Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hundertundfünfzig Jahre deutscher Aunst

Einflüsse, von den Niederlanden her verstärkt, hielten auch nach dem Kriege an.
und wenn sie es auch bewirkten, daß eine ganze Reihe von Malern mit gutem
Talent zu Eklektikern oder Nachahmern eines bestimmten Meisters wurden, unter
dessen Bann sie gelangten -- ein solcher Eklektiker mit keinem geringen Maler¬
talent ist z. B. Michael Leopold Wittmann (1629 bis 1706) --, so brachten
sie es anderseits doch zuwege, daß in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahr¬
hunderts der Geschmack ein erstaunlich hoher blieb und die Technik der Kunst
nicht verwilderte. Und das war bei dem Sinken des allgemeinen Kultur¬
zustandes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Eine "selbständige" deutsche
Kunst während der ersten Jahrzehnte nach dem großen Kriege würde nur
ein wildes, rohes Chaos bedeutet haben und könnte jetzt höchstens als Illustration
damaliger Zustände und ihrer Geistesverfassung nach ein gewisses kultur¬
historisches Interesse beanspruchen. So aber gab es damals doch auf einer
sicheren Grundlage eine gewisse Kunstpflege, die, wie das die späteren Zeiten
beweisen, bedeutenden Talenten es nicht verwehrte, eigene Wege wenigstens an¬
zubahnen und am Herausführen einer neuen Zeit anzuschaffen. Künstler jeder
Art sind ja von ihrer Zeit und deren Geistesrichtung abhängig. In die wieder¬
holt da und dort auftauchenden Versuche einer an den Brüsten der heiligen
Natur selber von neuem genährten Kunst näherzukommen, greifen verschiedene
übermächtige, die ganze Zeit, ihr Sinnen und Trachten, Denken und Fühlen
und auch leibliches Sehen in Bann schlagende Einflüsse immer wieder ablenkend
ein. und ihnen folgt naturgemäß die Hauptströmung. Aber die einzelnen
Stimmen lassen sich nicht ersticken; wie Singvögel, ehe der Frühling kommt,
einzeln da und dort ihr Lied zu singen beginnen, leise erst und fast schüchtern
und wie selbst lernend, bis dann später, wenn die Zeit erfüllt ist, der ganze
Chor jubelnd einstimmt, so auch hier; denn wem Gesang gegeben, der singt,
ob mit Hilfe der Feder oder des Pinsels.

Jedoch sind es keineswegs diese frühen Schwalben allein, die uns
berechtigen von einer deutschen Kunst jener Periode zu sprechen, wenn ihnen
auch naturgemäß unser größtes Interesse und unsere Liebe gehört. Vielmehr
kann man auf der Tarmstädter Ausstellung klar und deutlich erkennen, daß
durch das Wirken einer ganzen Anzahl von begabten Künstlern, die zum Teil
sich in Lokalschulen zusammenreihen lassen, die Barock- und später die Rokoko¬
malerei eine ebenso besondere nationaldeutsche Färbung annimmt, wie die
Architektur dieser Zeiten. Und sie hat doch auch von fremden Einflüssen aus¬
gehend und oft sogar von fremden Architekten geleitet, in den verschiedenen deutschen
Ländern so Eigenartiges, dem Zsnius loci Huldigendes und offenbar von ihm
Gesegnetes geschaffen, daß man es kühn neben die gleichzeitigen Schöpfungen
anderer Nationen stellen darf. Das dem so ist -- in der Architektur wie in
der Malerei -- muß man letzten Endes doch wieder auf die trotz aller Ab¬
hängigkeiten von außen her -- namentlich im ersten Teil des achtzehnten Jahr¬
hunderts von Frankreich -- besondere Art der Kultur in den deutschen Landen


Hundertundfünfzig Jahre deutscher Aunst

Einflüsse, von den Niederlanden her verstärkt, hielten auch nach dem Kriege an.
