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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Arieg und soziale Religion

Die Aufgabe, den Tüchtigen, den Verdienten herauszufinden, schien nicht
lösbar. Sie wird es aber, wenn man sie nicht dem Staat, sondern der Ge¬
meinde stellt. Ihr sind der einzelne und seine Leistungen keine unbekannten
Größen und der Staat handelt im Interesse aller, wenn er die Bestimmung
der politischen Werte der Gemeinde überläßt. Wenn er ihrem Weg zum Mann
folgt und ihre Prämien einfach einlöst. Die Gemeinde kennt ihre Pappenheimer.




Vor der heutigen Selbstverwaltung hat man auch die allerschwersten Be¬
denken gehabt -- es ist gegangen, sehr gut gegangen. Schon Treitschke weist
darauf hin (Politik II, S. 511): "Alles in allem wird man sagen können,
Stein hat in dem Maße das rechte getroffen, daß alle Kommunalordnungen
Deutschlands seitdem sich unmittelbar oder mittelbar an sein Vorbild anlehnten.
Vor 1848 pflegte man bei uns geradezu einen Kultus mit der Selbstverwaltung
zu treiben. In den dreißiger Jahren nannte man die Städteordnung .Preußens
politische Bibel'. Es fand ein schöner Wetteifer unter den großen Städten
statt, welche von ihnen die am besten verwaltete sei." Genau so wird man es
wieder machen.




Der Staat soll sich nur einmischen, wenn Ruhe und Ordnung seine Hilfe
anrufen. Er zerstört sonst die Autorität der Gemeinde, die Wurzel der seinigen.
Was unsere Großindustrie mit weitgehender Selbständigkeit ihrer Unterorgane,
mit delegierter Autorität erreicht, das gleiche kann auch der Staat erreichen --
eine wirksame Autorität der Spitze. Auf beides kommt es an.




Wir müssen dahin umlernen, daß die Parlamente die Vertretung der
Gemeinden und Wahlkreise sind, nicht die des individuellen Wählers oder der
aus solchen zusammengeballten Parteien. Diese müssen vom Staat schon darum
als etwas sekundäres angesehen werden, weil sie die (unwillkürliche) Tendenz
haben, ihn im Streit miteinander in Stücke zu reißen. Sie waren auch noch
nie staatenbildend, Provinzen, Kreisen und Gemeinden dagegen liegt der Zu¬
sammenschluß im Blut. Jedes Wahlrecht, das die Bedeutung der letzteren
herabdrückt, den Parteien den ungehinderten Aufmarsch landauf, landab einräumt,
ist revolutionär.




Solange ein Wahlkreis, eine Gemeinde die Dinge zu Haus ohne Anrufung
der Gewalt geradehält, liegt kein Grund vor, ihnen das Selbstbestimmungsrecht
über den Modus vorzuenthalten, nach welchem sie ihre Vertretung für Berlin


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Der Arieg und soziale Religion

Die Aufgabe, den Tüchtigen, den Verdienten herauszufinden, schien nicht
lösbar. Sie wird es aber, wenn man sie nicht dem Staat, sondern der Ge¬
meinde stellt. Ihr sind der einzelne und seine Leistungen keine unbekannten
Größen und der Staat handelt im Interesse aller, wenn er die Bestimmung
der politischen Werte der Gemeinde überläßt. Wenn er ihrem Weg zum Mann
folgt und ihre Prämien einfach einlöst. Die Gemeinde kennt ihre Pappenheimer.




Vor der heutigen Selbstverwaltung hat man auch die allerschwersten Be¬
denken gehabt — es ist gegangen, sehr gut gegangen. Schon Treitschke weist
darauf hin (Politik II, S. 511): „Alles in allem wird man sagen können,
Stein hat in dem Maße das rechte getroffen, daß alle Kommunalordnungen
Deutschlands seitdem sich unmittelbar oder mittelbar an sein Vorbild anlehnten.
Vor 1848 pflegte man bei uns geradezu einen Kultus mit der Selbstverwaltung
zu treiben. In den dreißiger Jahren nannte man die Städteordnung .Preußens
politische Bibel'. Es fand ein schöner Wetteifer unter den großen Städten
statt, welche von ihnen die am besten verwaltete sei." Genau so wird man es
wieder machen.




