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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

Man findet im russischen Offizierkorps zwar in einzelnen eine bedeutende
wissenschaftliche Bildung, die in der Masse aber scharf mit Roheit und grober
Unwissenheit wechselt. Unter den höheren Offizieren und den Offizieren der
Stäbe findet man wohl das Wissen des zivilisierten Europas mit der geselligen
Haltung der Franzosen vereinigt, während in der Masse von dem allen nicht
die Spur zu finden ist und der Offizier oft von dem gemeinen Mann nur
wenig anders als durch die Uniform unterschieden ist. wobei jedoch nicht über¬
sehen werden darf, daß hier, wo die eigentliche russische Natur vorwaltet, auch
die ganze Tüchtigkeit und Gutmütigkeit des Russen geblieben ist, während dort
Verderbtheit der Sitten, Unredlichkeit, Arroganz und vor allem ein Geist der
Intrige zutage tritt, der den russischen Offizier da, wo er durch die Umstünde
nicht gezwungen ist, die angebildete äußere Haltung zu beachten, nichts weniger
als liebenswürdig erscheinen läßt.

Obgleich außer Dienst das Rangverhältnis in den Offizierkorps weniger
beachtet wird als durchschnittlich im preußischen Heere, so herrscht doch auf der
anderen Seite wieder eine Rücksichtslosigkeit des Vorgesetzten gegen den Unter¬
gebenen, die grenzenlos ist und dem preußischen Offizier unerträglich erscheint....
Was beweist solche Rücksichtslosigkeit gegen Männer, die eine gleiche Uniform
tragen? Von feiten der höheren Offiziere das Anerkenntnis der Gemeinheit der
Gesinnung in ihren Uniergebenen und zugleich das Vorhandensein einer Roheit,
die nur durch die Furcht abgehalten wird, überall die aufgetragene Tünche zu
durchbrechen, um zutage zu treten.

Was kann man ferner von dem Geiste der Offizierkorps erwarten, wo
Gesetze bestehen, welche gestatten, daß jeder Offizier zum Gemeinen degradiert
werden kann, daß Generale und Obersten vor der Front fortgejagt und in die
Hauptwache geschickt werden können, wo jeder Gemeine den höheren Offizier
mit Fug und Recht für einen Betrüger halten muß, der von seiner Armut
zehrt? . . . Wer das Leben des russischen Subalternoffiziers der Linie in der
Nähe betrachtet und den jämmerlichen Zustand kennen gelernt hat, in dem
diese Unglücklichen meist ihr Leben verbringen, wer das Leben des russischen
Soldaten gründlich beobachtet hat und durchaus nichts findet, was demselben
nur einigen Reiz erteilen könnte, der wird von vornherein schließen, daß beide
Teile, Offiziere und Gemeine, mit Sehnsucht . auf einen Krieg harren müssen,
der sie momentan durch seine Wechselfälle, oder für immer durch seine Wunden
von solchem Zustande befreit. . . .

"Der gemeine Russe, der Liuienoffizier, liebt den Preußen und die
Verbindung mit Preußen ganz ehrlich; die übrigen Offiziere, mit geringen
Ausnahmen, folgen nur der Neigung des Kaisers, weil sie müssen, zögen
aber lieber bereits heute als morgen den Degen gegen ihre eigenen Ver¬
bündeten."

Entsprechend bemerkt denn auch Schiemann: "Es war keineswegs eine
Annäherung, die sich hier vollzog, vielmehr datiert von Kalisch eine Ent-


Die russische Armee als Gegner

Man findet im russischen Offizierkorps zwar in einzelnen eine bedeutende
wissenschaftliche Bildung, die in der Masse aber scharf mit Roheit und grober
Unwissenheit wechselt. Unter den höheren Offizieren und den Offizieren der
Stäbe findet man wohl das Wissen des zivilisierten Europas mit der geselligen
Haltung der Franzosen vereinigt, während in der Masse von dem allen nicht
die Spur zu finden ist und der Offizier oft von dem gemeinen Mann nur
wenig anders als durch die Uniform unterschieden ist. wobei jedoch nicht über¬
sehen werden darf, daß hier, wo die eigentliche russische Natur vorwaltet, auch
die ganze Tüchtigkeit und Gutmütigkeit des Russen geblieben ist, während dort
Verderbtheit der Sitten, Unredlichkeit, Arroganz und vor allem ein Geist der
Intrige zutage tritt, der den russischen Offizier da, wo er durch die Umstünde
nicht gezwungen ist, die angebildete äußere Haltung zu beachten, nichts weniger
als liebenswürdig erscheinen läßt.

Obgleich außer Dienst das Rangverhältnis in den Offizierkorps weniger
beachtet wird als durchschnittlich im preußischen Heere, so herrscht doch auf der
anderen Seite wieder eine Rücksichtslosigkeit des Vorgesetzten gegen den Unter¬
gebenen, die grenzenlos ist und dem preußischen Offizier unerträglich erscheint....
Was beweist solche Rücksichtslosigkeit gegen Männer, die eine gleiche Uniform
tragen? Von feiten der höheren Offiziere das Anerkenntnis der Gemeinheit der
Gesinnung in ihren Uniergebenen und zugleich das Vorhandensein einer Roheit,
die nur durch die Furcht abgehalten wird, überall die aufgetragene Tünche zu
durchbrechen, um zutage zu treten.

