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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die Engländer

Anders steht es mit einer anderen Empfindung, die bei uns viel zu
wenig in Rechnung gezogen wird und die doch im letzten Grunde das
entscheidende Motiv für die englische Kriegsaktion, zugleich aber auch den einzigen
mildernden Umstand bildet: es ist die tötliche Angst vor der deutschen Waffen¬
macht, die seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten auf den Engländer der
DurchschnittsbevMerung lastet. Wer in dieser Zeit in englischen Landen war
(nicht nur in London) konnte drastische Züge dieser naiven Deutschenfurcht
erleben. Vor zehn Jahren schon hatte ich in Manchester Gelegenheit, eine
Feuerwerkspantomime mit anzusehen, die unter dem Titel "Die Eroberung von
Manchester" vor einem großen Publikum gegeben wurde. Die Dekoration
stellte das Rathaus der Stadt und die umgebenden Gebiete dar; sie wurden
in Brand geschossen, und auf den Trümmern erschienen deutsche Artilleristen.
(Daß diese dann freilich zum Schluß wieder von englischen Volunteers verjagt
oder niederkartätscht wurden, gehörte selbstverständlich mit dazu.) Vor zwei
oder drei Jahren erst wurde ich in einem kleinem Seebad in Wales, wohin
sich sonst nicht leicht ein Fremder verirrt, halb scherzhaft über den Tisch herüber
gefragt, ob ich (mit meiner Frank) gekommen wäre um zu spionieren.

Mißtrauen und Angst sind die natürlichen Folgen von Unkenntnis und
Verständnislosigkeit. Aber es ist freilich schwer zu sagen, woher diese Gefühle
einen solchen Grad annehmen konnten, daß sie schließlich einen Krieg möglich
machten, der sicherlich einem großen Teil des englischen Publikums als ein not¬
wendiger Präventivkampf erscheint. Man nimmt die Situation wahr, wo der
übermächtige Gegner in Bedrängnis ist, um ihm den Todesstoß zu versetzen
und so allen seinen bösen Absichten zuvor zu kommen.

Es ist wie gesagt schwer zu erklären, wie diese Anschaumigen aufkommen
konnten eineni Volke gegenüber, das in der Fülle der Macht fast fünfzig Jahre
hindurch Frieden gehalten hat. Wieviel künstliche und berechnende Mache daran
die Schuld trägt, wieviel gelegentliche Ungeschicklichkeiten unserer eigenen Politik
dazu beigetragen haben, soll hier nicht abgewogen werden. Genug, die Angst
ist da, sie ist der Hauptfaktor der englischen Feindschaft, und wir haben
glücklicherweise nicht darauf zu rechnen, daß sie durch den jetzigen Krieg ge¬
mildert würde, selbst wenn, unsere Flotte den Kürzeren ziehen sollte. Aber
vielleicht liegt gerade hierin die Hoffnung eines künftigen leidlichen Verhältnisses.
Wenn England sieht, daß es uns auch unter den günstigsten Umständen nicht
überwältigen noch entkräften kann, daß es dauernd uns zu fürchten haben
wird, solange es sich ablehnend oder feindlich zu uns stellt, so wird es ver¬
mutlich eine neue Rechnung aufmachen und versuchen, zu einem mehr oder
weniger engen Einvernehmen zu gelangen. Wir werden gut tun, wenn der
Krieg beendet ist, unsere Gefühle für England kalt zu stellen und zu gegebener
Zeit nach seinem eigenen Rezept ohne Liebe und Haß das zu tun, was unserem
Vorteil entspricht.




Die Engländer

Anders steht es mit einer anderen Empfindung, die bei uns viel zu
wenig in Rechnung gezogen wird und die doch im letzten Grunde das
entscheidende Motiv für die englische Kriegsaktion, zugleich aber auch den einzigen
mildernden Umstand bildet: es ist die tötliche Angst vor der deutschen Waffen¬
macht, die seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten auf den Engländer der
DurchschnittsbevMerung lastet. Wer in dieser Zeit in englischen Landen war
(nicht nur in London) konnte drastische Züge dieser naiven Deutschenfurcht
erleben. Vor zehn Jahren schon hatte ich in Manchester Gelegenheit, eine
Feuerwerkspantomime mit anzusehen, die unter dem Titel „Die Eroberung von
Manchester" vor einem großen Publikum gegeben wurde. Die Dekoration
stellte das Rathaus der Stadt und die umgebenden Gebiete dar; sie wurden
in Brand geschossen, und auf den Trümmern erschienen deutsche Artilleristen.
(Daß diese dann freilich zum Schluß wieder von englischen Volunteers verjagt
oder niederkartätscht wurden, gehörte selbstverständlich mit dazu.) Vor zwei
oder drei Jahren erst wurde ich in einem kleinem Seebad in Wales, wohin
sich sonst nicht leicht ein Fremder verirrt, halb scherzhaft über den Tisch herüber
gefragt, ob ich (mit meiner Frank) gekommen wäre um zu spionieren.

