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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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England und die elsaß-lothringische Frage

Sie rühren her von William Harbutt Dawson, dem in Deutschland
wohlbekannten Verfasser des zweibändigen Buches "(Zorman^ ana tre Oel-MÄN8",
und von Samuel James Capper. dessen Aufsatz ..^lsaLL ana I^orraine" sich
findet in der Julinummer der Lontemporar^ Keniexv, 1894, Seite 13 bis 34.
Zur Empfehlung Dawsons möge noch gesagt sein, daß er mehrere Jahre auf
deutschen Universitäten studiert hat und Bismarcks Gast in Friedrichsruhe
gewesen ist. Cavper war Begleiter des deutschen Heeres im Kriege von 1370/71
und gehörte nach demselben der Gesellschaft zur Entschädigung der Opfer des
Krieges in dem eroberten Grenzland als Mitglied an. Mit seinem Aufsatz
verfolgt er den ausgesprochenen Zweck, die Nichtigkeit der französischen Ansprüche
auf Elsaß-Lothringen vor aller Welt zu erweisen und damit der Sache des
allgemeinen Friedens zu dienen. "Beide Provinzen sind wenigstens ebenso feste
und untrennbare Bestandteile von Deutschland (at Iea8t as abflute ana
integral psrts o5 Qermany) wie Savonen und Nizza und Algier von Frank¬
reich. Toskana von Italien" (S. 21. Mitte). Ähnlich Dawson (Band II
S. 172): "Deutschlands Lage ist genügend und klar gekennzeichnet durch den
Präliminarfrieden von Versailles, in dem es heißt: Das Deutsche Reich soll die
von Frankreich abgetretenen Gebiete behalten mit den? vollen Rechte der
Souveränität und des Besitzes M alle Zeit (in perpetuity)."

Da somit Deutschland der rechtlich unbestreitbare Herr und Besitzer beider
Provinzen ist, so drängt sich jedem Unparteiischen die Frage auf: Wie kommen
die Franzosen und ihre Freunde dazu, von Deutschland zu verlangen, daß es
auf seine Rechte freiwillig verzichte? War etwa die Annexion eine Ungerechtigkeit?
Hatte im Juli 1870 Preußen im günstig gewählten Augenblick das unvorbereitete,
verratene Frankreich überfallen und als ruchloser Entführer der Mutter ihre
teuersten Kinder gewaltsam geraubt? Nein, wie unter Ludwig dein Vierzehnten
und Napoleon dem Ersten war das ftanzösische Volk der Angreifer (Dawson II.
S. 171: I^l-snLe nebelt 8vuM tre war; II, 173: ^ne Irenen xvsre ins
SWres80r8). Napoleon der Dritte aber hoffte, durch Vergrößerung Frankreichs
seine Dynastie zu sichern (Capper S. 18, Mitte). Der zurückgewiesene Angreifer
hatte nach uraltem Gesetz und Brauch des Völkerrechts dem Sieger einen Teil
seines Gebietes abzutreten. Im Altertum verlor der Unterlegene nicht selten
den dritten Teil seines Besitzes. Frankreich nur 263 Quadratmeilen, ein Gebiet
nur um ein Drittel größer als die Insel Jamaica und um ein Zehntel kleiner
als die englische Grafschaft Uorkshire (Capper S. 15 oben). Daß das französische
Volk den Verlust der schönen Länder am Rhein und an der Mosel sehr schmerzlich
empfand, ist selbstverständlich. Jedoch das beliebte Bild der trostlosen Mutter,
die die Arme verlangend nach den entführten Töchtern ausstreckt, HM vor der
scharfen kritischen Beleuchtung des kaltherzigen Engländers nicht stand. Für die
Bewohner von Elsaß-Lothringen war Frankreich von jeher nur eine Stiefmutter,
und zwar bisweilen eine recht böse. Vor allem wurde die deutsch gebliebene
Landbevölkerung mit ausgesuchter Geringschätzung behandelt. "Darum hat diese


