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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr.

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Die "Seeherrschaft"

Die kleine Zahl der Konkurrenten, die nach heutigem Maßstabe winzigen
Warenmengen und Warenkategorien, machten es möglich, daß der Kaufmann
die Waren, die er absetzen wollte, durch Raub erwerben konnte. Die wichtigsten
Schiffsladungen waren vom fünfzehnten bis ins siebzehnte Jahrhundert Edel¬
metalle und Kolonialwaren. Beide hatten einen viel höheren Wert als heute
(den Gewürzen verhalf der nach Reizmitteln gierige Durst der Nordländer zu
einer lächerlich hohen Schätzung), sodaß es ein gutes Geschäft war, Silber¬
und Gewürzflotten zu kapern, außer den Waren raubte man einander auch
deren Ursprungsstätten, die Kolonien. Eine für die Engländer sehr wichtige
Ware, das schwarze Elfenbein, konnte überhaupt nicht anders als durch Raub
beschafft werden; sie hatten durch den Asientenvertrag von 1713 das Monopol
der Einfuhr von Negersklaven in die spanischen Kolonien erworben und haben
es bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein ausgenützt. Heut spielen nicht ein¬
mal Edelmetalle, geschweige denn Gewürze und Negersklaven, eine ausschlag¬
gebende Rolle im Welthandel. Die drei Hauptkategorien der Handelswaren
sind Nahrungsmittel, Rohstoffe und Jndustrieerzeugnisse. Der ungestörte
Verkehr mit den Waren der ersten beiden Kategorien ist Lebensfrage für die
meisten Nationen, für keine mehr als für die englische; sodaß der Versuch einer
gewaltsamen Störung gerade dieses Verkehrs die Wut aller Nationen, am meisten
der englischen, erregen muß, und die Engländer, wenn ihrem schwerfälligen Gehirn
endlich das Licht aufgegangen sein wird. Herrn Edward Grey in Stücke reißen
oder wenigstens ohrfeigen werden. Was aber die Jndustriewaren" betrifft, so
wäre es (abgesehen vom Grotesken des Gedankens, heutzutage noch mit gestohlenen
oder geraubten Waren Großhandel treiben zu wollen) sehr lächerlich, solche zu
rauben; die Engländer haben mit dem Absatz ihres eignen Kattuns schon Not
genug, sie können sich vernünftigerweise nicht noch mit dem des sächsischen
befassen wollen. Und Waren werden heutzutage mit Waren bezahlt, so daß
ein Staat, der nicht einführen wollte, auch nicht ausführen könnte, der stärkste
Konkurrent zugleich der beste Kunde ist und, wer seine Konkurrenten schwächt,
damit sich ins eigne Fleisch schneidet. Der Welthandel ist heute das, was
Adam Smith in ihm sah: der Austausch der verschiedenen Erzeugnisse der Länder,
bei welchem beide austauschende Parteien gleich viel gewinnen; Smith
täuschte sich nur darin, daß er sein Ideal schon verwirklicht glaubte, während
damals die übrigen, industriell sämtlich schwachen Nationen noch von England
ausgebeutet wurden. Die heutige Wirtschastsverfassung der Völker und der
heutige Verkehr verstricken alle Staaten in ein Netz von Abhängigkeiten und
Zahlungsverbindlichkeiten, das an keiner Stelle zerrissen werden kann, ohne
daß d'.e übrigen Stellen in Mitleidenschaft gezogen werden, und wiederum muß
auch in dieser Beziehung die Störung am schmerzlichsten in London empfunden
werden, wo alle Fäden des Netzes zusammenlaufen; Grevs Schwabenstreich hat
die City als Mittelpunkt des Weltverkehrs unmöglich gemacht. Diese Natur
des heutigen Handelsverkehrs hat man ja nun endlich -- sehr spät -- seit


Die „Seeherrschaft"

