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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Rumänien und der Krieg

um sich seine diplomatische Suprematie zu erhalten, bewaffnet auftreten muß,
jetzt sehr nahe.

Aber das ist eine Frage, die für uns in diesem Augenblick nicht so
brennend ist, wie Rumäniens Stellung uns selbst gegenüber. Es wird davon
ZU reden sein, wenn die Offensive gegen Serbien beginnt. Eines nur mag
noch gesagt sein: die Nachrichten von einem Sonderbunde zwischen Rumänien,
der Türkei und Bulgarien sind sicher falsch. Ich weiß hierüber nichts bestimmtes.
Ich war schon aus Rumänien abgereist, als die Gerüchte auftraten. Aber sie
nassen falsch sein; denn sie widersprechen der Rolle eines 8nanu8 Arbiter,
die Rumänien auf dem Balkan übernommen hat und die es entschlossen ist.
wenn nötig mit den Waffen in der Hand durchzuführen, weil es in dem von
'hin selbst diktierten gesunden Gleichgewicht der Balkanmächte eine rumänische
Lebensfrage erblickt '). Unabhängige Kontrolle und zu diesem Zweck freie Hand:
das ist die Grundlage der rumänischen Balkanpolitik.

In der diplomatischen Geschichte der entscheidungsschweren letzten Juli¬
woche dieses Jahres werden die Verhandlungen der Mächte mit Sinaja einst
eine große Rolle spielen. Das Ansehen des königlichen Diplomaten dort im
Karpathenschlosse ist bei allen Regierungen außerordentlich und ist von fast allen
Großmächten zu Hilfe gerufen worden, nur daß man seinen Ratschlägen zum
Frieden dann doch nicht gefolgt ist. Kein Monarch ist'heute so friedlich gesinnt,
wie der König von Rumänien. Als glänzend orientierter Finanzmann berechnet
er die materiellen Verluste, die direkten und die indirekten, und als Monarch,
dessen stolzes Lebenswerk es gewesen, ein bankrottes, rückständiges, armes Land
wirtschaftlich zu Ordnung, Wohlstand und Kredit zu bringen, ist ihm die Ver¬
geudung sorgsam aufgebauter wirtschaftlicher Kräfte durch Kriege ein Greuel.
Deshalb kann uns ein Symptom im rumänischen Volksleben dieser Tage vor¬
läufig unbesorgt lassen: die unfaßlichen unsinnigen Straßen- und Pressekundge¬
bungen für Frankreich und gegen uns. die durch die russischen Erfolge in
Galizien und der Bukowina lebhaft angefacht worden sind. Die rumänische
Regierung will Frieden halten, will abwarten bis zum äußersten. Sie wird
alles aufbieten, um zu widerstehen, solange kein tieferes Motiv als Beifalls¬
getöse einer unüberlegten und irregeleiteten Volksmenge sie ans der Ruhe treibt.
Glücklicherweise ist die außerordentliche Hochachtung vor der politischen Weisheit
des Königs nicht auf die ausländischen Kabinette beschränkt. Auch in Rumänien
selbst hat man zu ihm unbegrenztes Vertrauen. Die gegenwärtige Negierung
Bratianus ist vielleicht nicht so stark wie die Majorescos. die im vorigen Jahre
das Land so glücklich durch die Balkanwirren hindurchgeführt hatte. Aber der
auswärtige Minister dieser Regierung ist im Grunde derselbe geblieben: der



*) Die Pressenachricht, daß Rumänien den Bulgaren Abtretung der Dobrutscha ver¬
heißen habe, ist zu absurd, um der Widerlegung zu bedürfen. Es wird sich wohl um ein
Mißverständnis handeln.
Rumänien und der Krieg

um sich seine diplomatische Suprematie zu erhalten, bewaffnet auftreten muß,
jetzt sehr nahe.

Aber das ist eine Frage, die für uns in diesem Augenblick nicht so
brennend ist, wie Rumäniens Stellung uns selbst gegenüber. Es wird davon
ZU reden sein, wenn die Offensive gegen Serbien beginnt. Eines nur mag
noch gesagt sein: die Nachrichten von einem Sonderbunde zwischen Rumänien,
der Türkei und Bulgarien sind sicher falsch. Ich weiß hierüber nichts bestimmtes.
Ich war schon aus Rumänien abgereist, als die Gerüchte auftraten. Aber sie
nassen falsch sein; denn sie widersprechen der Rolle eines 8nanu8 Arbiter,
die Rumänien auf dem Balkan übernommen hat und die es entschlossen ist.
wenn nötig mit den Waffen in der Hand durchzuführen, weil es in dem von
'hin selbst diktierten gesunden Gleichgewicht der Balkanmächte eine rumänische
Lebensfrage erblickt '). Unabhängige Kontrolle und zu diesem Zweck freie Hand:
das ist die Grundlage der rumänischen Balkanpolitik.

