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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die Zukunft der Dänenfrage

Unterseeboots- und Minenwescn ebenso unausführbar geworden war, wie es
jetzt die Truppentransporte über den Ärmelkanal sind. Je mehr letzteres klar
wird, desto mehr wird man sich die Nichtverwirklichung der dänischen Gefahr
in erster Linie daraus erklären, daß die Kopenhagener Regierung über den
wahren Stand der Kräfteverhältnisse besser als andere unterrichtet war und
daher Englands Wünschen einen Widerstand entgegensetzte, den dieses mit
Gewalt nicht brechen wollte, weil es nicht konnte.

Wie dem nun auch sein mag: es steht heute bereits außerhalb des Kreises
der Wahrscheinlichkeit, daß Dänemark gegen Deutschland in den Krieg eingreift,
daß es englischen Truppen den Durchzug gestattet, daß es auf deutschem
Boden bestehende Ablösungsversuche unterstützt oder von solchen Unter¬
stützung empfängt. Was wird sich daraus für die Zukunft ergeben? Ge¬
wöhnlich pflegt man zu sagen, die dänische Frage sei eine doppelte. Neben
dem Bestreben. Nord-Schleswig politisch mit Dänemark zu vereinigen, stehe
das Vordringen der dänischen Sprache und Kultur, die Bekämpfung des
Deutschen auf gesellschaftlichen und wirtschaftlichem Gebiet. Sieht man
diese letzteren Erscheinungen als etwas Selbstverständiges an, so wird man
auch ihr Fortbestehen befürchten und die Deutschen zu immer neuem Kampfe
auf diesen Gebieten aufrufen. An eine solche Entwicklung glauben wir
indessen nicht. Die politische und die wirtschaftlich-kulturelle Frage stehen
in Wechselbeziehung. Sobald jene wegfällt, verliert diese ihren feindlichen
Charakter. Es ist durchaus irrtümlich, wenn man annimmt, daß Brüder ver¬
schiedener Sprache nicht einträchtig beieinander wohnen können. Die Schweiz
lehrt das Gegenteil und sie wehrt sich kräftig dagegen, wenn von außen her
versucht wird, aus der Verschiedenheit der Sprachen Gegensätze in ihr Volks¬
leben hineinzutragen. Aber wir brauchen noch gar nicht soweit zu gehen. Hat
es jemals eine litauische Frage gegeben? Hat eine hochdeutsche Bank jemals
einem Plattdeutschen eine Hypothek verweigert? Hat je eine wendische Amme
Bedenken getragen, in ein deutsches Haus zu gehen? Ist irgendwo verboten,
friesisch zu predigen? Von alle dem hat man nie gehört. Im Gegenteil:
wir sind stets bemüht gewesen, die Überreste selbständiger Stämme zu er¬
halten und zu pflegen. Sie haben unser Volkstum nicht überflutet, sondern
befruchtend darauf eingewirkt. Nicht anders würde es auch mit unseren Dänen
sein, wenn sie zufällig ihre Wohnsitze im Thüringer Walde statt an des Reiches
Nordgrenze hätten. Nie hat man ihre wertvollen Eigenschaften, ihre Sittlichkeit,
ihre Glaubenstiefe, ihre wirtschaftliche Tüchtigkeit angezweifelt. Ihr Streben
nach Erhaltung und Stärkung ihrer Eigenart wurde nur dadurch gefährlich,
daß es den Boden abgeben konnte für eine politische Abbröckelung, die des
Reiches Sicherheit und Ehre nicht gestattete. Nur die Notwendigkeit, hiermit
zu rechnen, trieb den Kampf auf die Spitze und ließ ihn all die traurigen Er¬
scheinungen an Gehässigkeit. Gesinnungsriecherei, Familienzwist und Kirchenstreit
zeitigen, für die eigentlich beide Teile zu gut gewesen wären.


Die Zukunft der Dänenfrage

Unterseeboots- und Minenwescn ebenso unausführbar geworden war, wie es
jetzt die Truppentransporte über den Ärmelkanal sind. Je mehr letzteres klar
wird, desto mehr wird man sich die Nichtverwirklichung der dänischen Gefahr
in erster Linie daraus erklären, daß die Kopenhagener Regierung über den
wahren Stand der Kräfteverhältnisse besser als andere unterrichtet war und
daher Englands Wünschen einen Widerstand entgegensetzte, den dieses mit
Gewalt nicht brechen wollte, weil es nicht konnte.

