Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Franz Liszt uns heute diese Gattung ist, ebenso leidenschaftlich ist sie damals bekämpft L-into l'armi pied08s s'l Lapitano Diese venetianische Melodie ist so voll unheilbarer Trauer, daß ihre ein¬ Franz Liszt uns heute diese Gattung ist, ebenso leidenschaftlich ist sie damals bekämpft L-into l'armi pied08s s'l Lapitano Diese venetianische Melodie ist so voll unheilbarer Trauer, daß ihre ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328774"/> <fw type="header" place="top"> Franz Liszt</fw><lb/> <p xml:id="ID_87" prev="#ID_86"> uns heute diese Gattung ist, ebenso leidenschaftlich ist sie damals bekämpft<lb/> worden, ganz wie das Musikdrama Richard Wagners, wenn auch nicht so ge¬<lb/> räuschvoll. Und im Grunde hat Liszt doch nichts anderes getan, als daß er<lb/> auf dem von Beethoven betretenen Pfade weiter gewandelt ist, Ideen musikalisch<lb/> darzustellen. Ideen, nicht Vorgänge. In den Vorworten zu den einzelnen<lb/> Werken hebt er es auf das deutlichste hervor. So heißt es zum „Prometheus"<lb/> (von Herder) „es genügte in der Musik die Stimmungen aufgehen zu lassen,<lb/> welche unter den verschiedenen wechselnden Formen des Mythos seine Wesenheit,<lb/> gleichsam seine Seele bilden: Kühnheit, Leiden, Ausharren, Erlösung . . . Leid<lb/> und Verklärung! So zusammengedrängt erheischte die Grundidee dieser nur<lb/> zu wahren Fabel einen gewitterschwüler, sturmgrollenden Ausdruck. Ein tiefer<lb/> Schmerz, der durch trotzbietendes Ausharren triumphiert, bildet den musikalischen<lb/> Charakter dieser Vorlage," — und zum „Tasso": „I^mento et tnomw— so<lb/> heißen die beiden großen Kontraste im Geschick des Poeten. Um dieser Idee<lb/> die Autorität der Tatsachen zu verleihen, entlehnte ich die Form zu ihrer<lb/> künstlerischen Gestaltung der Wirklichkeit, in dem ich zum musikalischen Haupt¬<lb/> motiv die Melodie wählte, nach welcher ich venetianische Lagunenschiffer, drei<lb/> Jahrhunderte nach des Dichters Tode, die Anfangsstrophen seines Jerusalem<lb/> singen hörte:</p><lb/> <quote> L-into l'armi pied08s s'l Lapitano<lb/> Luc'l Zran LepolLi'o liberü all Lnristc»!</quote><lb/> <p xml:id="ID_88" next="#ID_89"> Diese venetianische Melodie ist so voll unheilbarer Trauer, daß ihre ein¬<lb/> fache Wiedergabe genügte, um Tassos Seelenzustand zu schildern. Sie gibt<lb/> sich dann ganz, wie die Einbildung des Dichters, den glänzenden Täuschungen<lb/> der Welt, der trügerischen Koketterie jenes Lächelns hin, dessen Gift die schreckliche<lb/> Katastrophe herbeiführte, für welche keine irdische Vergütung möglich schien,<lb/> und welche dann doch auf dem Kapitol mit einem Mantel bedeckt wurde, der<lb/> in reinerem Purpur glänzte, als der des Herzog Alphons". Damit ist die<lb/> künstlerische Absicht des Meisters mit unverkennbarster Deutlichkeit ausgesprochen.<lb/> Was für „Tasso" und „Prometheus" gilt> das gilt auch für die übrigen: sie<lb/> sind insgesamt der musikalische Ausdruck der aus dem dichterischen Kunstwerk<lb/> gewonnenen Stimmungen und Gefühle. Wenn er diese in Form eines Vor¬<lb/> worts begrifflich umschrieb, so geschah es nur, um der Phantasie des Hörers<lb/> die zum Verständnis im einzelnen nötige Richtung zu geben, was bei der Wahl<lb/> so komplizierter Vorwürfe doch nicht unzweckmäßig erscheint, und was auch<lb/> Beethoven ja schon getan' hat. Die Grenzen der Tonkunst werden dabei<lb/> nirgends überschritten, und die Heranziehung aller musikalischen Ausdrucksmittel,<lb/> zu deren Bereicherung er selbst so- unendlich viel beigetragen hat, wird, im Ernste<lb/> ihm niemand zum Vorwurf machen: soll er von der Musik weniger verlangen<lb/> als sie zu geben imstande ist? Und welch deutlichen, man möchte fast sagen<lb/> sprechenden Ausdrucks auch die rein instrumentale Musik fähig ist, dafür genügt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Franz Liszt