Was kann man ferner von dem Geiste der Offizierkorps erwarten, wo
Gesetze bestehen, welche gestatten, daß jeder Offizier zum Gemeinen degradiert
werden kann, daß Generale und Obersten vor der Front fortgejagt und in die
Hauptwache geschickt werden können, wo jeder Gemeine den höheren Offizier
mit Fug und Recht für einen Betrüger halten muß, der von seiner Armut
zehrt? . . . Wer das Leben des russischen Subalternoffiziers der Linie in der
Nähe betrachtet und den jämmerlichen Zustand kennen gelernt hat, in dem
diese Unglücklichen meist ihr Leben verbringen, wer das Leben des russischen
Soldaten gründlich beobachtet hat und durchaus nichts findet, was demselben
nur einigen Reiz erteilen könnte, der wird von vornherein schließen, daß beide
Teile, Offiziere und Gemeine, mit Sehnsucht . auf einen Krieg harren müssen,
der sie momentan durch seine Wechselfälle, oder für immer durch seine Wunden
von solchem Zustande befreit. . . .

„Der gemeine Russe, der Liuienoffizier, liebt den Preußen und die
Verbindung mit Preußen ganz ehrlich; die übrigen Offiziere, mit geringen
Ausnahmen, folgen nur der Neigung des Kaisers, weil sie müssen, zögen
aber lieber bereits heute als morgen den Degen gegen ihre eigenen Ver¬
bündeten."

Entsprechend bemerkt denn auch Schiemann: „Es war keineswegs eine
Annäherung, die sich hier vollzog, vielmehr datiert von Kalisch eine Ent-


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[0266] Die russische Armee als Gegner Man findet im russischen Offizierkorps zwar in einzelnen eine bedeutende wissenschaftliche Bildung, die in der Masse aber scharf mit Roheit und grober Unwissenheit wechselt. Unter den höheren Offizieren und den Offizieren der Stäbe findet man wohl das Wissen des zivilisierten Europas mit der geselligen Haltung der Franzosen vereinigt, während in der Masse von dem allen nicht die Spur zu finden ist und der Offizier oft von dem gemeinen Mann nur wenig anders als durch die Uniform unterschieden ist. wobei jedoch nicht über¬ sehen werden darf, daß hier, wo die eigentliche russische Natur vorwaltet, auch die ganze Tüchtigkeit und Gutmütigkeit des Russen geblieben ist, während dort Verderbtheit der Sitten, Unredlichkeit, Arroganz und vor allem ein Geist der Intrige zutage tritt, der den russischen Offizier da, wo er durch die Umstünde nicht gezwungen ist, die angebildete äußere Haltung zu beachten, nichts weniger als liebenswürdig erscheinen läßt. Obgleich außer Dienst das Rangverhältnis in den Offizierkorps weniger beachtet wird als durchschnittlich im preußischen Heere, so herrscht doch auf der anderen Seite wieder eine Rücksichtslosigkeit des Vorgesetzten gegen den Unter¬ gebenen, die grenzenlos ist und dem preußischen Offizier unerträglich erscheint.... Was beweist solche Rücksichtslosigkeit gegen Männer, die eine gleiche Uniform tragen? Von feiten der höheren Offiziere das Anerkenntnis der Gemeinheit der Gesinnung in ihren Uniergebenen und zugleich das Vorhandensein einer Roheit, die nur durch die Furcht abgehalten wird, überall die aufgetragene Tünche zu durchbrechen, um zutage zu treten. Was kann man ferner von dem Geiste der Offizierkorps erwarten, wo Gesetze bestehen, welche gestatten, daß jeder Offizier zum Gemeinen degradiert werden kann, daß Generale und Obersten vor der Front fortgejagt und in die Hauptwache geschickt werden können, wo jeder Gemeine den höheren Offizier mit Fug und Recht für einen Betrüger halten muß, der von seiner Armut zehrt? . . . Wer das Leben des russischen Subalternoffiziers der Linie in der Nähe betrachtet und den jämmerlichen Zustand kennen gelernt hat, in dem diese Unglücklichen meist ihr Leben verbringen, wer das Leben des russischen Soldaten gründlich beobachtet hat und durchaus nichts findet, was demselben nur einigen Reiz erteilen könnte, der wird von vornherein schließen, daß beide Teile, Offiziere und Gemeine, mit Sehnsucht . auf einen Krieg harren müssen, der sie momentan durch seine Wechselfälle, oder für immer durch seine Wunden von solchem Zustande befreit. . . . „Der gemeine Russe, der Liuienoffizier, liebt den Preußen und die Verbindung mit Preußen ganz ehrlich; die übrigen Offiziere, mit geringen Ausnahmen, folgen nur der Neigung des Kaisers, weil sie müssen, zögen aber lieber bereits heute als morgen den Degen gegen ihre eigenen Ver¬ bündeten." Entsprechend bemerkt denn auch Schiemann: „Es war keineswegs eine Annäherung, die sich hier vollzog, vielmehr datiert von Kalisch eine Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/266>, abgerufen am 01.09.2024.