England und die elsaß-lothringische Frage

Sie rühren her von William Harbutt Dawson, dem in Deutschland
wohlbekannten Verfasser des zweibändigen Buches „(Zorman^ ana tre Oel-MÄN8»,
und von Samuel James Capper. dessen Aufsatz ..^lsaLL ana I^orraine" sich
findet in der Julinummer der Lontemporar^ Keniexv, 1894, Seite 13 bis 34.
Zur Empfehlung Dawsons möge noch gesagt sein, daß er mehrere Jahre auf
deutschen Universitäten studiert hat und Bismarcks Gast in Friedrichsruhe
gewesen ist. Cavper war Begleiter des deutschen Heeres im Kriege von 1370/71
und gehörte nach demselben der Gesellschaft zur Entschädigung der Opfer des
Krieges in dem eroberten Grenzland als Mitglied an. Mit seinem Aufsatz
verfolgt er den ausgesprochenen Zweck, die Nichtigkeit der französischen Ansprüche
auf Elsaß-Lothringen vor aller Welt zu erweisen und damit der Sache des
allgemeinen Friedens zu dienen. „Beide Provinzen sind wenigstens ebenso feste
und untrennbare Bestandteile von Deutschland (at Iea8t as abflute ana
integral psrts o5 Qermany) wie Savonen und Nizza und Algier von Frank¬
reich. Toskana von Italien" (S. 21. Mitte). Ähnlich Dawson (Band II
S. 172): „Deutschlands Lage ist genügend und klar gekennzeichnet durch den
Präliminarfrieden von Versailles, in dem es heißt: Das Deutsche Reich soll die
von Frankreich abgetretenen Gebiete behalten mit den? vollen Rechte der
Souveränität und des Besitzes M alle Zeit (in perpetuity)."

Da somit Deutschland der rechtlich unbestreitbare Herr und Besitzer beider
Provinzen ist, so drängt sich jedem Unparteiischen die Frage auf: Wie kommen
die Franzosen und ihre Freunde dazu, von Deutschland zu verlangen, daß es
auf seine Rechte freiwillig verzichte? War etwa die Annexion eine Ungerechtigkeit?
Hatte im Juli 1870 Preußen im günstig gewählten Augenblick das unvorbereitete,
verratene Frankreich überfallen und als ruchloser Entführer der Mutter ihre
teuersten Kinder gewaltsam geraubt? Nein, wie unter Ludwig dein Vierzehnten
und Napoleon dem Ersten war das ftanzösische Volk der Angreifer (Dawson II.
S. 171: I^l-snLe nebelt 8vuM tre war; II, 173: ^ne Irenen xvsre ins
SWres80r8). Napoleon der Dritte aber hoffte, durch Vergrößerung Frankreichs
seine Dynastie zu sichern (Capper S. 18, Mitte). Der zurückgewiesene Angreifer
hatte nach uraltem Gesetz und Brauch des Völkerrechts dem Sieger einen Teil
seines Gebietes abzutreten. Im Altertum verlor der Unterlegene nicht selten
den dritten Teil seines Besitzes. Frankreich nur 263 Quadratmeilen, ein Gebiet
nur um ein Drittel größer als die Insel Jamaica und um ein Zehntel kleiner
als die englische Grafschaft Uorkshire (Capper S. 15 oben). Daß das französische
Volk den Verlust der schönen Länder am Rhein und an der Mosel sehr schmerzlich
empfand, ist selbstverständlich. Jedoch das beliebte Bild der trostlosen Mutter,
die die Arme verlangend nach den entführten Töchtern ausstreckt, HM vor der
scharfen kritischen Beleuchtung des kaltherzigen Engländers nicht stand. Für die
Bewohner von Elsaß-Lothringen war Frankreich von jeher nur eine Stiefmutter,
und zwar bisweilen eine recht böse. Vor allem wurde die deutsch gebliebene
Landbevölkerung mit ausgesuchter Geringschätzung behandelt. „Darum hat diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/433>, abgerufen am 28.07.2024.