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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza hatte diesen selben Abgeord¬
neten noch im vorigen Monat auf Grund falscher Informationen in offener
Reichstagssitzung panslawistischer Umtriebe bezichtigt. Graf Tisza hat nun in
honetter Weise öffentlich seine Beschuldigung zurückgezogen und in diesem Zu¬
sammenhang die bekannten Worte gesprochen, daß "jeder Akt treuer Vaterlands¬
liebe heute einen Granitstein zu dem Fundament einer schöneren, auf gegen¬
seitigem Vertrauen und gegenseitiger Sympathie sich aufbauenden Zukunft bilde".

In der Stadt Deva, im südwestlichen Siebenbürgen, hat die magyarische
Bevölkerung unter der Führung des Obergespans geradezu eine Kundgebung
sür die Rumänen veranstaltet. Und die Rumänen haben diese ihrerseits mit
einer spontanen Loyalitätserklärung beantwortet, die für das Magyarentum von
ganz außerordentlichem Wert ist, weil gerade in diesem Teil Siebenbürgens,
im Erzgebirge, die Rumänen im Jahre 1848 gegen die Magyaren und für
das Haus Habsburg einen furchtbar erbitterten Kampf geführt haben, einen
Kampf bis auf Axt und Sense. Der Dank der Magyaren für die Haltung
der Rumänen in dem gegenwärtigen Augenblick darf nicht ausbleiben. Graf
Tisza hat das auch sehr verständlich -- und verständig -- angedeutet. Die
ungarische Negierung müßte aber das Eisen schmieden, so lange es warm ist;
sie könnte nichts besseres tun und die Position der Monarchie auf diesem
schwächsten Punkt des Magyarentums nicht zuverlässiger festigen, als wenn sie
jetzt, noch während des Krieges, sichere Bürgschaften böte für die Erweiterung
der politischen Rechte der nichtmagyarischen Nationalitäten. Man weiß nicht,
was der nächste Tag bringtI

Wie ungünstig das Zahlenverhältnis der magyarischen zur rumänischen
Bevölkerung in Siebenbürgen ist, zeigt die Völkerkarte der Monarchie. Die
Solidaritätserklärungen der politischen Führer der siebenbürgischen Rumänen
sind darum an und für sich nicht hoch genug anzuschlagen. Die Autorität der
Führer müßte aber gerade deshalb, im wohlverstandenen Interesse des Magyaren¬
tums und der Monarchie überhaupt, durch die ungarische Regierung gestärkt
werden, indem diese dem Numänentnm für seine patriotische Haltung eine Art
Ehrenpreis nicht nur für spätere Zeiten unverbindlich in Aussicht stellt, sondern
schon jetzt in greifbaren Werten bietet. Die große Masse der Bevölkerung läßt
sich gar leicht durch ein Schlagwort betören. Nußland soll ja an Rumänien
das offizielle Anerbieten gerichtet haben, daß ihm, falls es sich vom Dreibund
lossage und ganz auf die russische Seite trete, als Gegenleistung für dieses
Bündnis Siebenbürgen als Preis zuerkannt werde. Die Sache klingt sehr
glaubhaft, ist ja auch naheliegend genug. Wenn Rumänien darauf einginge
und zudem eine Abfallbewegung in Siebenbürgen günstigen Boden fände, wäre
damit gewiß ein Dritten der österreichisch - ungarischen Armee für jede sonstige
Kriegsoperation einfach ausgeschaltet. Der Plan ist also recht schön ausgeheckt!
Rußland verschenkt allerdings hier das siebenbürgische Bärenfell, bevor es den
Bären selbst zur Strecke gebracht hat.


Der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza hatte diesen selben Abgeord¬
neten noch im vorigen Monat auf Grund falscher Informationen in offener
Reichstagssitzung panslawistischer Umtriebe bezichtigt. Graf Tisza hat nun in
honetter Weise öffentlich seine Beschuldigung zurückgezogen und in diesem Zu¬
sammenhang die bekannten Worte gesprochen, daß „jeder Akt treuer Vaterlands¬
liebe heute einen Granitstein zu dem Fundament einer schöneren, auf gegen¬
seitigem Vertrauen und gegenseitiger Sympathie sich aufbauenden Zukunft bilde".

In der Stadt Deva, im südwestlichen Siebenbürgen, hat die magyarische
Bevölkerung unter der Führung des Obergespans geradezu eine Kundgebung
sür die Rumänen veranstaltet. Und die Rumänen haben diese ihrerseits mit
einer spontanen Loyalitätserklärung beantwortet, die für das Magyarentum von
ganz außerordentlichem Wert ist, weil gerade in diesem Teil Siebenbürgens,
im Erzgebirge, die Rumänen im Jahre 1848 gegen die Magyaren und für
das Haus Habsburg einen furchtbar erbitterten Kampf geführt haben, einen
Kampf bis auf Axt und Sense. Der Dank der Magyaren für die Haltung
der Rumänen in dem gegenwärtigen Augenblick darf nicht ausbleiben. Graf
Tisza hat das auch sehr verständlich — und verständig — angedeutet. Die
ungarische Negierung müßte aber das Eisen schmieden, so lange es warm ist;
sie könnte nichts besseres tun und die Position der Monarchie auf diesem
schwächsten Punkt des Magyarentums nicht zuverlässiger festigen, als wenn sie
jetzt, noch während des Krieges, sichere Bürgschaften böte für die Erweiterung
der politischen Rechte der nichtmagyarischen Nationalitäten. Man weiß nicht,
was der nächste Tag bringtI

Wie ungünstig das Zahlenverhältnis der magyarischen zur rumänischen
Bevölkerung in Siebenbürgen ist, zeigt die Völkerkarte der Monarchie. Die
Solidaritätserklärungen der politischen Führer der siebenbürgischen Rumänen
sind darum an und für sich nicht hoch genug anzuschlagen. Die Autorität der
Führer müßte aber gerade deshalb, im wohlverstandenen Interesse des Magyaren¬
tums und der Monarchie überhaupt, durch die ungarische Regierung gestärkt
werden, indem diese dem Numänentnm für seine patriotische Haltung eine Art
Ehrenpreis nicht nur für spätere Zeiten unverbindlich in Aussicht stellt, sondern
schon jetzt in greifbaren Werten bietet. Die große Masse der Bevölkerung läßt
sich gar leicht durch ein Schlagwort betören. Nußland soll ja an Rumänien
das offizielle Anerbieten gerichtet haben, daß ihm, falls es sich vom Dreibund
lossage und ganz auf die russische Seite trete, als Gegenleistung für dieses
Bündnis Siebenbürgen als Preis zuerkannt werde. Die Sache klingt sehr
glaubhaft, ist ja auch naheliegend genug. Wenn Rumänien darauf einginge
und zudem eine Abfallbewegung in Siebenbürgen günstigen Boden fände, wäre
damit gewiß ein Dritten der österreichisch - ungarischen Armee für jede sonstige
Kriegsoperation einfach ausgeschaltet. Der Plan ist also recht schön ausgeheckt!
Rußland verschenkt allerdings hier das siebenbürgische Bärenfell, bevor es den
Bären selbst zur Strecke gebracht hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/334>, abgerufen am 28.07.2024.