Der Staat soll sich nur einmischen, wenn Ruhe und Ordnung seine Hilfe
anrufen. Er zerstört sonst die Autorität der Gemeinde, die Wurzel der seinigen.
Was unsere Großindustrie mit weitgehender Selbständigkeit ihrer Unterorgane,
mit delegierter Autorität erreicht, das gleiche kann auch der Staat erreichen —
eine wirksame Autorität der Spitze. Auf beides kommt es an.




Wir müssen dahin umlernen, daß die Parlamente die Vertretung der
Gemeinden und Wahlkreise sind, nicht die des individuellen Wählers oder der
aus solchen zusammengeballten Parteien. Diese müssen vom Staat schon darum
als etwas sekundäres angesehen werden, weil sie die (unwillkürliche) Tendenz
haben, ihn im Streit miteinander in Stücke zu reißen. Sie waren auch noch
nie staatenbildend, Provinzen, Kreisen und Gemeinden dagegen liegt der Zu¬
sammenschluß im Blut. Jedes Wahlrecht, das die Bedeutung der letzteren
herabdrückt, den Parteien den ungehinderten Aufmarsch landauf, landab einräumt,
ist revolutionär.




Solange ein Wahlkreis, eine Gemeinde die Dinge zu Haus ohne Anrufung
der Gewalt geradehält, liegt kein Grund vor, ihnen das Selbstbestimmungsrecht
über den Modus vorzuenthalten, nach welchem sie ihre Vertretung für Berlin


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[0391] Der Arieg und soziale Religion Die Aufgabe, den Tüchtigen, den Verdienten herauszufinden, schien nicht lösbar. Sie wird es aber, wenn man sie nicht dem Staat, sondern der Ge¬ meinde stellt. Ihr sind der einzelne und seine Leistungen keine unbekannten Größen und der Staat handelt im Interesse aller, wenn er die Bestimmung der politischen Werte der Gemeinde überläßt. Wenn er ihrem Weg zum Mann folgt und ihre Prämien einfach einlöst. Die Gemeinde kennt ihre Pappenheimer. Vor der heutigen Selbstverwaltung hat man auch die allerschwersten Be¬ denken gehabt — es ist gegangen, sehr gut gegangen. Schon Treitschke weist darauf hin (Politik II, S. 511): „Alles in allem wird man sagen können, Stein hat in dem Maße das rechte getroffen, daß alle Kommunalordnungen Deutschlands seitdem sich unmittelbar oder mittelbar an sein Vorbild anlehnten. Vor 1848 pflegte man bei uns geradezu einen Kultus mit der Selbstverwaltung zu treiben. In den dreißiger Jahren nannte man die Städteordnung .Preußens politische Bibel'. Es fand ein schöner Wetteifer unter den großen Städten statt, welche von ihnen die am besten verwaltete sei." Genau so wird man es wieder machen. Der Staat soll sich nur einmischen, wenn Ruhe und Ordnung seine Hilfe anrufen. Er zerstört sonst die Autorität der Gemeinde, die Wurzel der seinigen. Was unsere Großindustrie mit weitgehender Selbständigkeit ihrer Unterorgane, mit delegierter Autorität erreicht, das gleiche kann auch der Staat erreichen — eine wirksame Autorität der Spitze. Auf beides kommt es an. Wir müssen dahin umlernen, daß die Parlamente die Vertretung der Gemeinden und Wahlkreise sind, nicht die des individuellen Wählers oder der aus solchen zusammengeballten Parteien. Diese müssen vom Staat schon darum als etwas sekundäres angesehen werden, weil sie die (unwillkürliche) Tendenz haben, ihn im Streit miteinander in Stücke zu reißen. Sie waren auch noch nie staatenbildend, Provinzen, Kreisen und Gemeinden dagegen liegt der Zu¬ sammenschluß im Blut. Jedes Wahlrecht, das die Bedeutung der letzteren herabdrückt, den Parteien den ungehinderten Aufmarsch landauf, landab einräumt, ist revolutionär. Solange ein Wahlkreis, eine Gemeinde die Dinge zu Haus ohne Anrufung der Gewalt geradehält, liegt kein Grund vor, ihnen das Selbstbestimmungsrecht über den Modus vorzuenthalten, nach welchem sie ihre Vertretung für Berlin 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/391>, abgerufen am 01.09.2024.