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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Englands Geldwesen im Kriege

Nur erreichten uns die Berichte von Reisenden usw. erst, als hier die Ruhe
schon größtenteils wiedergewonnen war. So ist der Eindruck jener Berichte
übertrieben ungünstig gewesen.

Es ist heute möglich, das klar zu überblicken. Am 31. Juli und 1. August
herrschte in London eine starke Panik. Die Bank von England hatte ihren
Diskontsatz am 31. Juli auf 3 Prozent, am 1. August auf 10 Prozent erhöht,
an beiden Tagen aber vielfach nicht unter 10^/z Prozent Wechsel diskontiert.
Als die Banken am Sonnabend, den 1. August, mittags ihre Kassen schlössen,
sollen einige von ihnen ziemlich am Ende ihrer Zahlungsfähigkeit ge¬
wesen sein. Zunächst war die Geschäftswelt jedenfalls ratlos, weil sofortige
Hilfe in der Tat unmöglich schien. Deshalb griff man zu einem Gewalt¬
mittel. Bis zum Donnerstag, den 6. August einschließlich, wurden Bank¬
feiertage erklärt; alle Banken blieben solange geschlossen. So war
wenigstens Zeit gewonnen. Inzwischen wurde dann eine Reihe von
Notgesetzen und Verordnungen durch Regierung und Parlament in Kraft
gesetzt.

Vor allem wurde ein allgemeines Moratorium für Schulden über 5 Pfund
Sterling erklärt; nur Löhne, Gehälter, Steuern, Frachten und dergleichen aus¬
genommen. (In Deutschland ist glücklicherweise ein Moratoriumserlaß nicht
nötig gewesen.) Für den Abrechnungsausgleich der Banken im Abrechnungs¬
hause wurde "Clearinghouse - Certifikate" ausgegeben, damit die Bank von
England von diesem Bedarf an Zahlungsmitteln entlastet würde. Sodann wurde
das Schatzamt ermächtigt, Noten zu 1 Pfund Sterling und 10 Schilling zu
schaffen, um so nicht nur den Angstbedarf nach kleinen Zahlungsmitteln zu
befriedigen, sondern auch zugleich den Goldvorrat der Bank von England gegen
weitere Zugriffe nach Möglichkeit zu sichern. Diese Schatzkassenscheine wurden
von der Bank von England und den Privatbanken für Rechnung des Schatzamts
in den Verkehr gebracht; sie sind bei der Bank von England auf Verlangen in
Gold zahlbar. Die Ausgabe solcher Schatzkassenscheine war indes in Friedens¬
zeiten nicht vorbereitet worden, ihre Drucklegung erforderte Zeit, deswegen
wurden in der ersten Zeit auch Postnoten (?o8wi 0r<lLr8) -- hauptsächlich von
den Sparkassen -- zu Zahlungen verwendet. Den Postnoten und Schatzkassen,
scheinen wurde ausdrücklich gesetzliche Zahlkraft beigelegt. Zugleich wurde das
Bankgesetz (die Peelsakte) dahin geändert, daß die Bank von England Bank¬
noten zu 5 Pfund Sterling ohne Bardeckung auch über die solange vorgeschriebene
Höchstgrenze von 18450000 Pfund Sterling hinaus ausgeben dürfe. Die Gold¬
zahlungen der Bank von England sind dagegen -- wie irrtümlicherweise in der
deutschen Presse behauptet worden ist -- bisher nicht eingestellt worden. Im
Gegenteil, alle soeben aufgezählten Maßnahmen haben ja gerade ein unbedingtes
zähes Aufrechterhalten der Goldzahlungen zum Ziel, die allerdings auch ohne
allerschwerste Beeinträchtigung der Weltgeltung Englands nicht hätte aufgegeben
werden können.


Englands Geldwesen im Kriege

Nur erreichten uns die Berichte von Reisenden usw. erst, als hier die Ruhe
schon größtenteils wiedergewonnen war. So ist der Eindruck jener Berichte
übertrieben ungünstig gewesen.

Es ist heute möglich, das klar zu überblicken. Am 31. Juli und 1. August
herrschte in London eine starke Panik. Die Bank von England hatte ihren
Diskontsatz am 31. Juli auf 3 Prozent, am 1. August auf 10 Prozent erhöht,
an beiden Tagen aber vielfach nicht unter 10^/z Prozent Wechsel diskontiert.
Als die Banken am Sonnabend, den 1. August, mittags ihre Kassen schlössen,
sollen einige von ihnen ziemlich am Ende ihrer Zahlungsfähigkeit ge¬
wesen sein. Zunächst war die Geschäftswelt jedenfalls ratlos, weil sofortige
Hilfe in der Tat unmöglich schien. Deshalb griff man zu einem Gewalt¬
mittel. Bis zum Donnerstag, den 6. August einschließlich, wurden Bank¬
feiertage erklärt; alle Banken blieben solange geschlossen. So war
wenigstens Zeit gewonnen. Inzwischen wurde dann eine Reihe von
Notgesetzen und Verordnungen durch Regierung und Parlament in Kraft
gesetzt.

Vor allem wurde ein allgemeines Moratorium für Schulden über 5 Pfund
Sterling erklärt; nur Löhne, Gehälter, Steuern, Frachten und dergleichen aus¬
genommen. (In Deutschland ist glücklicherweise ein Moratoriumserlaß nicht
nötig gewesen.) Für den Abrechnungsausgleich der Banken im Abrechnungs¬
hause wurde „Clearinghouse - Certifikate" ausgegeben, damit die Bank von
England von diesem Bedarf an Zahlungsmitteln entlastet würde. Sodann wurde
das Schatzamt ermächtigt, Noten zu 1 Pfund Sterling und 10 Schilling zu
schaffen, um so nicht nur den Angstbedarf nach kleinen Zahlungsmitteln zu
befriedigen, sondern auch zugleich den Goldvorrat der Bank von England gegen
weitere Zugriffe nach Möglichkeit zu sichern. Diese Schatzkassenscheine wurden
von der Bank von England und den Privatbanken für Rechnung des Schatzamts
in den Verkehr gebracht; sie sind bei der Bank von England auf Verlangen in
Gold zahlbar. Die Ausgabe solcher Schatzkassenscheine war indes in Friedens¬
zeiten nicht vorbereitet worden, ihre Drucklegung erforderte Zeit, deswegen
wurden in der ersten Zeit auch Postnoten (?o8wi 0r<lLr8) — hauptsächlich von
den Sparkassen — zu Zahlungen verwendet. Den Postnoten und Schatzkassen,
scheinen wurde ausdrücklich gesetzliche Zahlkraft beigelegt. Zugleich wurde das
Bankgesetz (die Peelsakte) dahin geändert, daß die Bank von England Bank¬
noten zu 5 Pfund Sterling ohne Bardeckung auch über die solange vorgeschriebene
Höchstgrenze von 18450000 Pfund Sterling hinaus ausgeben dürfe. Die Gold¬
zahlungen der Bank von England sind dagegen — wie irrtümlicherweise in der
deutschen Presse behauptet worden ist — bisher nicht eingestellt worden. Im
Gegenteil, alle soeben aufgezählten Maßnahmen haben ja gerade ein unbedingtes
zähes Aufrechterhalten der Goldzahlungen zum Ziel, die allerdings auch ohne
allerschwerste Beeinträchtigung der Weltgeltung Englands nicht hätte aufgegeben
werden können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/144>, abgerufen am 01.07.2024.