uns heute diese Gattung ist, ebenso leidenschaftlich ist sie damals bekämpft
worden, ganz wie das Musikdrama Richard Wagners, wenn auch nicht so ge¬
räuschvoll. Und im Grunde hat Liszt doch nichts anderes getan, als daß er
auf dem von Beethoven betretenen Pfade weiter gewandelt ist, Ideen musikalisch
darzustellen. Ideen, nicht Vorgänge. In den Vorworten zu den einzelnen
Werken hebt er es auf das deutlichste hervor. So heißt es zum „Prometheus"
(von Herder) „es genügte in der Musik die Stimmungen aufgehen zu lassen,
welche unter den verschiedenen wechselnden Formen des Mythos seine Wesenheit,
gleichsam seine Seele bilden: Kühnheit, Leiden, Ausharren, Erlösung . . . Leid
und Verklärung! So zusammengedrängt erheischte die Grundidee dieser nur
zu wahren Fabel einen gewitterschwüler, sturmgrollenden Ausdruck. Ein tiefer
Schmerz, der durch trotzbietendes Ausharren triumphiert, bildet den musikalischen
Charakter dieser Vorlage," — und zum „Tasso": „I^mento et tnomw— so
heißen die beiden großen Kontraste im Geschick des Poeten. Um dieser Idee
die Autorität der Tatsachen zu verleihen, entlehnte ich die Form zu ihrer
künstlerischen Gestaltung der Wirklichkeit, in dem ich zum musikalischen Haupt¬
motiv die Melodie wählte, nach welcher ich venetianische Lagunenschiffer, drei
Jahrhunderte nach des Dichters Tode, die Anfangsstrophen seines Jerusalem
singen hörte:
L-into l'armi pied08s s'l Lapitano
Luc'l Zran LepolLi'o liberü all Lnristc»!
Diese venetianische Melodie ist so voll unheilbarer Trauer, daß ihre ein¬
fache Wiedergabe genügte, um Tassos Seelenzustand zu schildern. Sie gibt
sich dann ganz, wie die Einbildung des Dichters, den glänzenden Täuschungen
der Welt, der trügerischen Koketterie jenes Lächelns hin, dessen Gift die schreckliche
Katastrophe herbeiführte, für welche keine irdische Vergütung möglich schien,
und welche dann doch auf dem Kapitol mit einem Mantel bedeckt wurde, der
in reinerem Purpur glänzte, als der des Herzog Alphons". Damit ist die
künstlerische Absicht des Meisters mit unverkennbarster Deutlichkeit ausgesprochen.
Was für „Tasso" und „Prometheus" gilt> das gilt auch für die übrigen: sie
sind insgesamt der musikalische Ausdruck der aus dem dichterischen Kunstwerk
gewonnenen Stimmungen und Gefühle. Wenn er diese in Form eines Vor¬
worts begrifflich umschrieb, so geschah es nur, um der Phantasie des Hörers
die zum Verständnis im einzelnen nötige Richtung zu geben, was bei der Wahl
so komplizierter Vorwürfe doch nicht unzweckmäßig erscheint, und was auch
Beethoven ja schon getan' hat. Die Grenzen der Tonkunst werden dabei
nirgends überschritten, und die Heranziehung aller musikalischen Ausdrucksmittel,
zu deren Bereicherung er selbst so- unendlich viel beigetragen hat, wird, im Ernste
ihm niemand zum Vorwurf machen: soll er von der Musik weniger verlangen
als sie zu geben imstande ist? Und welch deutlichen, man möchte fast sagen
sprechenden Ausdrucks auch die rein instrumentale Musik fähig ist, dafür genügt
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