In der diplomatischen Geschichte der entscheidungsschweren letzten Juli¬
woche dieses Jahres werden die Verhandlungen der Mächte mit Sinaja einst
eine große Rolle spielen. Das Ansehen des königlichen Diplomaten dort im
Karpathenschlosse ist bei allen Regierungen außerordentlich und ist von fast allen
Großmächten zu Hilfe gerufen worden, nur daß man seinen Ratschlägen zum
Frieden dann doch nicht gefolgt ist. Kein Monarch ist'heute so friedlich gesinnt,
wie der König von Rumänien. Als glänzend orientierter Finanzmann berechnet
er die materiellen Verluste, die direkten und die indirekten, und als Monarch,
dessen stolzes Lebenswerk es gewesen, ein bankrottes, rückständiges, armes Land
wirtschaftlich zu Ordnung, Wohlstand und Kredit zu bringen, ist ihm die Ver¬
geudung sorgsam aufgebauter wirtschaftlicher Kräfte durch Kriege ein Greuel.
Deshalb kann uns ein Symptom im rumänischen Volksleben dieser Tage vor¬
läufig unbesorgt lassen: die unfaßlichen unsinnigen Straßen- und Pressekundge¬
bungen für Frankreich und gegen uns. die durch die russischen Erfolge in
Galizien und der Bukowina lebhaft angefacht worden sind. Die rumänische
Regierung will Frieden halten, will abwarten bis zum äußersten. Sie wird
alles aufbieten, um zu widerstehen, solange kein tieferes Motiv als Beifalls¬
getöse einer unüberlegten und irregeleiteten Volksmenge sie ans der Ruhe treibt.
Glücklicherweise ist die außerordentliche Hochachtung vor der politischen Weisheit
des Königs nicht auf die ausländischen Kabinette beschränkt. Auch in Rumänien
selbst hat man zu ihm unbegrenztes Vertrauen. Die gegenwärtige Negierung
Bratianus ist vielleicht nicht so stark wie die Majorescos. die im vorigen Jahre
das Land so glücklich durch die Balkanwirren hindurchgeführt hatte. Aber der
auswärtige Minister dieser Regierung ist im Grunde derselbe geblieben: der



*) Die Pressenachricht, daß Rumänien den Bulgaren Abtretung der Dobrutscha ver¬
heißen habe, ist zu absurd, um der Widerlegung zu bedürfen. Es wird sich wohl um ein
Mißverständnis handeln.
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[0431] Rumänien und der Krieg um sich seine diplomatische Suprematie zu erhalten, bewaffnet auftreten muß, jetzt sehr nahe. Aber das ist eine Frage, die für uns in diesem Augenblick nicht so brennend ist, wie Rumäniens Stellung uns selbst gegenüber. Es wird davon ZU reden sein, wenn die Offensive gegen Serbien beginnt. Eines nur mag noch gesagt sein: die Nachrichten von einem Sonderbunde zwischen Rumänien, der Türkei und Bulgarien sind sicher falsch. Ich weiß hierüber nichts bestimmtes. Ich war schon aus Rumänien abgereist, als die Gerüchte auftraten. Aber sie nassen falsch sein; denn sie widersprechen der Rolle eines 8nanu8 Arbiter, die Rumänien auf dem Balkan übernommen hat und die es entschlossen ist. wenn nötig mit den Waffen in der Hand durchzuführen, weil es in dem von 'hin selbst diktierten gesunden Gleichgewicht der Balkanmächte eine rumänische Lebensfrage erblickt '). Unabhängige Kontrolle und zu diesem Zweck freie Hand: das ist die Grundlage der rumänischen Balkanpolitik. In der diplomatischen Geschichte der entscheidungsschweren letzten Juli¬ woche dieses Jahres werden die Verhandlungen der Mächte mit Sinaja einst eine große Rolle spielen. Das Ansehen des königlichen Diplomaten dort im Karpathenschlosse ist bei allen Regierungen außerordentlich und ist von fast allen Großmächten zu Hilfe gerufen worden, nur daß man seinen Ratschlägen zum Frieden dann doch nicht gefolgt ist. Kein Monarch ist'heute so friedlich gesinnt, wie der König von Rumänien. Als glänzend orientierter Finanzmann berechnet er die materiellen Verluste, die direkten und die indirekten, und als Monarch, dessen stolzes Lebenswerk es gewesen, ein bankrottes, rückständiges, armes Land wirtschaftlich zu Ordnung, Wohlstand und Kredit zu bringen, ist ihm die Ver¬ geudung sorgsam aufgebauter wirtschaftlicher Kräfte durch Kriege ein Greuel. Deshalb kann uns ein Symptom im rumänischen Volksleben dieser Tage vor¬ läufig unbesorgt lassen: die unfaßlichen unsinnigen Straßen- und Pressekundge¬ bungen für Frankreich und gegen uns. die durch die russischen Erfolge in Galizien und der Bukowina lebhaft angefacht worden sind. Die rumänische Regierung will Frieden halten, will abwarten bis zum äußersten. Sie wird alles aufbieten, um zu widerstehen, solange kein tieferes Motiv als Beifalls¬ getöse einer unüberlegten und irregeleiteten Volksmenge sie ans der Ruhe treibt. Glücklicherweise ist die außerordentliche Hochachtung vor der politischen Weisheit des Königs nicht auf die ausländischen Kabinette beschränkt. Auch in Rumänien selbst hat man zu ihm unbegrenztes Vertrauen. Die gegenwärtige Negierung Bratianus ist vielleicht nicht so stark wie die Majorescos. die im vorigen Jahre das Land so glücklich durch die Balkanwirren hindurchgeführt hatte. Aber der auswärtige Minister dieser Regierung ist im Grunde derselbe geblieben: der *) Die Pressenachricht, daß Rumänien den Bulgaren Abtretung der Dobrutscha ver¬ heißen habe, ist zu absurd, um der Widerlegung zu bedürfen. Es wird sich wohl um ein Mißverständnis handeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/431>, abgerufen am 28.07.2024.