Die kleine Zahl der Konkurrenten, die nach heutigem Maßstabe winzigen
Warenmengen und Warenkategorien, machten es möglich, daß der Kaufmann
die Waren, die er absetzen wollte, durch Raub erwerben konnte. Die wichtigsten
Schiffsladungen waren vom fünfzehnten bis ins siebzehnte Jahrhundert Edel¬
metalle und Kolonialwaren. Beide hatten einen viel höheren Wert als heute
(den Gewürzen verhalf der nach Reizmitteln gierige Durst der Nordländer zu
einer lächerlich hohen Schätzung), sodaß es ein gutes Geschäft war, Silber¬
und Gewürzflotten zu kapern, außer den Waren raubte man einander auch
deren Ursprungsstätten, die Kolonien. Eine für die Engländer sehr wichtige
Ware, das schwarze Elfenbein, konnte überhaupt nicht anders als durch Raub
beschafft werden; sie hatten durch den Asientenvertrag von 1713 das Monopol
der Einfuhr von Negersklaven in die spanischen Kolonien erworben und haben
es bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein ausgenützt. Heut spielen nicht ein¬
mal Edelmetalle, geschweige denn Gewürze und Negersklaven, eine ausschlag¬
gebende Rolle im Welthandel. Die drei Hauptkategorien der Handelswaren
sind Nahrungsmittel, Rohstoffe und Jndustrieerzeugnisse. Der ungestörte
Verkehr mit den Waren der ersten beiden Kategorien ist Lebensfrage für die
meisten Nationen, für keine mehr als für die englische; sodaß der Versuch einer
gewaltsamen Störung gerade dieses Verkehrs die Wut aller Nationen, am meisten
der englischen, erregen muß, und die Engländer, wenn ihrem schwerfälligen Gehirn
endlich das Licht aufgegangen sein wird. Herrn Edward Grey in Stücke reißen
oder wenigstens ohrfeigen werden. Was aber die Jndustriewaren" betrifft, so
wäre es (abgesehen vom Grotesken des Gedankens, heutzutage noch mit gestohlenen
oder geraubten Waren Großhandel treiben zu wollen) sehr lächerlich, solche zu
rauben; die Engländer haben mit dem Absatz ihres eignen Kattuns schon Not
genug, sie können sich vernünftigerweise nicht noch mit dem des sächsischen
befassen wollen. Und Waren werden heutzutage mit Waren bezahlt, so daß
ein Staat, der nicht einführen wollte, auch nicht ausführen könnte, der stärkste
Konkurrent zugleich der beste Kunde ist und, wer seine Konkurrenten schwächt,
damit sich ins eigne Fleisch schneidet. Der Welthandel ist heute das, was
Adam Smith in ihm sah: der Austausch der verschiedenen Erzeugnisse der Länder,
bei welchem beide austauschende Parteien gleich viel gewinnen; Smith
täuschte sich nur darin, daß er sein Ideal schon verwirklicht glaubte, während
damals die übrigen, industriell sämtlich schwachen Nationen noch von England
ausgebeutet wurden. Die heutige Wirtschastsverfassung der Völker und der
heutige Verkehr verstricken alle Staaten in ein Netz von Abhängigkeiten und
Zahlungsverbindlichkeiten, das an keiner Stelle zerrissen werden kann, ohne
daß d'.e übrigen Stellen in Mitleidenschaft gezogen werden, und wiederum muß
auch in dieser Beziehung die Störung am schmerzlichsten in London empfunden
werden, wo alle Fäden des Netzes zusammenlaufen; Grevs Schwabenstreich hat
die City als Mittelpunkt des Weltverkehrs unmöglich gemacht. Diese Natur
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[0104] Die „Seeherrschaft" Die kleine Zahl der Konkurrenten, die nach heutigem Maßstabe winzigen Warenmengen und Warenkategorien, machten es möglich, daß der Kaufmann die Waren, die er absetzen wollte, durch Raub erwerben konnte. Die wichtigsten Schiffsladungen waren vom fünfzehnten bis ins siebzehnte Jahrhundert Edel¬ metalle und Kolonialwaren. Beide hatten einen viel höheren Wert als heute (den Gewürzen verhalf der nach Reizmitteln gierige Durst der Nordländer zu einer lächerlich hohen Schätzung), sodaß es ein gutes Geschäft war, Silber¬ und Gewürzflotten zu kapern, außer den Waren raubte man einander auch deren Ursprungsstätten, die Kolonien. Eine für die Engländer sehr wichtige Ware, das schwarze Elfenbein, konnte überhaupt nicht anders als durch Raub beschafft werden; sie hatten durch den Asientenvertrag von 1713 das Monopol der Einfuhr von Negersklaven in die spanischen Kolonien erworben und haben es bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein ausgenützt. Heut spielen nicht ein¬ mal Edelmetalle, geschweige denn Gewürze und Negersklaven, eine ausschlag¬ gebende Rolle im Welthandel. Die drei Hauptkategorien der Handelswaren sind Nahrungsmittel, Rohstoffe und Jndustrieerzeugnisse. Der ungestörte Verkehr mit den Waren der ersten beiden Kategorien ist Lebensfrage für die meisten Nationen, für keine mehr als für die englische; sodaß der Versuch einer gewaltsamen Störung gerade dieses Verkehrs die Wut aller Nationen, am meisten der englischen, erregen muß, und die Engländer, wenn ihrem schwerfälligen Gehirn endlich das Licht aufgegangen sein wird. Herrn Edward Grey in Stücke reißen oder wenigstens ohrfeigen werden. Was aber die Jndustriewaren" betrifft, so wäre es (abgesehen vom Grotesken des Gedankens, heutzutage noch mit gestohlenen oder geraubten Waren Großhandel treiben zu wollen) sehr lächerlich, solche zu rauben; die Engländer haben mit dem Absatz ihres eignen Kattuns schon Not genug, sie können sich vernünftigerweise nicht noch mit dem des sächsischen befassen wollen. Und Waren werden heutzutage mit Waren bezahlt, so daß ein Staat, der nicht einführen wollte, auch nicht ausführen könnte, der stärkste Konkurrent zugleich der beste Kunde ist und, wer seine Konkurrenten schwächt, damit sich ins eigne Fleisch schneidet. Der Welthandel ist heute das, was Adam Smith in ihm sah: der Austausch der verschiedenen Erzeugnisse der Länder, bei welchem beide austauschende Parteien gleich viel gewinnen; Smith täuschte sich nur darin, daß er sein Ideal schon verwirklicht glaubte, während damals die übrigen, industriell sämtlich schwachen Nationen noch von England ausgebeutet wurden. Die heutige Wirtschastsverfassung der Völker und der heutige Verkehr verstricken alle Staaten in ein Netz von Abhängigkeiten und Zahlungsverbindlichkeiten, das an keiner Stelle zerrissen werden kann, ohne daß d'.e übrigen Stellen in Mitleidenschaft gezogen werden, und wiederum muß auch in dieser Beziehung die Störung am schmerzlichsten in London empfunden werden, wo alle Fäden des Netzes zusammenlaufen; Grevs Schwabenstreich hat die City als Mittelpunkt des Weltverkehrs unmöglich gemacht. Diese Natur des heutigen Handelsverkehrs hat man ja nun endlich — sehr spät — seit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_329227/104>, abgerufen am 02.07.2024.