und wenn sie es auch bewirkten, daß eine ganze Reihe von Malern mit gutem
Talent zu Eklektikern oder Nachahmern eines bestimmten Meisters wurden, unter
dessen Bann sie gelangten — ein solcher Eklektiker mit keinem geringen Maler¬
talent ist z. B. Michael Leopold Wittmann (1629 bis 1706) —, so brachten
sie es anderseits doch zuwege, daß in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahr¬
hunderts der Geschmack ein erstaunlich hoher blieb und die Technik der Kunst
nicht verwilderte. Und das war bei dem Sinken des allgemeinen Kultur¬
zustandes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Eine „selbständige" deutsche
Kunst während der ersten Jahrzehnte nach dem großen Kriege würde nur
ein wildes, rohes Chaos bedeutet haben und könnte jetzt höchstens als Illustration
damaliger Zustände und ihrer Geistesverfassung nach ein gewisses kultur¬
historisches Interesse beanspruchen. So aber gab es damals doch auf einer
sicheren Grundlage eine gewisse Kunstpflege, die, wie das die späteren Zeiten
beweisen, bedeutenden Talenten es nicht verwehrte, eigene Wege wenigstens an¬
zubahnen und am Herausführen einer neuen Zeit anzuschaffen. Künstler jeder
Art sind ja von ihrer Zeit und deren Geistesrichtung abhängig. In die wieder¬
holt da und dort auftauchenden Versuche einer an den Brüsten der heiligen
Natur selber von neuem genährten Kunst näherzukommen, greifen verschiedene
übermächtige, die ganze Zeit, ihr Sinnen und Trachten, Denken und Fühlen
und auch leibliches Sehen in Bann schlagende Einflüsse immer wieder ablenkend
ein. und ihnen folgt naturgemäß die Hauptströmung. Aber die einzelnen
Stimmen lassen sich nicht ersticken; wie Singvögel, ehe der Frühling kommt,
einzeln da und dort ihr Lied zu singen beginnen, leise erst und fast schüchtern
und wie selbst lernend, bis dann später, wenn die Zeit erfüllt ist, der ganze
Chor jubelnd einstimmt, so auch hier; denn wem Gesang gegeben, der singt,
ob mit Hilfe der Feder oder des Pinsels.

Jedoch sind es keineswegs diese frühen Schwalben allein, die uns
berechtigen von einer deutschen Kunst jener Periode zu sprechen, wenn ihnen
auch naturgemäß unser größtes Interesse und unsere Liebe gehört. Vielmehr
kann man auf der Tarmstädter Ausstellung klar und deutlich erkennen, daß
durch das Wirken einer ganzen Anzahl von begabten Künstlern, die zum Teil
sich in Lokalschulen zusammenreihen lassen, die Barock- und später die Rokoko¬
malerei eine ebenso besondere nationaldeutsche Färbung annimmt, wie die
Architektur dieser Zeiten. Und sie hat doch auch von fremden Einflüssen aus¬
gehend und oft sogar von fremden Architekten geleitet, in den verschiedenen deutschen
Ländern so Eigenartiges, dem Zsnius loci Huldigendes und offenbar von ihm
Gesegnetes geschaffen, daß man es kühn neben die gleichzeitigen Schöpfungen
anderer Nationen stellen darf. Das dem so ist — in der Architektur wie in
der Malerei — muß man letzten Endes doch wieder auf die trotz aller Ab¬
hängigkeiten von außen her — namentlich im ersten Teil des achtzehnten Jahr¬
hunderts von Frankreich — besondere Art der Kultur in den deutschen Landen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328831"/>
          <fw type="header" place="top"> Hundertundfünfzig Jahre deutscher Aunst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_282" prev="#ID_281"> Einflüsse, von den Niederlanden her verstärkt, hielten auch nach dem Kriege an.<lb/>
