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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Gsterroich-Ungarn -- Rumänien -- Rußland

des Königreichs ohne weiteres klar werden, was für einen problematischen
Wert das Versprechen Rußlands hat, ihnen Siebenbürgen im diplomatischen
Scheckverkehr zu überweisen. So muß es denn nach dem vorher Gesagten
jedermann einleuchten, auf welche Weise die ungarische Negierung dem Königreich
Rumänien die zu erwartende Entschließung erleichtern kann; sie allein hat den
Schlüssel zur Lösung dieses Problems in der Hand.

Bei den Tschechen Österreichs liegt die Sache wesentlich einfacher als bei
den Rumäne" Ungarns, weil die Tschechen jenseits der Reichsgrenzen keinen
Nationalstaat ihres Stammes finden, sondern nur eine weitläufig verwandte
asiatisch gebildete Staatsgesellschaft, aus deren unmittelbares Patronat die
Tschechen, wie die Kundgebungen in Prag deutlich bewiesen, nicht gerade erpicht
sind. Sie sehen es ja an den Polen in Rußland, wie schlecht diese Vormund¬
schaft auch anderen slawischen Brüdern bekommt. Auch in diesem Fall haben
die Russen den Sport panslawistischer Demonstrationen in Petersburg und Prag
zu tragisch genommen; sie übersahen, daß jene Veranstaltungen nur Mittel der
Parteitaktik waren, die für die Innenpolitik ihre guten Dienste taten, aber im
übrigen nicht weltgeschichtliche Verschiebungen auf dem österreichisch-russischen
Theater vorbereiten sollten.

Durch diese Auffassung soll die merkwürdige deutsch-tschechische Verbrüderung
in Prag und im übrigen Böhmen keineswegs entwertet werden. Man wird
zwar sicherlich nach dem Kriege auch in Böhmen über die Beziehungen der
Völker zueinander nüchterner urteilen, aber die Tatsache wird sich auch dann
nicht wegleugnen lassen, daß Deutsche und Tschechen in dieser Stunde der Not,
wie von einer Inspiration getrieben, erkannt haben: wir sind unkündbare Haus¬
genossen und haben uns auf das Zusammenleben miteinander unbedingt ein¬
zurichten. Dieses Haus Osterreich ist eben doch wohnlicher als die Parteien
allenthalben in Friedenszeiten sich einbildeten. Das von Heinrich Friedjung
letzthin geprägte Wort bestätigt sich eben auch hier: "Österreich-Ungarn hat
sich in diesen Tagen selbst entdeckt." Allen großen Entdeckungen muß irgend
ein Zufall zuHilfe kommen; es war den Meistern des Krieges vorbehalten, die
richtige Mischung der Stoffe im Habsburgischen Laboratorium zu erweisen.
Möge es nachher den Meistern der Staatskunst gelingen, diese neuentdeckte alte
Mischung zu einem festen und stolzen Bauwerk des Friedens und der Zivilisation
gegen die moskowitische Flut zu verwerten.




Gsterroich-Ungarn — Rumänien — Rußland

des Königreichs ohne weiteres klar werden, was für einen problematischen
Wert das Versprechen Rußlands hat, ihnen Siebenbürgen im diplomatischen
Scheckverkehr zu überweisen. So muß es denn nach dem vorher Gesagten
jedermann einleuchten, auf welche Weise die ungarische Negierung dem Königreich
Rumänien die zu erwartende Entschließung erleichtern kann; sie allein hat den
Schlüssel zur Lösung dieses Problems in der Hand.

Bei den Tschechen Österreichs liegt die Sache wesentlich einfacher als bei
den Rumäne» Ungarns, weil die Tschechen jenseits der Reichsgrenzen keinen
Nationalstaat ihres Stammes finden, sondern nur eine weitläufig verwandte
asiatisch gebildete Staatsgesellschaft, aus deren unmittelbares Patronat die
Tschechen, wie die Kundgebungen in Prag deutlich bewiesen, nicht gerade erpicht
sind. Sie sehen es ja an den Polen in Rußland, wie schlecht diese Vormund¬
schaft auch anderen slawischen Brüdern bekommt. Auch in diesem Fall haben
die Russen den Sport panslawistischer Demonstrationen in Petersburg und Prag
zu tragisch genommen; sie übersahen, daß jene Veranstaltungen nur Mittel der
Parteitaktik waren, die für die Innenpolitik ihre guten Dienste taten, aber im
übrigen nicht weltgeschichtliche Verschiebungen auf dem österreichisch-russischen
Theater vorbereiten sollten.

