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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vom Charakter der Franzosen

Allüren, endgültig zu kennen glauben. Derartige Dinge lassen sich anlernen,
nachahmen, Schauspielern. Oft auch bleiben gewisse Gewohnheiten bestehen,
obwohl sich die Wesenszüge, die ihnen ursprünglich zugrunde lagen, längst
geändert haben. Das alles ist natürlich bei ganzen Völkern noch viel stärker
als bei Individuen der Fall, und man muß sich hier noch mehr als beim
Einzelmenschen vor falschen Verallgemeinerungen hüten.




Jch will einiges derartige am Beispiel der Franzosen dartun, über die,
wie ich nach jahrelanger Kenntnis des Volkes glaube, ganz verkehrte Anschauungen
nicht nur in Deutschand kursieren. Das hat in verschiedenen Dingen seinen
Grund. Erstens ist der Franzose keineswegs leicht kennen zu lernen; ein
französisches Haus steht lange nicht so gastlich jedem Fremden offen, wie viel¬
fach deutsche Häuser. Es gibt Deutsche, die jahrelang in Paris gewohnt haben,
ohne je in eine französische Familie geschaut zu haben. Man rechne Pensionen
oder Häuser, die "zahlende Gäste" aufnehmen, nicht dazu: ein französisches
Haus, das Deutsche aufnimmt, ist schon darum kein typisch französisches Haus.
Wie bei allen romanischen Völkern ist das Haus viel abgeschlossener als bei
uns, Gastlichkeit liegt nicht im Wesen der lateinischen Rassen, und selbst dort,
wo man Fremde empfängt, ist man viel zurückhaltender, spröder, weniger offen
als wir es gegen Fremde sind.

Ein weiterer Grund, daß wir die Franzosen falsch einschätzen, liegt darin,
das uns gewisse Stände als typisch erscheinen, die es keineswegs sind. Das
war in früheren Zeiten vor allem der Adel, der repräsentativ für das Volk
genommen wurde. Ihn lernte man auf Reisen, an fremden Höfen usw. kennen.
Seine feinen und kultivierten Manieren nahm man ohne weiteres als typisch
an für das Volk, zumal man auch an denjenigen nichtadeligen Vertretern der
Rasse, die man im Ausland kennen lernte, Hofmeistern, Erziehern, Tanzlehrern,
Schauspielern usw. ähnliche Allüren wahrnahm, ohne daß man dabei bedachte,
daß solche Allüren eben zum Geschäft dieser Leute gehörten, und nur eine an¬
gelernte Kopie nach jenen adligen Mustern waren. Dabei ist dann ferner zu
bemerken, daß jene feinen Sitten des Adels im ganzen Lande nachgeahmt wurden
und so wirklich, wenigstens für den oberflächlichen Beobachter, typischen Wert
bekommen mußten. In der Tat sind die Franzosen zur Zeit des Königtums
wohl eine Rasse von ungewöhnlicher Kultur der Form gewesen, nicht so sehr,
weil sie innerlich wirklich jene galanten und formal durchgebildeten Charaktere
gewesen wären, sondern darum, weil sie alle den Adel und seine Art kopierten,
der am Hofe von Versailles ihnen allen als leuchtendes Vorbild vor Augen
stand.

Wie wenig das weitere Volk von dieser Kultur der Form im Innern
erfaßt war, zeigte bereits die große Revolution, wo sich der Pöbelgeist der
Rasse am deutlichsten offenbarte; dasselbe hat sich überall von neuem gezeigt,


vom Charakter der Franzosen

Allüren, endgültig zu kennen glauben. Derartige Dinge lassen sich anlernen,
nachahmen, Schauspielern. Oft auch bleiben gewisse Gewohnheiten bestehen,
obwohl sich die Wesenszüge, die ihnen ursprünglich zugrunde lagen, längst
geändert haben. Das alles ist natürlich bei ganzen Völkern noch viel stärker
als bei Individuen der Fall, und man muß sich hier noch mehr als beim
Einzelmenschen vor falschen Verallgemeinerungen hüten.




Jch will einiges derartige am Beispiel der Franzosen dartun, über die,
wie ich nach jahrelanger Kenntnis des Volkes glaube, ganz verkehrte Anschauungen
nicht nur in Deutschand kursieren. Das hat in verschiedenen Dingen seinen
Grund. Erstens ist der Franzose keineswegs leicht kennen zu lernen; ein
französisches Haus steht lange nicht so gastlich jedem Fremden offen, wie viel¬
fach deutsche Häuser. Es gibt Deutsche, die jahrelang in Paris gewohnt haben,
ohne je in eine französische Familie geschaut zu haben. Man rechne Pensionen
oder Häuser, die „zahlende Gäste" aufnehmen, nicht dazu: ein französisches
Haus, das Deutsche aufnimmt, ist schon darum kein typisch französisches Haus.
Wie bei allen romanischen Völkern ist das Haus viel abgeschlossener als bei
uns, Gastlichkeit liegt nicht im Wesen der lateinischen Rassen, und selbst dort,
wo man Fremde empfängt, ist man viel zurückhaltender, spröder, weniger offen
als wir es gegen Fremde sind.

Ein weiterer Grund, daß wir die Franzosen falsch einschätzen, liegt darin,
das uns gewisse Stände als typisch erscheinen, die es keineswegs sind. Das
war in früheren Zeiten vor allem der Adel, der repräsentativ für das Volk
genommen wurde. Ihn lernte man auf Reisen, an fremden Höfen usw. kennen.
Seine feinen und kultivierten Manieren nahm man ohne weiteres als typisch
an für das Volk, zumal man auch an denjenigen nichtadeligen Vertretern der
Rasse, die man im Ausland kennen lernte, Hofmeistern, Erziehern, Tanzlehrern,
Schauspielern usw. ähnliche Allüren wahrnahm, ohne daß man dabei bedachte,
daß solche Allüren eben zum Geschäft dieser Leute gehörten, und nur eine an¬
gelernte Kopie nach jenen adligen Mustern waren. Dabei ist dann ferner zu
bemerken, daß jene feinen Sitten des Adels im ganzen Lande nachgeahmt wurden
und so wirklich, wenigstens für den oberflächlichen Beobachter, typischen Wert
bekommen mußten. In der Tat sind die Franzosen zur Zeit des Königtums
wohl eine Rasse von ungewöhnlicher Kultur der Form gewesen, nicht so sehr,
weil sie innerlich wirklich jene galanten und formal durchgebildeten Charaktere
gewesen wären, sondern darum, weil sie alle den Adel und seine Art kopierten,
der am Hofe von Versailles ihnen allen als leuchtendes Vorbild vor Augen
stand.

Wie wenig das weitere Volk von dieser Kultur der Form im Innern
erfaßt war, zeigte bereits die große Revolution, wo sich der Pöbelgeist der
Rasse am deutlichsten offenbarte; dasselbe hat sich überall von neuem gezeigt,


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[0338] vom Charakter der Franzosen Allüren, endgültig zu kennen glauben. Derartige Dinge lassen sich anlernen, nachahmen, Schauspielern. Oft auch bleiben gewisse Gewohnheiten bestehen, obwohl sich die Wesenszüge, die ihnen ursprünglich zugrunde lagen, längst geändert haben. Das alles ist natürlich bei ganzen Völkern noch viel stärker als bei Individuen der Fall, und man muß sich hier noch mehr als beim Einzelmenschen vor falschen Verallgemeinerungen hüten. Jch will einiges derartige am Beispiel der Franzosen dartun, über die, wie ich nach jahrelanger Kenntnis des Volkes glaube, ganz verkehrte Anschauungen nicht nur in Deutschand kursieren. Das hat in verschiedenen Dingen seinen Grund. Erstens ist der Franzose keineswegs leicht kennen zu lernen; ein französisches Haus steht lange nicht so gastlich jedem Fremden offen, wie viel¬ fach deutsche Häuser. Es gibt Deutsche, die jahrelang in Paris gewohnt haben, ohne je in eine französische Familie geschaut zu haben. Man rechne Pensionen oder Häuser, die „zahlende Gäste" aufnehmen, nicht dazu: ein französisches Haus, das Deutsche aufnimmt, ist schon darum kein typisch französisches Haus. Wie bei allen romanischen Völkern ist das Haus viel abgeschlossener als bei uns, Gastlichkeit liegt nicht im Wesen der lateinischen Rassen, und selbst dort, wo man Fremde empfängt, ist man viel zurückhaltender, spröder, weniger offen als wir es gegen Fremde sind. Ein weiterer Grund, daß wir die Franzosen falsch einschätzen, liegt darin, das uns gewisse Stände als typisch erscheinen, die es keineswegs sind. Das war in früheren Zeiten vor allem der Adel, der repräsentativ für das Volk genommen wurde. Ihn lernte man auf Reisen, an fremden Höfen usw. kennen. Seine feinen und kultivierten Manieren nahm man ohne weiteres als typisch an für das Volk, zumal man auch an denjenigen nichtadeligen Vertretern der Rasse, die man im Ausland kennen lernte, Hofmeistern, Erziehern, Tanzlehrern, Schauspielern usw. ähnliche Allüren wahrnahm, ohne daß man dabei bedachte, daß solche Allüren eben zum Geschäft dieser Leute gehörten, und nur eine an¬ gelernte Kopie nach jenen adligen Mustern waren. Dabei ist dann ferner zu bemerken, daß jene feinen Sitten des Adels im ganzen Lande nachgeahmt wurden und so wirklich, wenigstens für den oberflächlichen Beobachter, typischen Wert bekommen mußten. In der Tat sind die Franzosen zur Zeit des Königtums wohl eine Rasse von ungewöhnlicher Kultur der Form gewesen, nicht so sehr, weil sie innerlich wirklich jene galanten und formal durchgebildeten Charaktere gewesen wären, sondern darum, weil sie alle den Adel und seine Art kopierten, der am Hofe von Versailles ihnen allen als leuchtendes Vorbild vor Augen stand. Wie wenig das weitere Volk von dieser Kultur der Form im Innern erfaßt war, zeigte bereits die große Revolution, wo sich der Pöbelgeist der Rasse am deutlichsten offenbarte; dasselbe hat sich überall von neuem gezeigt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/338>, abgerufen am 01.09.2024.