Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Russisch-Polen als Kriegsschauplatz

Rußlands, der weite Raum und das Klima und damit zusammenhängend die
Schwierigkeit der RückVerbindungen für den Gegner mehr ausgenutzt werden,
die seiner Zeit Napoleon dem Ersten so verhängnisvoll geworden waren, da
die Russen damals dem Angriff grundsätzlich auswichen, bis hinter den Dujepr
zurückgingen und sich erst bei Smolensk dem schon stark geschwächten Gegner
gestellt hatten. Diese Annahmen gipfelten in der Aufstellung anderer, weiter
rückwärts gelegener Verteidigungslinien, zunächst an der wirklichen Grenze des
Nussentums. die die Flüsse Njemen und oberer Bug vorzeichnen mit den
Festungen Kowno. Bjelostok und Brest und sich über Kowel nach den Forts bei
Rowno in Wolhvnien fortsetzen läßt. Eine wirksame, noch 400 Kilometer weiter
landeinwärts gelegene Verteidigungsstellung kennzeichnen die Oberläufe der Dwina
und des Dujepr und stützt sich auf' die Städte Polozk. Witebsk, Orscha, Mohilew,
Gomel und Kiew. Das Waldland der Polesie mit seinen Sümpfen macht das
Anmarschgelände für den Gegner schwierig und muß im Norden und Süden
umgangen werden.

Daß die Annahme solcher Ansichten zuschanden geworden ist, haben die
Ereignisse der letzten Wochen vollauf gezeigt, ja sie haben bewiesen, daß die
militärische Bedeutung des polnischen Kriegsschauplatzes in der Literatur arg
unterschätzt worden ist. Vermutlich hat Rußland in den letzten Monaten im
Hinblick auf einen nahen Krieg gegen den Dreibund die militärische Rüstung
Polens heimlich und stark gefestigt und die Offensive längst geplant. Nach den
Lehren des mandschurischen Krieges hat die russische Regierung eingesehen, daß
bloße Defensive bereits Niederlage bedeutet. Daher sind russische Truppen,
scheinbar lange vorher wohl vorbereitet, in die blühenden Gefilde Ostpreußens
eingefallen. Die stärkere geistige Überlegenheit unserer deutschen Armee hat die
feindlichen Massen bei Gumbinnen--Angerburg und bei Soltau--Ortelsburg
glänzend aus dem Lande getrieben, ja die russischen Korps so gut wie aufge-
rieben. Eine ähnliche Offensive verfolgte Rußland gegen Galizien und stieß
hier mit der österreichischen Angriffsbewegung zusammen, die über die Lysa
Gora und den Weichsel - Bugzmischenraum vorging. Mehrtägige erbitterte
Schlachten bei Krasnil und Komarow--Samostje haben die Russen auch hier
zurückgeschlagen, aufgerieben oder gegen Ljublin zurückgedrängt. In Ostgalizien
dagegen schienen die Russen einen großen Vorsprung in den Vorbereitungen
Zu einem Kriege gegen Österreich gehabt zu haben. Aus taktischen Gründen
mußte ihrer übermächtigen Offensive sogar Lemberg eingeräumt werden (5. Sep¬
tember). Wir zweifeln nicht, daß es gelingen wird, sie dort einzukreisen und
über die Grenze zurückzuwerfen. Hoffentlich glückt es dann, sie bis in die
Pnpetsümpfe zu treiben, wenn sie nicht vorher aufgerieben werden.