und wenn sie es auch bewirkten, daß eine ganze Reihe von Malern mit gutem<lb/>
Talent zu Eklektikern oder Nachahmern eines bestimmten Meisters wurden, unter<lb/>
dessen Bann sie gelangten &#x2014; ein solcher Eklektiker mit keinem geringen Maler¬<lb/>
talent ist z. B. Michael Leopold Wittmann (1629 bis 1706) &#x2014;, so brachten<lb/>
sie es anderseits doch zuwege, daß in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts der Geschmack ein erstaunlich hoher blieb und die Technik der Kunst<lb/>
nicht verwilderte. Und das war bei dem Sinken des allgemeinen Kultur¬<lb/>
zustandes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Eine &#x201E;selbständige" deutsche<lb/>
Kunst während der ersten Jahrzehnte nach dem großen Kriege würde nur<lb/>
ein wildes, rohes Chaos bedeutet haben und könnte jetzt höchstens als Illustration<lb/>
damaliger Zustände und ihrer Geistesverfassung nach ein gewisses kultur¬<lb/>
historisches Interesse beanspruchen. So aber gab es damals doch auf einer<lb/>
sicheren Grundlage eine gewisse Kunstpflege, die, wie das die späteren Zeiten<lb/>
beweisen, bedeutenden Talenten es nicht verwehrte, eigene Wege wenigstens an¬<lb/>
zubahnen und am Herausführen einer neuen Zeit anzuschaffen. Künstler jeder<lb/>
Art sind ja von ihrer Zeit und deren Geistesrichtung abhängig. In die wieder¬<lb/>
holt da und dort auftauchenden Versuche einer an den Brüsten der heiligen<lb/>
Natur selber von neuem genährten Kunst näherzukommen, greifen verschiedene<lb/>
übermächtige, die ganze Zeit, ihr Sinnen und Trachten, Denken und Fühlen<lb/>
und auch leibliches Sehen in Bann schlagende Einflüsse immer wieder ablenkend<lb/>
ein. und ihnen folgt naturgemäß die Hauptströmung. Aber die einzelnen<lb/>
Stimmen lassen sich nicht ersticken; wie Singvögel, ehe der Frühling kommt,<lb/>
einzeln da und dort ihr Lied zu singen beginnen, leise erst und fast schüchtern<lb/>
und wie selbst lernend, bis dann später, wenn die Zeit erfüllt ist, der ganze<lb/>
Chor jubelnd einstimmt, so auch hier; denn wem Gesang gegeben, der singt,<lb/>
ob mit Hilfe der Feder oder des Pinsels.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_283" next="#ID_284"> Jedoch sind es keineswegs diese frühen Schwalben allein, die uns<lb/>
berechtigen von einer deutschen Kunst jener Periode zu sprechen, wenn ihnen<lb/>
auch naturgemäß unser größtes Interesse und unsere Liebe gehört. Vielmehr<lb/>
kann man auf der Tarmstädter Ausstellung klar und deutlich erkennen, daß<lb/>
durch das Wirken einer ganzen Anzahl von begabten Künstlern, die zum Teil<lb/>
sich in Lokalschulen zusammenreihen lassen, die Barock- und später die Rokoko¬<lb/>
malerei eine ebenso besondere nationaldeutsche Färbung annimmt, wie die<lb/>
Architektur dieser Zeiten. Und sie hat doch auch von fremden Einflüssen aus¬<lb/>
gehend und oft sogar von fremden Architekten geleitet, in den verschiedenen deutschen<lb/>
Ländern so Eigenartiges, dem Zsnius loci Huldigendes und offenbar von ihm<lb/>
Gesegnetes geschaffen, daß man es kühn neben die gleichzeitigen Schöpfungen<lb/>
anderer Nationen stellen darf. Das dem so ist &#x2014; in der Architektur wie in<lb/>
der Malerei &#x2014; muß man letzten Endes doch wieder auf die trotz aller Ab¬<lb/>