Mißtrauen und Angst sind die natürlichen Folgen von Unkenntnis und
Verständnislosigkeit. Aber es ist freilich schwer zu sagen, woher diese Gefühle
einen solchen Grad annehmen konnten, daß sie schließlich einen Krieg möglich
machten, der sicherlich einem großen Teil des englischen Publikums als ein not¬
wendiger Präventivkampf erscheint. Man nimmt die Situation wahr, wo der
übermächtige Gegner in Bedrängnis ist, um ihm den Todesstoß zu versetzen
und so allen seinen bösen Absichten zuvor zu kommen.

Es ist wie gesagt schwer zu erklären, wie diese Anschaumigen aufkommen
konnten eineni Volke gegenüber, das in der Fülle der Macht fast fünfzig Jahre
hindurch Frieden gehalten hat. Wieviel künstliche und berechnende Mache daran
die Schuld trägt, wieviel gelegentliche Ungeschicklichkeiten unserer eigenen Politik
dazu beigetragen haben, soll hier nicht abgewogen werden. Genug, die Angst
ist da, sie ist der Hauptfaktor der englischen Feindschaft, und wir haben
glücklicherweise nicht darauf zu rechnen, daß sie durch den jetzigen Krieg ge¬
mildert würde, selbst wenn, unsere Flotte den Kürzeren ziehen sollte. Aber
vielleicht liegt gerade hierin die Hoffnung eines künftigen leidlichen Verhältnisses.
Wenn England sieht, daß es uns auch unter den günstigsten Umständen nicht
überwältigen noch entkräften kann, daß es dauernd uns zu fürchten haben
wird, solange es sich ablehnend oder feindlich zu uns stellt, so wird es ver¬
mutlich eine neue Rechnung aufmachen und versuchen, zu einem mehr oder
weniger engen Einvernehmen zu gelangen. Wir werden gut tun, wenn der
Krieg beendet ist, unsere Gefühle für England kalt zu stellen und zu gegebener
Zeit nach seinem eigenen Rezept ohne Liebe und Haß das zu tun, was unserem
Vorteil entspricht.




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[0472] Die Engländer Anders steht es mit einer anderen Empfindung, die bei uns viel zu wenig in Rechnung gezogen wird und die doch im letzten Grunde das entscheidende Motiv für die englische Kriegsaktion, zugleich aber auch den einzigen mildernden Umstand bildet: es ist die tötliche Angst vor der deutschen Waffen¬ macht, die seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten auf den Engländer der DurchschnittsbevMerung lastet. Wer in dieser Zeit in englischen Landen war (nicht nur in London) konnte drastische Züge dieser naiven Deutschenfurcht erleben. Vor zehn Jahren schon hatte ich in Manchester Gelegenheit, eine Feuerwerkspantomime mit anzusehen, die unter dem Titel „Die Eroberung von Manchester" vor einem großen Publikum gegeben wurde. Die Dekoration stellte das Rathaus der Stadt und die umgebenden Gebiete dar; sie wurden in Brand geschossen, und auf den Trümmern erschienen deutsche Artilleristen. (Daß diese dann freilich zum Schluß wieder von englischen Volunteers verjagt oder niederkartätscht wurden, gehörte selbstverständlich mit dazu.) Vor zwei oder drei Jahren erst wurde ich in einem kleinem Seebad in Wales, wohin sich sonst nicht leicht ein Fremder verirrt, halb scherzhaft über den Tisch herüber gefragt, ob ich (mit meiner Frank) gekommen wäre um zu spionieren. Mißtrauen und Angst sind die natürlichen Folgen von Unkenntnis und Verständnislosigkeit. Aber es ist freilich schwer zu sagen, woher diese Gefühle einen solchen Grad annehmen konnten, daß sie schließlich einen Krieg möglich machten, der sicherlich einem großen Teil des englischen Publikums als ein not¬ wendiger Präventivkampf erscheint. Man nimmt die Situation wahr, wo der übermächtige Gegner in Bedrängnis ist, um ihm den Todesstoß zu versetzen und so allen seinen bösen Absichten zuvor zu kommen. Es ist wie gesagt schwer zu erklären, wie diese Anschaumigen aufkommen konnten eineni Volke gegenüber, das in der Fülle der Macht fast fünfzig Jahre hindurch Frieden gehalten hat. Wieviel künstliche und berechnende Mache daran die Schuld trägt, wieviel gelegentliche Ungeschicklichkeiten unserer eigenen Politik dazu beigetragen haben, soll hier nicht abgewogen werden. Genug, die Angst ist da, sie ist der Hauptfaktor der englischen Feindschaft, und wir haben glücklicherweise nicht darauf zu rechnen, daß sie durch den jetzigen Krieg ge¬ mildert würde, selbst wenn, unsere Flotte den Kürzeren ziehen sollte. Aber vielleicht liegt gerade hierin die Hoffnung eines künftigen leidlichen Verhältnisses. Wenn England sieht, daß es uns auch unter den günstigsten Umständen nicht überwältigen noch entkräften kann, daß es dauernd uns zu fürchten haben wird, solange es sich ablehnend oder feindlich zu uns stellt, so wird es ver¬ mutlich eine neue Rechnung aufmachen und versuchen, zu einem mehr oder weniger engen Einvernehmen zu gelangen. Wir werden gut tun, wenn der Krieg beendet ist, unsere Gefühle für England kalt zu stellen und zu gegebener Zeit nach seinem eigenen Rezept ohne Liebe und Haß das zu tun, was unserem Vorteil entspricht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/472>, abgerufen am 27.07.2024.