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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Leipzigers aus England während des Krieges <8?o/?^

Stützung von Paris 40000 Pfund gesammelt worden. Das religiöse England
mit seinem streng gehaltenen Sonntag widert einen oft an, denn da ist viel
Scheinheiligkeit dabei; jedoch man kaun es nicht unterlassen, die Opferfreudigkeit
zu bewundern, die besonders die begüterte Klasse hier für die Mildtätigkeit an
den Tag legt. Wie viele Engländer und eben auch Damen haben ihre gemäch¬
lichen Wohnsitze verlassen und unternehmen mit harter Arbeit und vielen Ent¬
sagungen die Versorgung der Notleidenden in Frankreich. Wäre der Krieg in
Deutschland ausgefochten worden, wäre dasselbe Tun ans deutschem Boden....

Kidderminster, 12. März 1871

Es ist mir lieb, die gute Nachricht zu erhalten, daß Otto am Leben ist.
Die Sachsen haben brav gekämpft. Ich will hier die Bemerkungen übersetzen,
die der englische Korrespondent der Daily News im Hauptquartier des Kron¬
prinzen von Sachsen gemacht hatte, als er Zeuge der Revue der sächsischen und
württembergischen Truppen vor Kaiser Wilhelm war. Dieser Korrespondent
muß ein lieber Mann sein; seine Briefe sind alle in sächsischen Zeitungen über¬
setzt worden, und seine Schreibweise hat die Leute so eingenommen, daß Eltern
eingezogener junger Leute an ihn aus Sachsen geschrieben haben mit der Bitte,
ihnen möglichst Nachricht von ihren Söhnen zu geben. Er schreibt, als Kaiser
Wilhelm die Revue auf dem Schlachtfeld am 2. Dezember abnahm: "Kaiser,
überall fällt Dein Blick auf Gräber braver Männer, die für Dich und ihr
Vaterland starben I Ich erinnere mich, wie so mancher meiner tapferen Freunde
fiel, und ehrfurchtsvoll zog ich meinen Hut. als ich die Grabsenkungen sah, die
ihnen als Gräber dienen mußten. Dort, wo ich stehe, kann ich manche der
Grabhügel, die sich aus der Niederung erheben, sehen. Ich stehe an dem
Platze, wo ich den letzten Händedruck mit zwei blutjungen sächsischen Leutnants
des 106. Regiments wechselte, als es zum Angriff ausmarschierte. Als es
zurückkam, waren die jungen Leute geblieben und bedurften nichts weiter als
ein Grab, ein Denkmal braver Sachsen! Sicherlich wachsen die Lorbeeren
über ihren Totenschädeln, denn sie werden reichlich benetzt sein, benetzt durch
die reichlichen Tränen von Frauen in den friedlichen Dörfern der sächsischen
Schweiz, benetzt durch die Tränen einer verlassenen Mutter, die Nachrichten von
ihrem Jungen erwartet, der blaue Augen und flachsenes Haar hat und einen
grünen Steinring an einem Finger seiner rechten Hand trug.--Reichlich
fließen werden aber auch die Tränen einer Mutter in Kamenz, deren einer
Sohn von hier aus gerechnet ungefähr 200 Aards näher nach Brie zu liegt,
jährend der andere nun inzwischen wohl begonnen haben mag, auf einem
Beine und einer Krücke im Lazarett herum zu humpeln.--Ja, diese Grab¬
hügel sind Denkmäler und Marksteine eines schweren Verlustes, aber auch Zeug¬
nisse einer großen Tapferkeit. Dort liegt Brie unter uns, von einem einzigen
Regiment stundenlang gegen eine ganze Armee gehalten. Links liegt Champigny
für dessen Behauptung und Wiedereroberung die Württemberger ihr Blut in


Briefe eines Leipzigers aus England während des Krieges <8?o/?^

Stützung von Paris 40000 Pfund gesammelt worden. Das religiöse England
mit seinem streng gehaltenen Sonntag widert einen oft an, denn da ist viel
Scheinheiligkeit dabei; jedoch man kaun es nicht unterlassen, die Opferfreudigkeit
zu bewundern, die besonders die begüterte Klasse hier für die Mildtätigkeit an
den Tag legt. Wie viele Engländer und eben auch Damen haben ihre gemäch¬
lichen Wohnsitze verlassen und unternehmen mit harter Arbeit und vielen Ent¬
sagungen die Versorgung der Notleidenden in Frankreich. Wäre der Krieg in
Deutschland ausgefochten worden, wäre dasselbe Tun ans deutschem Boden....

Kidderminster, 12. März 1871

Es ist mir lieb, die gute Nachricht zu erhalten, daß Otto am Leben ist.
Die Sachsen haben brav gekämpft. Ich will hier die Bemerkungen übersetzen,
die der englische Korrespondent der Daily News im Hauptquartier des Kron¬
prinzen von Sachsen gemacht hatte, als er Zeuge der Revue der sächsischen und
württembergischen Truppen vor Kaiser Wilhelm war. Dieser Korrespondent
muß ein lieber Mann sein; seine Briefe sind alle in sächsischen Zeitungen über¬
setzt worden, und seine Schreibweise hat die Leute so eingenommen, daß Eltern
eingezogener junger Leute an ihn aus Sachsen geschrieben haben mit der Bitte,
ihnen möglichst Nachricht von ihren Söhnen zu geben. Er schreibt, als Kaiser
Wilhelm die Revue auf dem Schlachtfeld am 2. Dezember abnahm: „Kaiser,
überall fällt Dein Blick auf Gräber braver Männer, die für Dich und ihr
Vaterland starben I Ich erinnere mich, wie so mancher meiner tapferen Freunde
fiel, und ehrfurchtsvoll zog ich meinen Hut. als ich die Grabsenkungen sah, die
ihnen als Gräber dienen mußten. Dort, wo ich stehe, kann ich manche der
Grabhügel, die sich aus der Niederung erheben, sehen. Ich stehe an dem
Platze, wo ich den letzten Händedruck mit zwei blutjungen sächsischen Leutnants
des 106. Regiments wechselte, als es zum Angriff ausmarschierte. Als es
zurückkam, waren die jungen Leute geblieben und bedurften nichts weiter als
ein Grab, ein Denkmal braver Sachsen! Sicherlich wachsen die Lorbeeren
über ihren Totenschädeln, denn sie werden reichlich benetzt sein, benetzt durch
die reichlichen Tränen von Frauen in den friedlichen Dörfern der sächsischen
Schweiz, benetzt durch die Tränen einer verlassenen Mutter, die Nachrichten von
ihrem Jungen erwartet, der blaue Augen und flachsenes Haar hat und einen
grünen Steinring an einem Finger seiner rechten Hand trug.--Reichlich
fließen werden aber auch die Tränen einer Mutter in Kamenz, deren einer
Sohn von hier aus gerechnet ungefähr 200 Aards näher nach Brie zu liegt,
jährend der andere nun inzwischen wohl begonnen haben mag, auf einem
Beine und einer Krücke im Lazarett herum zu humpeln.--Ja, diese Grab¬
hügel sind Denkmäler und Marksteine eines schweren Verlustes, aber auch Zeug¬
nisse einer großen Tapferkeit. Dort liegt Brie unter uns, von einem einzigen
Regiment stundenlang gegen eine ganze Armee gehalten. Links liegt Champigny
für dessen Behauptung und Wiedereroberung die Württemberger ihr Blut in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/297>, abgerufen am 01.09.2024.