hängigkeiten von außen her &#x2014; namentlich im ersten Teil des achtzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts von Frankreich &#x2014; besondere Art der Kultur in den deutschen Landen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0097] Hundertundfünfzig Jahre deutscher Aunst Einflüsse, von den Niederlanden her verstärkt, hielten auch nach dem Kriege an. und wenn sie es auch bewirkten, daß eine ganze Reihe von Malern mit gutem Talent zu Eklektikern oder Nachahmern eines bestimmten Meisters wurden, unter dessen Bann sie gelangten — ein solcher Eklektiker mit keinem geringen Maler¬ talent ist z. B. Michael Leopold Wittmann (1629 bis 1706) —, so brachten sie es anderseits doch zuwege, daß in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahr¬ hunderts der Geschmack ein erstaunlich hoher blieb und die Technik der Kunst nicht verwilderte. Und das war bei dem Sinken des allgemeinen Kultur¬ zustandes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Eine „selbständige" deutsche Kunst während der ersten Jahrzehnte nach dem großen Kriege würde nur ein wildes, rohes Chaos bedeutet haben und könnte jetzt höchstens als Illustration damaliger Zustände und ihrer Geistesverfassung nach ein gewisses kultur¬ historisches Interesse beanspruchen. So aber gab es damals doch auf einer sicheren Grundlage eine gewisse Kunstpflege, die, wie das die späteren Zeiten beweisen, bedeutenden Talenten es nicht verwehrte, eigene Wege wenigstens an¬ zubahnen und am Herausführen einer neuen Zeit anzuschaffen. Künstler jeder Art sind ja von ihrer Zeit und deren Geistesrichtung abhängig. In die wieder¬ holt da und dort auftauchenden Versuche einer an den Brüsten der heiligen Natur selber von neuem genährten Kunst näherzukommen, greifen verschiedene übermächtige, die ganze Zeit, ihr Sinnen und Trachten, Denken und Fühlen und auch leibliches Sehen in Bann schlagende Einflüsse immer wieder ablenkend ein. und ihnen folgt naturgemäß die Hauptströmung. Aber die einzelnen Stimmen lassen sich nicht ersticken; wie Singvögel, ehe der Frühling kommt, einzeln da und dort ihr Lied zu singen beginnen, leise erst und fast schüchtern und wie selbst lernend, bis dann später, wenn die Zeit erfüllt ist, der ganze Chor jubelnd einstimmt, so auch hier; denn wem Gesang gegeben, der singt, ob mit Hilfe der Feder oder des Pinsels. Jedoch sind es keineswegs diese frühen Schwalben allein, die uns berechtigen von einer deutschen Kunst jener Periode zu sprechen, wenn ihnen auch naturgemäß unser größtes Interesse und unsere Liebe gehört. Vielmehr kann man auf der Tarmstädter Ausstellung klar und deutlich erkennen, daß durch das Wirken einer ganzen Anzahl von begabten Künstlern, die zum Teil sich in Lokalschulen zusammenreihen lassen, die Barock- und später die Rokoko¬ malerei eine ebenso besondere nationaldeutsche Färbung annimmt, wie die Architektur dieser Zeiten. Und sie hat doch auch von fremden Einflüssen aus¬ gehend und oft sogar von fremden Architekten geleitet, in den verschiedenen deutschen Ländern so Eigenartiges, dem Zsnius loci Huldigendes und offenbar von ihm Gesegnetes geschaffen, daß man es kühn neben die gleichzeitigen Schöpfungen anderer Nationen stellen darf. Das dem so ist — in der Architektur wie in der Malerei — muß man letzten Endes doch wieder auf die trotz aller Ab¬ hängigkeiten von außen her — namentlich im ersten Teil des achtzehnten Jahr¬ hunderts von Frankreich — besondere Art der Kultur in den deutschen Landen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/97
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/97>, abgerufen am 22.12.2024.