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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Lthik und Politik

die Veröffentlichung des Depeschenwechsels zwischen Kaiser und Zar; später dann
auch mit England. Es war etwas diplomatisch Unerhörtes und erst spätere
Zeiten werden das stärker herausheben; aber es war meines Erachtens einfach
genial. Die Logik dieser Tatsachen verstand der einfachste Mann; der elektrische
Kontakt zwischen Fürst und Volk, Regierung und jedem einzelnen war momentan
hergestellt. Da hat die schrankenlose Offenheit einmal goldene Früchte getragen
und die schönsten gedrechselten und gesiebter Redensarten hätten nimmer erreicht,
was diese ruhige Veröffentlichung erreichte. Sie bedeutete für diesen Krieg
weit mehr, als die Emser Depesche für 1870.

Man bedenke auch, daß gerade infolgedessen unsere Regierung gar nicht
daran zu denken braucht, Rechenschaft abzulegen über die Kriegserklärung; ja
man stünde ungeduldig, verlöre sie damit noch Worte. Wie aber steht es
damit bei den Gegnern? Grey und Poincarö haben ihr Volk betrogen; die
Engländer hatten keine Ahnung, daß sie gebunden waren, Frankreich zu helfen
und es gar nicht mehr frei beschließen konnten. Und der französische Präsident
führt den Krieg auf Grund eines Bruchs der Verfassung; denn nur die Kammer
hat dort das Recht, Krieg oder Frieden zu machen, hat es aber gar nicht
mehr ausüben können. Natürlich, würden sie siegen, dann wäre alles gut;
andernfalls möchte ich nicht in der genannten Staatsmänner Haut stecken,
während hinter unserem Kaiser alles einmütig steht und kein Vorwurf ihn
träfe, sogar wenn wir unterliegen sollten. Das ist aber ein zweifelloser Triumph
ethischer Ehrlichkeit und Offenheit.

Nicht minder bei unseren Kriegsberichten. Gewiß sagen sie nicht stets
alles; aber was sie sagen, ist richtig. Nur ein verschrobener Ethiker aber
kann das Gebot der Wahrheitsliebe so deuten, man müsse alle Tatsachen
schrankenlos in die Welt schreien und dürfe nichts verbergen oder verheimlichen.
Nur daß unsere Rede wahr sein soll, wenn wir es für angezeigt halten, zu
reden, kann verlangt werden; was darüber ist, ist vom Übel. Sonst müßte
man auch im Privatleben jedem dummen und unverschämten Frager die
Intimitäten seines Lebens schrankenlos enthüllen. Diese Zuverlässigkeit unserer
offiziellen Berichte hat zweifellos gute Früchte getragen, wenn sie auch erst
langsam und allmählich reiften. Anfangs hatte die Lügencliaue der Gegner
mit ihrem Stab bestochener Zeitungen und Agenten einen großen Vorteil, auch
bei den Neutralen, heute gilt das schon nicht mehr; über kurzem lacht man
die Lügenfabrikanten aus. Übrigens hat man in England und Frankreich
schon eingelenkt und das Beispiel der deutschen Heeresleitung nachgeahmt; auch
eine Wirkung eines guten Prinzips. Lügen haben wirklich kurze Beine und
die Theorie der Wahrheitsliebe wird einmal von diesen großen Beispielen
wirkungsvollen Gebrauch machen können.

Zum Schluß weise ich nur darauf hin, daß auch die schlaueste Politik
indirekt des Ethos bedarf, nämlich als Faktor im ganzen Volksleben ohne den
sie rettungslos versagt. Von der Mobilmachung an, die nicht nur eine For-


Lthik und Politik

die Veröffentlichung des Depeschenwechsels zwischen Kaiser und Zar; später dann
auch mit England. Es war etwas diplomatisch Unerhörtes und erst spätere
Zeiten werden das stärker herausheben; aber es war meines Erachtens einfach
genial. Die Logik dieser Tatsachen verstand der einfachste Mann; der elektrische
Kontakt zwischen Fürst und Volk, Regierung und jedem einzelnen war momentan
hergestellt. Da hat die schrankenlose Offenheit einmal goldene Früchte getragen
und die schönsten gedrechselten und gesiebter Redensarten hätten nimmer erreicht,
was diese ruhige Veröffentlichung erreichte. Sie bedeutete für diesen Krieg
weit mehr, als die Emser Depesche für 1870.

Man bedenke auch, daß gerade infolgedessen unsere Regierung gar nicht
daran zu denken braucht, Rechenschaft abzulegen über die Kriegserklärung; ja
man stünde ungeduldig, verlöre sie damit noch Worte. Wie aber steht es
damit bei den Gegnern? Grey und Poincarö haben ihr Volk betrogen; die
Engländer hatten keine Ahnung, daß sie gebunden waren, Frankreich zu helfen
und es gar nicht mehr frei beschließen konnten. Und der französische Präsident
führt den Krieg auf Grund eines Bruchs der Verfassung; denn nur die Kammer
hat dort das Recht, Krieg oder Frieden zu machen, hat es aber gar nicht
mehr ausüben können. Natürlich, würden sie siegen, dann wäre alles gut;
andernfalls möchte ich nicht in der genannten Staatsmänner Haut stecken,
während hinter unserem Kaiser alles einmütig steht und kein Vorwurf ihn
träfe, sogar wenn wir unterliegen sollten. Das ist aber ein zweifelloser Triumph
ethischer Ehrlichkeit und Offenheit.