Wie sich nach der erfolgten Abwehr der russischen Offensive die geschilderten
polnischen Verteidigungslinien bewähren werden, muß die Zukunft lehren. Wir
haben das feste Vertrauen, daß es auch hier wie im Westen gelingen wird,
das Deutsche Reich zu schützen, eingedenk der kraftvollen Sätze, mit denen schon


Russisch-Polen als Kriegsschauplatz

Rußlands, der weite Raum und das Klima und damit zusammenhängend die
Schwierigkeit der RückVerbindungen für den Gegner mehr ausgenutzt werden,
die seiner Zeit Napoleon dem Ersten so verhängnisvoll geworden waren, da
die Russen damals dem Angriff grundsätzlich auswichen, bis hinter den Dujepr
zurückgingen und sich erst bei Smolensk dem schon stark geschwächten Gegner
gestellt hatten. Diese Annahmen gipfelten in der Aufstellung anderer, weiter
rückwärts gelegener Verteidigungslinien, zunächst an der wirklichen Grenze des
Nussentums. die die Flüsse Njemen und oberer Bug vorzeichnen mit den
Festungen Kowno. Bjelostok und Brest und sich über Kowel nach den Forts bei
Rowno in Wolhvnien fortsetzen läßt. Eine wirksame, noch 400 Kilometer weiter
landeinwärts gelegene Verteidigungsstellung kennzeichnen die Oberläufe der Dwina
und des Dujepr und stützt sich auf' die Städte Polozk. Witebsk, Orscha, Mohilew,
Gomel und Kiew. Das Waldland der Polesie mit seinen Sümpfen macht das
Anmarschgelände für den Gegner schwierig und muß im Norden und Süden
umgangen werden.

Daß die Annahme solcher Ansichten zuschanden geworden ist, haben die
Ereignisse der letzten Wochen vollauf gezeigt, ja sie haben bewiesen, daß die
militärische Bedeutung des polnischen Kriegsschauplatzes in der Literatur arg
unterschätzt worden ist. Vermutlich hat Rußland in den letzten Monaten im
Hinblick auf einen nahen Krieg gegen den Dreibund die militärische Rüstung
Polens heimlich und stark gefestigt und die Offensive längst geplant. Nach den
Lehren des mandschurischen Krieges hat die russische Regierung eingesehen, daß
bloße Defensive bereits Niederlage bedeutet. Daher sind russische Truppen,
scheinbar lange vorher wohl vorbereitet, in die blühenden Gefilde Ostpreußens
eingefallen. Die stärkere geistige Überlegenheit unserer deutschen Armee hat die
feindlichen Massen bei Gumbinnen—Angerburg und bei Soltau—Ortelsburg
glänzend aus dem Lande getrieben, ja die russischen Korps so gut wie aufge-
rieben. Eine ähnliche Offensive verfolgte Rußland gegen Galizien und stieß
hier mit der österreichischen Angriffsbewegung zusammen, die über die Lysa
Gora und den Weichsel - Bugzmischenraum vorging. Mehrtägige erbitterte
Schlachten bei Krasnil und Komarow—Samostje haben die Russen auch hier
zurückgeschlagen, aufgerieben oder gegen Ljublin zurückgedrängt. In Ostgalizien
dagegen schienen die Russen einen großen Vorsprung in den Vorbereitungen
Zu einem Kriege gegen Österreich gehabt zu haben. Aus taktischen Gründen
mußte ihrer übermächtigen Offensive sogar Lemberg eingeräumt werden (5. Sep¬
tember). Wir zweifeln nicht, daß es gelingen wird, sie dort einzukreisen und
über die Grenze zurückzuwerfen. Hoffentlich glückt es dann, sie bis in die
Pnpetsümpfe zu treiben, wenn sie nicht vorher aufgerieben werden.

Wie sich nach der erfolgten Abwehr der russischen Offensive die geschilderten
polnischen Verteidigungslinien bewähren werden, muß die Zukunft lehren. Wir
haben das feste Vertrauen, daß es auch hier wie im Westen gelingen wird,
das Deutsche Reich zu schützen, eingedenk der kraftvollen Sätze, mit denen schon


