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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Acipitalzins

"Der Zins ist ein Bestandteil des Reinertrages, welchen Unternehmungen,
die unter Mithilfe von Kapital betrieben werden, unter normalen Verhältnissen
abwerfen"*), oder ein Teil des "Mehr"-Ertrages, der mit Hilfe des Kapitals
erzielt wird gegenüber einem Ertrage aus derselben Arbeit ohne Mithilfe des
Kapitals.

- Die Frage, warum das Kapital einen Zins abwirft, beantworten die
einzelnen Theorien verschieden.

Die Abstinenztheorie geht von der Entstehungsursache des Kapitals aus
und sucht aus ihr den Grund der Zinserscheinung herzuleiten. Da Kapital
nur dadurch entstehen kann, daß nicht alle produzierten Güter verzehrt werden,
so stellt das Kapital das Resultat einer Enthaltung vom Genuß dar. Der
Zins ist demnach eine Vergütung dafür, daß der Kapitalist nicht alle seine
Bedürfnisse und Wünsche befriedigt hat.

Diese Theorie macht aber nicht ersichtlich, warum der Kapitalist für feine
Enthaltung mehr wieder bekommt als das, dessen er sich enthalten hat, warum
er zu der Menge der nicht verbrauchten Güter noch ein "Aufgeld", den Zins,
erhält.

Nicht der Zins, sondern das Kapital selbst, das Erhaltenbleiben der
Verfügbarkeit über das Kapital ist die Vergütung.

Sicherlich veranlaßt die Aussicht auf Gewinn die Menschen in erster Linie,
einen nicht dringend nötigen Genuß zu vermeiden und zu sparen. Das Vor¬
handensein der Zinserscheinung ist deshalb die Ursache des Sparens, aber nicht
die Wirkung der Enthaltung, denn es ist nicht anzunehmen, daß der Kapital"
entleiher die Enthaltung des Kapitalisten belohnt wegen des Vorganges der
Enthaltung an sich, oder etwa wegen des in der Enthaltung liegenden mora¬
lischen Wertes. Zudem ist auch noch sehr die Frage, ob Enthaltung an sich
moralisch ist. Sie wird es nur unter gewissen Voraussetzungen. Auch deshalb
zahlt der Schuldner nicht Zinsen, weil er selbst die "moralische" Kraft zum
Sparen nicht besitzt und sich hierdurch dem "moralisch" Stärkeren tributpflichtig
fühlt, sondern weil er das Resultat der Enthaltung, das Kapital nötig hat und
es nicht zur freien Verfügung für jedermann vorfindet. Die Ursachen der Ent¬
stehung des Kapitals sind dem Kapitalbenutzer ganz gleichgültig.

Bei der Frage nach den Gründen des Bestehens des Kapitalzinses kommt
es weniger darauf an, festzustellen, warum der Gläubiger eine Zinszahlung
verlangt, als darauf, warum der Schuldner sich dazu versteht, den Zins auch
wirklich zu bezahlen. Wie Julius Wolf**) sehr treffend ausführt, liegt das
Problem nicht auf feiten des Schuldners.

"Denn es lautet: warum versteht sich dieser dazu, Zins zu zahlen? Und
eine Zinserklärung, welche sagt, der Schuldner müsse Zins zahlen, weil der




*) Otto Conrad, Kapitalzins. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Jahrg.
1903, S. 326.
--) Julius Wolf, Sozialismus, S. 476.
Acipitalzins

„Der Zins ist ein Bestandteil des Reinertrages, welchen Unternehmungen,
die unter Mithilfe von Kapital betrieben werden, unter normalen Verhältnissen
abwerfen"*), oder ein Teil des „Mehr"-Ertrages, der mit Hilfe des Kapitals
erzielt wird gegenüber einem Ertrage aus derselben Arbeit ohne Mithilfe des
Kapitals.

- Die Frage, warum das Kapital einen Zins abwirft, beantworten die
einzelnen Theorien verschieden.

Die Abstinenztheorie geht von der Entstehungsursache des Kapitals aus
und sucht aus ihr den Grund der Zinserscheinung herzuleiten. Da Kapital
nur dadurch entstehen kann, daß nicht alle produzierten Güter verzehrt werden,
so stellt das Kapital das Resultat einer Enthaltung vom Genuß dar. Der
Zins ist demnach eine Vergütung dafür, daß der Kapitalist nicht alle seine
Bedürfnisse und Wünsche befriedigt hat.

Diese Theorie macht aber nicht ersichtlich, warum der Kapitalist für feine
Enthaltung mehr wieder bekommt als das, dessen er sich enthalten hat, warum
er zu der Menge der nicht verbrauchten Güter noch ein „Aufgeld", den Zins,
erhält.

Nicht der Zins, sondern das Kapital selbst, das Erhaltenbleiben der
Verfügbarkeit über das Kapital ist die Vergütung.

