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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Krieg und soziale Religion

Deutschland soll bei dem wirtschaftlichen Aufstieg bleiben, den es der
heutigen, alles in allem gut funktionierenden Verbindung von Tüchtigkeit und
Kapital verdankt -- aber der Zeiger der Zeit weist gebieterisch auch auf einen
festeren Zusammenschluß des Ganzen hin, der nur durch eine großzügige Reform,
nicht durch kleinliche Mittel zu erreichen ist. An der Verwirklichung dieser
Forderung sind alle und ist auch der Reichtum interessiert. Auch er muß vor
der Zukunft bestehen können: er wird es, wenn er sich unserm Wahlrechtsge¬
danken nicht verschließt, in seinen besten Vertretern nicht versagt. Unerfreuliche
Ausnahmen gibt es überall -- eine Politik, die bergauf will, muß sich an die
ersteren halten.

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Wo man so denkt, wird dem Ganzen gedient.

Ein Segen war der Ausbruch des Krieges, er hat Staat und Volk zusammen¬
geführt. Und Deutschland geradegerichtet. Jetzt ist es Zeit, ein Wahlrecht zu
verkünden, das unter Gereiften Gerechtigkeit für alle bedeutet und in der Hand
der Gemeinden als soziale Religion wirken wird. Will man auch jetzt, nach all
dem Erlebten, noch warten, bis auch die vereinzelte Notwendigkeit, einen Wahl¬
kreis wieder an die Leine zu nehmen, ausgeschlossen erscheint, so kann man
warten bis ans Ende der Tage. Das Bürgertum wird >sich wieder zu Bett
legen und an seiner Schwäche jede Reform scheitern!

Angst ist keine Politik und Skepsis kein geistiges Band -- der preußische
Wahlspruch wohl: Tief verankert imßdeutschen Gemüt ist das

Jedem das Seine!




Der Krieg und soziale Religion

Deutschland soll bei dem wirtschaftlichen Aufstieg bleiben, den es der
heutigen, alles in allem gut funktionierenden Verbindung von Tüchtigkeit und
Kapital verdankt — aber der Zeiger der Zeit weist gebieterisch auch auf einen
festeren Zusammenschluß des Ganzen hin, der nur durch eine großzügige Reform,
nicht durch kleinliche Mittel zu erreichen ist. An der Verwirklichung dieser
Forderung sind alle und ist auch der Reichtum interessiert. Auch er muß vor
der Zukunft bestehen können: er wird es, wenn er sich unserm Wahlrechtsge¬
danken nicht verschließt, in seinen besten Vertretern nicht versagt. Unerfreuliche
Ausnahmen gibt es überall — eine Politik, die bergauf will, muß sich an die
ersteren halten.

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Wo man so denkt, wird dem Ganzen gedient.

Ein Segen war der Ausbruch des Krieges, er hat Staat und Volk zusammen¬
geführt. Und Deutschland geradegerichtet. Jetzt ist es Zeit, ein Wahlrecht zu
verkünden, das unter Gereiften Gerechtigkeit für alle bedeutet und in der Hand
der Gemeinden als soziale Religion wirken wird. Will man auch jetzt, nach all
dem Erlebten, noch warten, bis auch die vereinzelte Notwendigkeit, einen Wahl¬
kreis wieder an die Leine zu nehmen, ausgeschlossen erscheint, so kann man
warten bis ans Ende der Tage. Das Bürgertum wird >sich wieder zu Bett
legen und an seiner Schwäche jede Reform scheitern!

Angst ist keine Politik und Skepsis kein geistiges Band — der preußische
Wahlspruch wohl: Tief verankert imßdeutschen Gemüt ist das

Jedem das Seine!




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[0394] Der Krieg und soziale Religion Deutschland soll bei dem wirtschaftlichen Aufstieg bleiben, den es der heutigen, alles in allem gut funktionierenden Verbindung von Tüchtigkeit und Kapital verdankt — aber der Zeiger der Zeit weist gebieterisch auch auf einen festeren Zusammenschluß des Ganzen hin, der nur durch eine großzügige Reform, nicht durch kleinliche Mittel zu erreichen ist. An der Verwirklichung dieser Forderung sind alle und ist auch der Reichtum interessiert. Auch er muß vor der Zukunft bestehen können: er wird es, wenn er sich unserm Wahlrechtsge¬ danken nicht verschließt, in seinen besten Vertretern nicht versagt. Unerfreuliche Ausnahmen gibt es überall — eine Politik, die bergauf will, muß sich an die ersteren halten. ü° » » Wo man so denkt, wird dem Ganzen gedient. Ein Segen war der Ausbruch des Krieges, er hat Staat und Volk zusammen¬ geführt. Und Deutschland geradegerichtet. Jetzt ist es Zeit, ein Wahlrecht zu verkünden, das unter Gereiften Gerechtigkeit für alle bedeutet und in der Hand der Gemeinden als soziale Religion wirken wird. Will man auch jetzt, nach all dem Erlebten, noch warten, bis auch die vereinzelte Notwendigkeit, einen Wahl¬ kreis wieder an die Leine zu nehmen, ausgeschlossen erscheint, so kann man warten bis ans Ende der Tage. Das Bürgertum wird >sich wieder zu Bett legen und an seiner Schwäche jede Reform scheitern! Angst ist keine Politik und Skepsis kein geistiges Band — der preußische Wahlspruch wohl: Tief verankert imßdeutschen Gemüt ist das Jedem das Seine!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/394>, abgerufen am 27.07.2024.