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329143"/>
          <fw type="header" place="top"> Russisch-Polen als Kriegsschauplatz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1378" prev="#ID_1377"> Rußlands, der weite Raum und das Klima und damit zusammenhängend die<lb/>
Schwierigkeit der RückVerbindungen für den Gegner mehr ausgenutzt werden,<lb/>
die seiner Zeit Napoleon dem Ersten so verhängnisvoll geworden waren, da<lb/>
die Russen damals dem Angriff grundsätzlich auswichen, bis hinter den Dujepr<lb/>
zurückgingen und sich erst bei Smolensk dem schon stark geschwächten Gegner<lb/>
gestellt hatten. Diese Annahmen gipfelten in der Aufstellung anderer, weiter<lb/>
rückwärts gelegener Verteidigungslinien, zunächst an der wirklichen Grenze des<lb/>
Nussentums. die die Flüsse Njemen und oberer Bug vorzeichnen mit den<lb/>
Festungen Kowno. Bjelostok und Brest und sich über Kowel nach den Forts bei<lb/>
Rowno in Wolhvnien fortsetzen läßt. Eine wirksame, noch 400 Kilometer weiter<lb/>
landeinwärts gelegene Verteidigungsstellung kennzeichnen die Oberläufe der Dwina<lb/>
und des Dujepr und stützt sich auf' die Städte Polozk. Witebsk, Orscha, Mohilew,<lb/>
Gomel und Kiew. Das Waldland der Polesie mit seinen Sümpfen macht das<lb/>
Anmarschgelände für den Gegner schwierig und muß im Norden und Süden<lb/>
umgangen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1379"> Daß die Annahme solcher Ansichten zuschanden geworden ist, haben die<lb/>
Ereignisse der letzten Wochen vollauf gezeigt, ja sie haben bewiesen, daß die<lb/>
militärische Bedeutung des polnischen Kriegsschauplatzes in der Literatur arg<lb/>
unterschätzt worden ist. Vermutlich hat Rußland in den letzten Monaten im<lb/>
Hinblick auf einen nahen Krieg gegen den Dreibund die militärische Rüstung<lb/>
Polens heimlich und stark gefestigt und die Offensive längst geplant. Nach den<lb/>
Lehren des mandschurischen Krieges hat die russische Regierung eingesehen, daß<lb/>
bloße Defensive bereits Niederlage bedeutet. Daher sind russische Truppen,<lb/>
scheinbar lange vorher wohl vorbereitet, in die blühenden Gefilde Ostpreußens<lb/>
eingefallen. Die stärkere geistige Überlegenheit unserer deutschen Armee hat die<lb/>
feindlichen Massen bei Gumbinnen&#x2014;Angerburg und bei Soltau&#x2014;Ortelsburg<lb/>
glänzend aus dem Lande getrieben, ja die russischen Korps so gut wie aufge-<lb/>
rieben. Eine ähnliche Offensive verfolgte Rußland gegen Galizien und stieß<lb/>
hier mit der österreichischen Angriffsbewegung zusammen, die über die Lysa<lb/>
Gora und den Weichsel - Bugzmischenraum vorging. Mehrtägige erbitterte<lb/>
Schlachten bei Krasnil und Komarow&#x2014;Samostje haben die Russen auch hier<lb/>
zurückgeschlagen, aufgerieben oder gegen Ljublin zurückgedrängt. In Ostgalizien<lb/>
dagegen schienen die Russen einen großen Vorsprung in den Vorbereitungen<lb/>
Zu einem Kriege gegen Österreich gehabt zu haben. Aus taktischen Gründen<lb/>
mußte ihrer übermächtigen Offensive sogar Lemberg eingeräumt werden (5. Sep¬<lb/>
tember). Wir zweifeln nicht, daß es gelingen wird, sie dort einzukreisen und<lb/>
über die Grenze zurückzuwerfen. Hoffentlich glückt es dann, sie bis in die<lb/>
Pnpetsümpfe zu treiben, wenn sie nicht vorher aufgerieben werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1380" next="#ID_1381"> Wie sich nach der erfolgten Abwehr der russischen Offensive die geschilderten<lb/>
polnischen Verteidigungslinien bewähren werden, muß die Zukunft lehren. Wir<lb/>
