nicht „in der Lage" ist, das ist eine 'idle
Angewohnheit, von der sehr zu wünschen wäre,
daß sie wieder zum Verschwinden käme. In
Grimms deutschem Wörterbuch wird für „in
der Lage sein, ... zu. .." nur ein einziges
Beispiel von Jeremins Gotthelf angeführt,
in einem Satze, der seinem Inhalte nach nicht
vor etwa 1880 geschrieben sein kann, — un¬
mittelbar nach vielen Beispielen aus unseren
Klassikern, in denen „Lage" in übertragenem
Sinne gebraucht wird, aber nirgends wie in
der neuen Phrase. Die Klassiker sicherlich
kannten diese noch nicht. Auch fehlt jeder Hin¬
weis, daß das jetzt eine ganz allgemein ge-
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