Wie dem nun auch sein mag: es steht heute bereits außerhalb des Kreises
der Wahrscheinlichkeit, daß Dänemark gegen Deutschland in den Krieg eingreift,
daß es englischen Truppen den Durchzug gestattet, daß es auf deutschem
Boden bestehende Ablösungsversuche unterstützt oder von solchen Unter¬
stützung empfängt. Was wird sich daraus für die Zukunft ergeben? Ge¬
wöhnlich pflegt man zu sagen, die dänische Frage sei eine doppelte. Neben
dem Bestreben. Nord-Schleswig politisch mit Dänemark zu vereinigen, stehe
das Vordringen der dänischen Sprache und Kultur, die Bekämpfung des
Deutschen auf gesellschaftlichen und wirtschaftlichem Gebiet. Sieht man
diese letzteren Erscheinungen als etwas Selbstverständiges an, so wird man
auch ihr Fortbestehen befürchten und die Deutschen zu immer neuem Kampfe
auf diesen Gebieten aufrufen. An eine solche Entwicklung glauben wir
indessen nicht. Die politische und die wirtschaftlich-kulturelle Frage stehen
in Wechselbeziehung. Sobald jene wegfällt, verliert diese ihren feindlichen
Charakter. Es ist durchaus irrtümlich, wenn man annimmt, daß Brüder ver¬
schiedener Sprache nicht einträchtig beieinander wohnen können. Die Schweiz
lehrt das Gegenteil und sie wehrt sich kräftig dagegen, wenn von außen her
versucht wird, aus der Verschiedenheit der Sprachen Gegensätze in ihr Volks¬
leben hineinzutragen. Aber wir brauchen noch gar nicht soweit zu gehen. Hat
es jemals eine litauische Frage gegeben? Hat eine hochdeutsche Bank jemals
einem Plattdeutschen eine Hypothek verweigert? Hat je eine wendische Amme
Bedenken getragen, in ein deutsches Haus zu gehen? Ist irgendwo verboten,
friesisch zu predigen? Von alle dem hat man nie gehört. Im Gegenteil:
wir sind stets bemüht gewesen, die Überreste selbständiger Stämme zu er¬
halten und zu pflegen. Sie haben unser Volkstum nicht überflutet, sondern
befruchtend darauf eingewirkt. Nicht anders würde es auch mit unseren Dänen
sein, wenn sie zufällig ihre Wohnsitze im Thüringer Walde statt an des Reiches
Nordgrenze hätten. Nie hat man ihre wertvollen Eigenschaften, ihre Sittlichkeit,
ihre Glaubenstiefe, ihre wirtschaftliche Tüchtigkeit angezweifelt. Ihr Streben
nach Erhaltung und Stärkung ihrer Eigenart wurde nur dadurch gefährlich,
daß es den Boden abgeben konnte für eine politische Abbröckelung, die des
Reiches Sicherheit und Ehre nicht gestattete. Nur die Notwendigkeit, hiermit
zu rechnen, trieb den Kampf auf die Spitze und ließ ihn all die traurigen Er¬
scheinungen an Gehässigkeit. Gesinnungsriecherei, Familienzwist und Kirchenstreit
zeitigen, für die eigentlich beide Teile zu gut gewesen wären.


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[0321] Die Zukunft der Dänenfrage Unterseeboots- und Minenwescn ebenso unausführbar geworden war, wie es jetzt die Truppentransporte über den Ärmelkanal sind. Je mehr letzteres klar wird, desto mehr wird man sich die Nichtverwirklichung der dänischen Gefahr in erster Linie daraus erklären, daß die Kopenhagener Regierung über den wahren Stand der Kräfteverhältnisse besser als andere unterrichtet war und daher Englands Wünschen einen Widerstand entgegensetzte, den dieses mit Gewalt nicht brechen wollte, weil es nicht konnte. Wie dem nun auch sein mag: es steht heute bereits außerhalb des Kreises der Wahrscheinlichkeit, daß Dänemark gegen Deutschland in den Krieg eingreift, daß es englischen Truppen den Durchzug gestattet, daß es auf deutschem Boden bestehende Ablösungsversuche unterstützt oder von solchen Unter¬ stützung empfängt. Was wird sich daraus für die Zukunft ergeben? Ge¬ wöhnlich pflegt man zu sagen, die dänische Frage sei eine doppelte. Neben dem Bestreben. Nord-Schleswig politisch mit Dänemark zu vereinigen, stehe das Vordringen der dänischen Sprache und Kultur, die Bekämpfung des Deutschen auf gesellschaftlichen und wirtschaftlichem Gebiet. Sieht man diese letzteren Erscheinungen als etwas Selbstverständiges an, so wird man auch ihr Fortbestehen befürchten und die Deutschen zu immer neuem Kampfe auf diesen Gebieten aufrufen. An eine solche Entwicklung glauben wir indessen nicht. Die politische und die wirtschaftlich-kulturelle Frage stehen in Wechselbeziehung. Sobald jene wegfällt, verliert diese ihren feindlichen Charakter. Es ist durchaus irrtümlich, wenn man annimmt, daß Brüder ver¬ schiedener Sprache nicht einträchtig beieinander wohnen können. Die Schweiz lehrt das Gegenteil und sie wehrt sich kräftig dagegen, wenn von außen her versucht wird, aus der Verschiedenheit der Sprachen Gegensätze in ihr Volks¬ leben hineinzutragen. Aber wir brauchen noch gar nicht soweit zu gehen. Hat es jemals eine litauische Frage gegeben? Hat eine hochdeutsche Bank jemals einem Plattdeutschen eine Hypothek verweigert? Hat je eine wendische Amme Bedenken getragen, in ein deutsches Haus zu gehen? Ist irgendwo verboten, friesisch zu predigen? Von alle dem hat man nie gehört. Im Gegenteil: wir sind stets bemüht gewesen, die Überreste selbständiger Stämme zu er¬ halten und zu pflegen. Sie haben unser Volkstum nicht überflutet, sondern befruchtend darauf eingewirkt. Nicht anders würde es auch mit unseren Dänen sein, wenn sie zufällig ihre Wohnsitze im Thüringer Walde statt an des Reiches Nordgrenze hätten. Nie hat man ihre wertvollen Eigenschaften, ihre Sittlichkeit, ihre Glaubenstiefe, ihre wirtschaftliche Tüchtigkeit angezweifelt. Ihr Streben nach Erhaltung und Stärkung ihrer Eigenart wurde nur dadurch gefährlich, daß es den Boden abgeben konnte für eine politische Abbröckelung, die des Reiches Sicherheit und Ehre nicht gestattete. Nur die Notwendigkeit, hiermit zu rechnen, trieb den Kampf auf die Spitze und ließ ihn all die traurigen Er¬ scheinungen an Gehässigkeit. Gesinnungsriecherei, Familienzwist und Kirchenstreit zeitigen, für die eigentlich beide Teile zu gut gewesen wären.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/321>, abgerufen am 04.07.2024.