haben das feste Vertrauen, daß es auch hier wie im Westen gelingen wird,<lb/>
das Deutsche Reich zu schützen, eingedenk der kraftvollen Sätze, mit denen schon</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] Russisch-Polen als Kriegsschauplatz Rußlands, der weite Raum und das Klima und damit zusammenhängend die Schwierigkeit der RückVerbindungen für den Gegner mehr ausgenutzt werden, die seiner Zeit Napoleon dem Ersten so verhängnisvoll geworden waren, da die Russen damals dem Angriff grundsätzlich auswichen, bis hinter den Dujepr zurückgingen und sich erst bei Smolensk dem schon stark geschwächten Gegner gestellt hatten. Diese Annahmen gipfelten in der Aufstellung anderer, weiter rückwärts gelegener Verteidigungslinien, zunächst an der wirklichen Grenze des Nussentums. die die Flüsse Njemen und oberer Bug vorzeichnen mit den Festungen Kowno. Bjelostok und Brest und sich über Kowel nach den Forts bei Rowno in Wolhvnien fortsetzen läßt. Eine wirksame, noch 400 Kilometer weiter landeinwärts gelegene Verteidigungsstellung kennzeichnen die Oberläufe der Dwina und des Dujepr und stützt sich auf' die Städte Polozk. Witebsk, Orscha, Mohilew, Gomel und Kiew. Das Waldland der Polesie mit seinen Sümpfen macht das Anmarschgelände für den Gegner schwierig und muß im Norden und Süden umgangen werden. Daß die Annahme solcher Ansichten zuschanden geworden ist, haben die Ereignisse der letzten Wochen vollauf gezeigt, ja sie haben bewiesen, daß die militärische Bedeutung des polnischen Kriegsschauplatzes in der Literatur arg unterschätzt worden ist. Vermutlich hat Rußland in den letzten Monaten im Hinblick auf einen nahen Krieg gegen den Dreibund die militärische Rüstung Polens heimlich und stark gefestigt und die Offensive längst geplant. Nach den Lehren des mandschurischen Krieges hat die russische Regierung eingesehen, daß bloße Defensive bereits Niederlage bedeutet. Daher sind russische Truppen, scheinbar lange vorher wohl vorbereitet, in die blühenden Gefilde Ostpreußens eingefallen. Die stärkere geistige Überlegenheit unserer deutschen Armee hat die feindlichen Massen bei Gumbinnen—Angerburg und bei Soltau—Ortelsburg glänzend aus dem Lande getrieben, ja die russischen Korps so gut wie aufge- rieben. Eine ähnliche Offensive verfolgte Rußland gegen Galizien und stieß hier mit der österreichischen Angriffsbewegung zusammen, die über die Lysa Gora und den Weichsel - Bugzmischenraum vorging. Mehrtägige erbitterte Schlachten bei Krasnil und Komarow—Samostje haben die Russen auch hier zurückgeschlagen, aufgerieben oder gegen Ljublin zurückgedrängt. In Ostgalizien dagegen schienen die Russen einen großen Vorsprung in den Vorbereitungen Zu einem Kriege gegen Österreich gehabt zu haben. Aus taktischen Gründen mußte ihrer übermächtigen Offensive sogar Lemberg eingeräumt werden (5. Sep¬ tember). Wir zweifeln nicht, daß es gelingen wird, sie dort einzukreisen und über die Grenze zurückzuwerfen. Hoffentlich glückt es dann, sie bis in die Pnpetsümpfe zu treiben, wenn sie nicht vorher aufgerieben werden. Wie sich nach der erfolgten Abwehr der russischen Offensive die geschilderten polnischen Verteidigungslinien bewähren werden, muß die Zukunft lehren. Wir haben das feste Vertrauen, daß es auch hier wie im Westen gelingen wird, das Deutsche Reich zu schützen, eingedenk der kraftvollen Sätze, mit denen schon

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/409>, abgerufen am 22.12.2024.