Sicherlich veranlaßt die Aussicht auf Gewinn die Menschen in erster Linie,
einen nicht dringend nötigen Genuß zu vermeiden und zu sparen. Das Vor¬
handensein der Zinserscheinung ist deshalb die Ursache des Sparens, aber nicht
die Wirkung der Enthaltung, denn es ist nicht anzunehmen, daß der Kapital»
entleiher die Enthaltung des Kapitalisten belohnt wegen des Vorganges der
Enthaltung an sich, oder etwa wegen des in der Enthaltung liegenden mora¬
lischen Wertes. Zudem ist auch noch sehr die Frage, ob Enthaltung an sich
moralisch ist. Sie wird es nur unter gewissen Voraussetzungen. Auch deshalb
zahlt der Schuldner nicht Zinsen, weil er selbst die „moralische" Kraft zum
Sparen nicht besitzt und sich hierdurch dem „moralisch" Stärkeren tributpflichtig
fühlt, sondern weil er das Resultat der Enthaltung, das Kapital nötig hat und
es nicht zur freien Verfügung für jedermann vorfindet. Die Ursachen der Ent¬
stehung des Kapitals sind dem Kapitalbenutzer ganz gleichgültig.

Bei der Frage nach den Gründen des Bestehens des Kapitalzinses kommt
es weniger darauf an, festzustellen, warum der Gläubiger eine Zinszahlung
verlangt, als darauf, warum der Schuldner sich dazu versteht, den Zins auch
wirklich zu bezahlen. Wie Julius Wolf**) sehr treffend ausführt, liegt das
Problem nicht auf feiten des Schuldners.

„Denn es lautet: warum versteht sich dieser dazu, Zins zu zahlen? Und
eine Zinserklärung, welche sagt, der Schuldner müsse Zins zahlen, weil der




*) Otto Conrad, Kapitalzins. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Jahrg.
1903, S. 326.
—) Julius Wolf, Sozialismus, S. 476.
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[0044] Acipitalzins „Der Zins ist ein Bestandteil des Reinertrages, welchen Unternehmungen, die unter Mithilfe von Kapital betrieben werden, unter normalen Verhältnissen abwerfen"*), oder ein Teil des „Mehr"-Ertrages, der mit Hilfe des Kapitals erzielt wird gegenüber einem Ertrage aus derselben Arbeit ohne Mithilfe des Kapitals. - Die Frage, warum das Kapital einen Zins abwirft, beantworten die einzelnen Theorien verschieden. Die Abstinenztheorie geht von der Entstehungsursache des Kapitals aus und sucht aus ihr den Grund der Zinserscheinung herzuleiten. Da Kapital nur dadurch entstehen kann, daß nicht alle produzierten Güter verzehrt werden, so stellt das Kapital das Resultat einer Enthaltung vom Genuß dar. Der Zins ist demnach eine Vergütung dafür, daß der Kapitalist nicht alle seine Bedürfnisse und Wünsche befriedigt hat. Diese Theorie macht aber nicht ersichtlich, warum der Kapitalist für feine Enthaltung mehr wieder bekommt als das, dessen er sich enthalten hat, warum er zu der Menge der nicht verbrauchten Güter noch ein „Aufgeld", den Zins, erhält. Nicht der Zins, sondern das Kapital selbst, das Erhaltenbleiben der Verfügbarkeit über das Kapital ist die Vergütung. Sicherlich veranlaßt die Aussicht auf Gewinn die Menschen in erster Linie, einen nicht dringend nötigen Genuß zu vermeiden und zu sparen. Das Vor¬ handensein der Zinserscheinung ist deshalb die Ursache des Sparens, aber nicht die Wirkung der Enthaltung, denn es ist nicht anzunehmen, daß der Kapital» entleiher die Enthaltung des Kapitalisten belohnt wegen des Vorganges der Enthaltung an sich, oder etwa wegen des in der Enthaltung liegenden mora¬ lischen Wertes. Zudem ist auch noch sehr die Frage, ob Enthaltung an sich moralisch ist. Sie wird es nur unter gewissen Voraussetzungen. Auch deshalb zahlt der Schuldner nicht Zinsen, weil er selbst die „moralische" Kraft zum Sparen nicht besitzt und sich hierdurch dem „moralisch" Stärkeren tributpflichtig fühlt, sondern weil er das Resultat der Enthaltung, das Kapital nötig hat und es nicht zur freien Verfügung für jedermann vorfindet. Die Ursachen der Ent¬ stehung des Kapitals sind dem Kapitalbenutzer ganz gleichgültig. Bei der Frage nach den Gründen des Bestehens des Kapitalzinses kommt es weniger darauf an, festzustellen, warum der Gläubiger eine Zinszahlung verlangt, als darauf, warum der Schuldner sich dazu versteht, den Zins auch wirklich zu bezahlen. Wie Julius Wolf**) sehr treffend ausführt, liegt das Problem nicht auf feiten des Schuldners. „Denn es lautet: warum versteht sich dieser dazu, Zins zu zahlen? Und eine Zinserklärung, welche sagt, der Schuldner müsse Zins zahlen, weil der *) Otto Conrad, Kapitalzins. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Jahrg. 1903, S. 326. —) Julius Wolf, Sozialismus, S. 476.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/44>, abgerufen am 27.07.2024.