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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Österreich-Ungarn -- Rumänien -- Rußland

die leitenden Staatsmänner den großen Aufgaben gewachsen sein werden, die
ihnen die Zeit nach dem Krieg stellen wird.

Solches Schauspiel hat diese Monarchie, seit sie besteht, noch niemals
erlebt. Vor dem Krieg die Gegensätze zwischen den Völkern hüben und drüben
aufs schärfste zugespitzt, alle Vermittlungs- und Versöhnungsversuche ohne die
geringste Aussicht auf Erfolg, -- und nun mit einem Male, da der Schlacht¬
ruf zu des Kaisers Fahnen ruft, eine einzige Stimme der Begeisterung, die
jedes Volkes Seele durchzittert, und alle Fehde ist vergessen, die eben noch alle
gegen alle ins Feld rief und das Reich schier mit innerem Zusammenbruch bedrohte.
Ich habe einige Tage vor Ausbruch des Krieges Südungarn bis an die serbische
Grenze bereist und konnte dort sehen, wie nach der Ermordung Franz Ferdinands
alles bis aufs äußerste zugespitzt war.

Was bewirkte nun dies Wunder völliger Wandlung? Die Erklärung
liegt auf der Hand. Im Kampf gegen den äußeren Feind entdeckte man den
Wert des bedrohten Vaterlandes, in dem man endlich wieder, nach langem
vergeblichen Suchen in Friedenszeiten, die Kraft des einigenden Gedankens
fand. Die k. u. k. Armee, deren deutsche Kommandosprache von so vielen Seiten
jahrzehntelang aufs hartnäckigste bekämpft worden war, stellt doch das voll¬
kommenste Sinnbild aller in ein Kraftzentrum straff zusammengefaßten Bürger
dar. Es ist ja eigentlich derselbe Vorgang, den wir hier "im Reich" mit Stolz
und Freude beobachten konnten an dem hermetischen Zusammenschluß aller
Parteien unter dem bejubelten Losungswort des Kaisers: "Ich kenne von diesem
Augenblick an keine Parteien, ich kenne nur deutsche Bruder!" Was hier das
elementar erwachte Nationalgefühl und die deutsche Zucht als eigenstes Lebens¬
prinzip dieses Volkes dem atemlos aufhorchenden Ausland zeigte, das schuf
dort in der Stunde allgemeiner innerer und äußerer Not der Zauber der
einzigen Macht im Staate, daran noch alle Völker gleichen Teil haben und in
der sie sich mit geschichtlicher Notwendigkeit zu einem untrennbaren Ganzen
zusammengeschweißt sehen: das Heer des Kaisers und Königs.

Es wird mir immer unvergeßlich bleiben, wie ich am ersten Tag der
österreichischen Mobilisierung in Oderberg die Soldaten im Militärzug singen
hörte: "Prinz Engen, der edle Ritter!" Deutsche und Tschechen und Polen
taten es mit der gleichen Inbrunst; und die meisten von ihnen fuhren nicht
etwa nach Temesvar oder Semlin, sondern -- nach Krakau. Unbewußt sprach
daraus tiefinnerstes historisches Gefühl, das diese Burschen instinktiv in jene
Zeiten zurückführte, wo Österreich in einem Lager stand und zu gemeinsamem
Schlag ausholte. Auch den Deutschen begleitet ja die "Wacht am Rhein" ins
Feld, ob er nach West oder nach Ost gegen den Feind zieht. Ist doch heute
gerade die "Wacht am Rhein" und "Heil dir im Siegerkranz" in der ungarischen
Hauptstadt genau so zu Hause, wie das "Gott erhalte", einst als "Henkers¬
hymne" ausgepfiffen, und "Deutschland über alles", der Geschwistertext zur
selben Melodie.


Österreich-Ungarn — Rumänien — Rußland

die leitenden Staatsmänner den großen Aufgaben gewachsen sein werden, die
ihnen die Zeit nach dem Krieg stellen wird.

Solches Schauspiel hat diese Monarchie, seit sie besteht, noch niemals
erlebt. Vor dem Krieg die Gegensätze zwischen den Völkern hüben und drüben
aufs schärfste zugespitzt, alle Vermittlungs- und Versöhnungsversuche ohne die
geringste Aussicht auf Erfolg, — und nun mit einem Male, da der Schlacht¬
ruf zu des Kaisers Fahnen ruft, eine einzige Stimme der Begeisterung, die
jedes Volkes Seele durchzittert, und alle Fehde ist vergessen, die eben noch alle
gegen alle ins Feld rief und das Reich schier mit innerem Zusammenbruch bedrohte.
Ich habe einige Tage vor Ausbruch des Krieges Südungarn bis an die serbische
Grenze bereist und konnte dort sehen, wie nach der Ermordung Franz Ferdinands
alles bis aufs äußerste zugespitzt war.

Was bewirkte nun dies Wunder völliger Wandlung? Die Erklärung
liegt auf der Hand. Im Kampf gegen den äußeren Feind entdeckte man den
Wert des bedrohten Vaterlandes, in dem man endlich wieder, nach langem
vergeblichen Suchen in Friedenszeiten, die Kraft des einigenden Gedankens
fand. Die k. u. k. Armee, deren deutsche Kommandosprache von so vielen Seiten
jahrzehntelang aufs hartnäckigste bekämpft worden war, stellt doch das voll¬
kommenste Sinnbild aller in ein Kraftzentrum straff zusammengefaßten Bürger
dar. Es ist ja eigentlich derselbe Vorgang, den wir hier „im Reich" mit Stolz
und Freude beobachten konnten an dem hermetischen Zusammenschluß aller
Parteien unter dem bejubelten Losungswort des Kaisers: „Ich kenne von diesem
Augenblick an keine Parteien, ich kenne nur deutsche Bruder!" Was hier das
elementar erwachte Nationalgefühl und die deutsche Zucht als eigenstes Lebens¬
prinzip dieses Volkes dem atemlos aufhorchenden Ausland zeigte, das schuf
dort in der Stunde allgemeiner innerer und äußerer Not der Zauber der
einzigen Macht im Staate, daran noch alle Völker gleichen Teil haben und in
der sie sich mit geschichtlicher Notwendigkeit zu einem untrennbaren Ganzen
zusammengeschweißt sehen: das Heer des Kaisers und Königs.

Es wird mir immer unvergeßlich bleiben, wie ich am ersten Tag der
österreichischen Mobilisierung in Oderberg die Soldaten im Militärzug singen
hörte: „Prinz Engen, der edle Ritter!" Deutsche und Tschechen und Polen
taten es mit der gleichen Inbrunst; und die meisten von ihnen fuhren nicht
etwa nach Temesvar oder Semlin, sondern — nach Krakau. Unbewußt sprach
daraus tiefinnerstes historisches Gefühl, das diese Burschen instinktiv in jene
Zeiten zurückführte, wo Österreich in einem Lager stand und zu gemeinsamem
Schlag ausholte. Auch den Deutschen begleitet ja die „Wacht am Rhein" ins
Feld, ob er nach West oder nach Ost gegen den Feind zieht. Ist doch heute
gerade die „Wacht am Rhein" und „Heil dir im Siegerkranz" in der ungarischen
Hauptstadt genau so zu Hause, wie das „Gott erhalte", einst als „Henkers¬
hymne" ausgepfiffen, und „Deutschland über alles", der Geschwistertext zur
selben Melodie.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/330>, abgerufen am 27.07.2024.