Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris die "LoLlöte- nich ^mi8 c!e I'art rü8tique"; in ihr will man die volkstümliche Folkloristen wie Beaurepaire - Fromme, der Herausgeber der "Ksvue 6u Aber auch aus dem Studium des Vergangenen kann sich kein neues Leben Es ist nicht zu leugnen, daß die Provinz schon früher bewußt oder un¬ Heute wird der Begriff der Dezentralisation teilweise noch etwas enger Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris die „LoLlöte- nich ^mi8 c!e I'art rü8tique"; in ihr will man die volkstümliche Folkloristen wie Beaurepaire - Fromme, der Herausgeber der „Ksvue 6u Aber auch aus dem Studium des Vergangenen kann sich kein neues Leben Es ist nicht zu leugnen, daß die Provinz schon früher bewußt oder un¬ Heute wird der Begriff der Dezentralisation teilweise noch etwas enger <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328762"/> <fw type="header" place="top"> Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris</fw><lb/> <p xml:id="ID_47" prev="#ID_46"> die „LoLlöte- nich ^mi8 c!e I'art rü8tique"; in ihr will man die volkstümliche<lb/> Kunst ans Licht ziehen, die Überlieferung völkischer Sitten und Gebräuche fest¬<lb/> halten. Monographien einzelner Landschaften nehmen von Jahr zu Jahr zu.<lb/> Ortsgruppen bemühen sich allenthalben, besonders in der Provence, um die<lb/> Erhaltung und Verbreitung der Dialekte, Herausgabe von Kalendern in<lb/> Platt usw. Literarische Gesellschaften suchen die Provence, die Bretagne oder<lb/> Flandern in Büchern, Reden, Liedern, Zeitschriften, wiedererweckten Volksfesten<lb/> zur Geltung zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_48"> Folkloristen wie Beaurepaire - Fromme, der Herausgeber der „Ksvue 6u<lb/> 1'racjiti()uni3me", sammeln Volkslieder und Sagen und bemühen sich, alte<lb/> Trachten und Gebräuche vor dem Verschwinden zu bewahren. Provinzmuseen<lb/> als Spiegelbild einzelner Stämme werden gefordert und versucht; man denkt<lb/> dabei an das „Nuseo arlalan", das Mistral für die Provence geschaffen und<lb/> fast eigenhändig zusammengestellt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_49"> Aber auch aus dem Studium des Vergangenen kann sich kein neues Leben<lb/> aufbauen. Historisch - philologisches Sammeln vermag im günstigsten Falle nur<lb/> eine totgeborene, künstliche Heimatkunst hervorzubringen. Wohl hat Mistral in<lb/> seiner Liebe für die Kleinigkeiten des provenzalischen Lebens, in seiner Gabe,<lb/> alle, auch die geringsten Dinge seiner Heimat auf sich wirken zu lassen, die<lb/> Kraft gefunden, die Provence poetisch zu gestalten und im Mireio ein ewiges<lb/> Symbol seines Landes zu geben. Aber nicht diese Dinge haben Mistral zum<lb/> Dichter gemacht, sondern die provenzalische Seele hat in ihm ihren Vollender<lb/> und Former gefunden. Und damit kommen wir auf den Kernpunkt der ganzen<lb/> Frage: der Geist der Gleichmacherei, der Geist angemaßter geistiger Autorität<lb/> ist nicht mit Ortsgruppen und Museen zu vertreiben, sondern nur mit dem<lb/> Geist der Persönlichkeit. Die wahre Dezentralisation wird also ihre Aufgabe<lb/> nicht äußerlich, rein geographisch nehmen müssen, sondern wird nach psychischen<lb/> Eigenheiten und Gegensätzen, nach „Nuancen der französischen Rassenseele"<lb/> (Barros) suchen, um auf diesem Wege neues, vielgestaltiges Leben zu erwecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_50"> Es ist nicht zu leugnen, daß die Provinz schon früher bewußt oder un¬<lb/> bewußt in Gegensatz zu Paris gestellt worden ist. George Sand schrieb ihre<lb/> Dorfromane in der ausgesprochenen Absicht, ländliche Unschuld den Parisern<lb/> als Muster hinzustellen. Balzac, dessen Romane fast wie Musterbeispiele zu der<lb/> Theorie Taines erscheinen, läßt Provinztypen vor unseren Augen aus ihrem<lb/> Milieu hervorgehen. Daudet malt den Südfranzosen mit seinen liebenswürdigen<lb/> Schwächen. Sie haben alle an der Dezentralisation mitgearbeitet, wenn sie der<lb/> Welt außerhalb der Mauern von Paris Stimmungen ablauschten und ihr in<lb/> einer künstlerischen Form ein Symbol schufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_51" next="#ID_52"> Heute wird der Begriff der Dezentralisation teilweise noch etwas enger<lb/> gefaßt, und zwar von einer Bewegung, die sich nach Analogie der gleichartigen<lb/> politischen und wirtschaftlichen Bestrebungen regionalistisch nennt. So fordern<lb/> z. B. die Lehrer in der Provence eine „regionalistische Erziehung", d. h. einen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris
die „LoLlöte- nich ^mi8 c!e I'art rü8tique"; in ihr will man die volkstümliche
Kunst ans Licht ziehen, die Überlieferung völkischer Sitten und Gebräuche fest¬
halten. Monographien einzelner Landschaften nehmen von Jahr zu Jahr zu.