Durch diese Auffassung soll die merkwürdige deutsch-tschechische Verbrüderung
in Prag und im übrigen Böhmen keineswegs entwertet werden. Man wird
zwar sicherlich nach dem Kriege auch in Böhmen über die Beziehungen der
Völker zueinander nüchterner urteilen, aber die Tatsache wird sich auch dann
nicht wegleugnen lassen, daß Deutsche und Tschechen in dieser Stunde der Not,
wie von einer Inspiration getrieben, erkannt haben: wir sind unkündbare Haus¬
genossen und haben uns auf das Zusammenleben miteinander unbedingt ein¬
zurichten. Dieses Haus Osterreich ist eben doch wohnlicher als die Parteien
allenthalben in Friedenszeiten sich einbildeten. Das von Heinrich Friedjung
letzthin geprägte Wort bestätigt sich eben auch hier: „Österreich-Ungarn hat
sich in diesen Tagen selbst entdeckt." Allen großen Entdeckungen muß irgend
ein Zufall zuHilfe kommen; es war den Meistern des Krieges vorbehalten, die
richtige Mischung der Stoffe im Habsburgischen Laboratorium zu erweisen.
Möge es nachher den Meistern der Staatskunst gelingen, diese neuentdeckte alte
Mischung zu einem festen und stolzen Bauwerk des Friedens und der Zivilisation
gegen die moskowitische Flut zu verwerten.




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[0336] Gsterroich-Ungarn — Rumänien — Rußland des Königreichs ohne weiteres klar werden, was für einen problematischen Wert das Versprechen Rußlands hat, ihnen Siebenbürgen im diplomatischen Scheckverkehr zu überweisen. So muß es denn nach dem vorher Gesagten jedermann einleuchten, auf welche Weise die ungarische Negierung dem Königreich Rumänien die zu erwartende Entschließung erleichtern kann; sie allein hat den Schlüssel zur Lösung dieses Problems in der Hand. Bei den Tschechen Österreichs liegt die Sache wesentlich einfacher als bei den Rumäne» Ungarns, weil die Tschechen jenseits der Reichsgrenzen keinen Nationalstaat ihres Stammes finden, sondern nur eine weitläufig verwandte asiatisch gebildete Staatsgesellschaft, aus deren unmittelbares Patronat die Tschechen, wie die Kundgebungen in Prag deutlich bewiesen, nicht gerade erpicht sind. Sie sehen es ja an den Polen in Rußland, wie schlecht diese Vormund¬ schaft auch anderen slawischen Brüdern bekommt. Auch in diesem Fall haben die Russen den Sport panslawistischer Demonstrationen in Petersburg und Prag zu tragisch genommen; sie übersahen, daß jene Veranstaltungen nur Mittel der Parteitaktik waren, die für die Innenpolitik ihre guten Dienste taten, aber im übrigen nicht weltgeschichtliche Verschiebungen auf dem österreichisch-russischen Theater vorbereiten sollten. Durch diese Auffassung soll die merkwürdige deutsch-tschechische Verbrüderung in Prag und im übrigen Böhmen keineswegs entwertet werden. Man wird zwar sicherlich nach dem Kriege auch in Böhmen über die Beziehungen der Völker zueinander nüchterner urteilen, aber die Tatsache wird sich auch dann nicht wegleugnen lassen, daß Deutsche und Tschechen in dieser Stunde der Not, wie von einer Inspiration getrieben, erkannt haben: wir sind unkündbare Haus¬ genossen und haben uns auf das Zusammenleben miteinander unbedingt ein¬ zurichten. Dieses Haus Osterreich ist eben doch wohnlicher als die Parteien allenthalben in Friedenszeiten sich einbildeten. Das von Heinrich Friedjung letzthin geprägte Wort bestätigt sich eben auch hier: „Österreich-Ungarn hat sich in diesen Tagen selbst entdeckt." Allen großen Entdeckungen muß irgend ein Zufall zuHilfe kommen; es war den Meistern des Krieges vorbehalten, die richtige Mischung der Stoffe im Habsburgischen Laboratorium zu erweisen. Möge es nachher den Meistern der Staatskunst gelingen, diese neuentdeckte alte Mischung zu einem festen und stolzen Bauwerk des Friedens und der Zivilisation gegen die moskowitische Flut zu verwerten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/336>, abgerufen am 01.09.2024.