Nicht minder bei unseren Kriegsberichten. Gewiß sagen sie nicht stets
alles; aber was sie sagen, ist richtig. Nur ein verschrobener Ethiker aber
kann das Gebot der Wahrheitsliebe so deuten, man müsse alle Tatsachen
schrankenlos in die Welt schreien und dürfe nichts verbergen oder verheimlichen.
Nur daß unsere Rede wahr sein soll, wenn wir es für angezeigt halten, zu
reden, kann verlangt werden; was darüber ist, ist vom Übel. Sonst müßte
man auch im Privatleben jedem dummen und unverschämten Frager die
Intimitäten seines Lebens schrankenlos enthüllen. Diese Zuverlässigkeit unserer
offiziellen Berichte hat zweifellos gute Früchte getragen, wenn sie auch erst
langsam und allmählich reiften. Anfangs hatte die Lügencliaue der Gegner
mit ihrem Stab bestochener Zeitungen und Agenten einen großen Vorteil, auch
bei den Neutralen, heute gilt das schon nicht mehr; über kurzem lacht man
die Lügenfabrikanten aus. Übrigens hat man in England und Frankreich
schon eingelenkt und das Beispiel der deutschen Heeresleitung nachgeahmt; auch
eine Wirkung eines guten Prinzips. Lügen haben wirklich kurze Beine und
die Theorie der Wahrheitsliebe wird einmal von diesen großen Beispielen
wirkungsvollen Gebrauch machen können.

Zum Schluß weise ich nur darauf hin, daß auch die schlaueste Politik
indirekt des Ethos bedarf, nämlich als Faktor im ganzen Volksleben ohne den
sie rettungslos versagt. Von der Mobilmachung an, die nicht nur eine For-


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[0274] Lthik und Politik die Veröffentlichung des Depeschenwechsels zwischen Kaiser und Zar; später dann auch mit England. Es war etwas diplomatisch Unerhörtes und erst spätere Zeiten werden das stärker herausheben; aber es war meines Erachtens einfach genial. Die Logik dieser Tatsachen verstand der einfachste Mann; der elektrische Kontakt zwischen Fürst und Volk, Regierung und jedem einzelnen war momentan hergestellt. Da hat die schrankenlose Offenheit einmal goldene Früchte getragen und die schönsten gedrechselten und gesiebter Redensarten hätten nimmer erreicht, was diese ruhige Veröffentlichung erreichte. Sie bedeutete für diesen Krieg weit mehr, als die Emser Depesche für 1870. Man bedenke auch, daß gerade infolgedessen unsere Regierung gar nicht daran zu denken braucht, Rechenschaft abzulegen über die Kriegserklärung; ja man stünde ungeduldig, verlöre sie damit noch Worte. Wie aber steht es damit bei den Gegnern? Grey und Poincarö haben ihr Volk betrogen; die Engländer hatten keine Ahnung, daß sie gebunden waren, Frankreich zu helfen und es gar nicht mehr frei beschließen konnten. Und der französische Präsident führt den Krieg auf Grund eines Bruchs der Verfassung; denn nur die Kammer hat dort das Recht, Krieg oder Frieden zu machen, hat es aber gar nicht mehr ausüben können. Natürlich, würden sie siegen, dann wäre alles gut; andernfalls möchte ich nicht in der genannten Staatsmänner Haut stecken, während hinter unserem Kaiser alles einmütig steht und kein Vorwurf ihn träfe, sogar wenn wir unterliegen sollten. Das ist aber ein zweifelloser Triumph ethischer Ehrlichkeit und Offenheit. Nicht minder bei unseren Kriegsberichten. Gewiß sagen sie nicht stets alles; aber was sie sagen, ist richtig. Nur ein verschrobener Ethiker aber kann das Gebot der Wahrheitsliebe so deuten, man müsse alle Tatsachen schrankenlos in die Welt schreien und dürfe nichts verbergen oder verheimlichen. Nur daß unsere Rede wahr sein soll, wenn wir es für angezeigt halten, zu reden, kann verlangt werden; was darüber ist, ist vom Übel. Sonst müßte man auch im Privatleben jedem dummen und unverschämten Frager die Intimitäten seines Lebens schrankenlos enthüllen. Diese Zuverlässigkeit unserer offiziellen Berichte hat zweifellos gute Früchte getragen, wenn sie auch erst langsam und allmählich reiften. Anfangs hatte die Lügencliaue der Gegner mit ihrem Stab bestochener Zeitungen und Agenten einen großen Vorteil, auch bei den Neutralen, heute gilt das schon nicht mehr; über kurzem lacht man die Lügenfabrikanten aus. Übrigens hat man in England und Frankreich schon eingelenkt und das Beispiel der deutschen Heeresleitung nachgeahmt; auch eine Wirkung eines guten Prinzips. Lügen haben wirklich kurze Beine und die Theorie der Wahrheitsliebe wird einmal von diesen großen Beispielen wirkungsvollen Gebrauch machen können. Zum Schluß weise ich nur darauf hin, daß auch die schlaueste Politik indirekt des Ethos bedarf, nämlich als Faktor im ganzen Volksleben ohne den sie rettungslos versagt. Von der Mobilmachung an, die nicht nur eine For-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/274>, abgerufen am 04.07.2024.