Ortsgruppen bemühen sich allenthalben, besonders in der Provence, um die
Erhaltung und Verbreitung der Dialekte, Herausgabe von Kalendern in
Platt usw. Literarische Gesellschaften suchen die Provence, die Bretagne oder
Flandern in Büchern, Reden, Liedern, Zeitschriften, wiedererweckten Volksfesten
zur Geltung zu bringen.
Folkloristen wie Beaurepaire - Fromme, der Herausgeber der „Ksvue 6u
1'racjiti()uni3me", sammeln Volkslieder und Sagen und bemühen sich, alte
Trachten und Gebräuche vor dem Verschwinden zu bewahren. Provinzmuseen
als Spiegelbild einzelner Stämme werden gefordert und versucht; man denkt
dabei an das „Nuseo arlalan", das Mistral für die Provence geschaffen und
fast eigenhändig zusammengestellt hat.
Aber auch aus dem Studium des Vergangenen kann sich kein neues Leben
aufbauen. Historisch - philologisches Sammeln vermag im günstigsten Falle nur
eine totgeborene, künstliche Heimatkunst hervorzubringen. Wohl hat Mistral in
seiner Liebe für die Kleinigkeiten des provenzalischen Lebens, in seiner Gabe,
alle, auch die geringsten Dinge seiner Heimat auf sich wirken zu lassen, die
Kraft gefunden, die Provence poetisch zu gestalten und im Mireio ein ewiges
Symbol seines Landes zu geben. Aber nicht diese Dinge haben Mistral zum
Dichter gemacht, sondern die provenzalische Seele hat in ihm ihren Vollender
und Former gefunden. Und damit kommen wir auf den Kernpunkt der ganzen
Frage: der Geist der Gleichmacherei, der Geist angemaßter geistiger Autorität
ist nicht mit Ortsgruppen und Museen zu vertreiben, sondern nur mit dem
Geist der Persönlichkeit. Die wahre Dezentralisation wird also ihre Aufgabe
nicht äußerlich, rein geographisch nehmen müssen, sondern wird nach psychischen
Eigenheiten und Gegensätzen, nach „Nuancen der französischen Rassenseele"
(Barros) suchen, um auf diesem Wege neues, vielgestaltiges Leben zu erwecken.
Es ist nicht zu leugnen, daß die Provinz schon früher bewußt oder un¬
bewußt in Gegensatz zu Paris gestellt worden ist. George Sand schrieb ihre
Dorfromane in der ausgesprochenen Absicht, ländliche Unschuld den Parisern
als Muster hinzustellen. Balzac, dessen Romane fast wie Musterbeispiele zu der
Theorie Taines erscheinen, läßt Provinztypen vor unseren Augen aus ihrem
Milieu hervorgehen. Daudet malt den Südfranzosen mit seinen liebenswürdigen
Schwächen. Sie haben alle an der Dezentralisation mitgearbeitet, wenn sie der
Welt außerhalb der Mauern von Paris Stimmungen ablauschten und ihr in
einer künstlerischen Form ein Symbol schufen.
Heute wird der Begriff der Dezentralisation teilweise noch etwas enger
gefaßt, und zwar von einer Bewegung, die sich nach Analogie der gleichartigen
politischen und wirtschaftlichen Bestrebungen regionalistisch nennt. So fordern
z. B. die Lehrer in der Provence eine „regionalistische Erziehung", d. h. einen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |