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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und Italien

Schutzes taten noch einmal die Chassevots bei Mendana Wunder, und erst nach
Sedan gab der Abzug der französischen Besatzung Roms den Italienern den
Weg zur Krönung ihrer Einheit frei.

Die dritte Republik konnte die Einheit Italiens nicht mehr hindern. Die
war nun Tatsache. Die alte Politik Frankreichs, die nach der ^etiori
5ran?3ise seit dem Mittelalter gegen eine Erstarkung Italiens gerichtet war.
setzte sie aber fort. Das geeinte Italien mußte, nachdem es einigermaßen
im Innern gekräftigt war, seine Blicke auf die südliche Küste des Mittel-
meeres richten. Da kam ihm 1882 die französische Republik in Fortsetzung der
Politik Karls des Zehnten und Ludwig Philipps durch die Besetzung von Tunis
zuvor. Eine Ausbreitung Italiens am Nordrande Afrikas sollte verhindert
werden. Soweit war man konsequent. Italien mußte vorläufig zurückweichen
und am Roten Meere suchen, was es am Mittelländischen nicht finden konnte.
Seine geringen Erfolge bei seinen dortigen Unternehmungen und seine Nieder¬
lage gegenüber den Abessiniern verführten dann die französischen Staatsmänner
zu einer Unterschätzung der italienischen Leistungsfähigkeit. Diese Unterschätzung
und die blinde Gegnerschaft gegen Deutschland trübte ihnen den Blick und
ließen sie die Inkonsequenz begehen, den Italienern, um sie vorn Dreibund ab¬
zuziehen, und um Deutschland in den Marokkohändeln ihrer Unterstützung zu
berauben, freie Hand in Tripolis zu lassen. Das war derselbe Fehler wie der
Napoleons des Dritten im Jahre 1859. Mit der italienischen Besetzung von
Libzens erhielt man einen sehr viel gefährlicheren Nachbar im Mittelmeer, als
es Deutschland am Atlantischen Ozean in Südmarokko je gewesen wäre. Und
man merkte ja auch bald diesen Fehler. Ein Savonen und Nizza als Kom¬
pensation zu verlangen, war diesmal nicht mehr möglich. Aber mit der größten
Eile und Energie ging man daran, den unbequemen Nachbarn wenigstens den
Weg nach Süden zu verlegen. Die Oasen im Süden von Fessan, Borku und
Tibesti wurden schleunigst besetzt. Der wirtschaftliche Wert dieser Gebiete ist
gering, die Verbindung mit den französischen Kolonien von Westafrika sehr
schwierig, aber man mußte den etwaigen Ansprüchen zuvorkommen, die Italien
auf die Rechtsnachfolge der Türken, die ebenfalls Ansprüche auf Borku erhoben,
gründen konnte. Inzwischen ist diese Gegnerschaft in ein neues Stadium ge¬
treten. Italien hat von England die Erklärung erhalten, daß die Oasen von
Knfra als in die italienische Sphäre fallend anerkannt werden. Damit wird
Borku und Tibesti auch von Nordosten von italienischem Territorium umfaßt.
In Frankreich hat man infolgedessen den Plan gefaßt, dies gefährdete Gebiet
zu einer besonderen Kolonie, unter einem eigenen Generalgouvemeur zu er¬
heben, während es bisher dem Generalgouvemeur von Französisch > Äquatorial-
Afrika unterstand. Die Schaffung einer selbständigen Kolonie mitten in
der Wüste hat nur einen Sinn, wenn man sie als eine strategische Position
betrachtet, die den Widerstand gegen ein etwaiges italienisches Vorrücken zum
Tschad organisieren soll. Auf die Dauer wird diese Position allerdings wohl


Frankreich und Italien

Schutzes taten noch einmal die Chassevots bei Mendana Wunder, und erst nach
Sedan gab der Abzug der französischen Besatzung Roms den Italienern den
Weg zur Krönung ihrer Einheit frei.

Die dritte Republik konnte die Einheit Italiens nicht mehr hindern. Die
war nun Tatsache. Die alte Politik Frankreichs, die nach der ^etiori
5ran?3ise seit dem Mittelalter gegen eine Erstarkung Italiens gerichtet war.
setzte sie aber fort. Das geeinte Italien mußte, nachdem es einigermaßen
im Innern gekräftigt war, seine Blicke auf die südliche Küste des Mittel-
meeres richten. Da kam ihm 1882 die französische Republik in Fortsetzung der
Politik Karls des Zehnten und Ludwig Philipps durch die Besetzung von Tunis
zuvor. Eine Ausbreitung Italiens am Nordrande Afrikas sollte verhindert
werden. Soweit war man konsequent. Italien mußte vorläufig zurückweichen
und am Roten Meere suchen, was es am Mittelländischen nicht finden konnte.
Seine geringen Erfolge bei seinen dortigen Unternehmungen und seine Nieder¬
lage gegenüber den Abessiniern verführten dann die französischen Staatsmänner
zu einer Unterschätzung der italienischen Leistungsfähigkeit. Diese Unterschätzung
und die blinde Gegnerschaft gegen Deutschland trübte ihnen den Blick und
ließen sie die Inkonsequenz begehen, den Italienern, um sie vorn Dreibund ab¬
zuziehen, und um Deutschland in den Marokkohändeln ihrer Unterstützung zu
berauben, freie Hand in Tripolis zu lassen. Das war derselbe Fehler wie der
Napoleons des Dritten im Jahre 1859. Mit der italienischen Besetzung von
Libzens erhielt man einen sehr viel gefährlicheren Nachbar im Mittelmeer, als
es Deutschland am Atlantischen Ozean in Südmarokko je gewesen wäre. Und
man merkte ja auch bald diesen Fehler. Ein Savonen und Nizza als Kom¬
pensation zu verlangen, war diesmal nicht mehr möglich. Aber mit der größten
Eile und Energie ging man daran, den unbequemen Nachbarn wenigstens den
Weg nach Süden zu verlegen. Die Oasen im Süden von Fessan, Borku und
Tibesti wurden schleunigst besetzt. Der wirtschaftliche Wert dieser Gebiete ist
gering, die Verbindung mit den französischen Kolonien von Westafrika sehr
schwierig, aber man mußte den etwaigen Ansprüchen zuvorkommen, die Italien
auf die Rechtsnachfolge der Türken, die ebenfalls Ansprüche auf Borku erhoben,
gründen konnte. Inzwischen ist diese Gegnerschaft in ein neues Stadium ge¬
treten. Italien hat von England die Erklärung erhalten, daß die Oasen von
Knfra als in die italienische Sphäre fallend anerkannt werden. Damit wird
Borku und Tibesti auch von Nordosten von italienischem Territorium umfaßt.
In Frankreich hat man infolgedessen den Plan gefaßt, dies gefährdete Gebiet
zu einer besonderen Kolonie, unter einem eigenen Generalgouvemeur zu er¬
heben, während es bisher dem Generalgouvemeur von Französisch > Äquatorial-
Afrika unterstand. Die Schaffung einer selbständigen Kolonie mitten in
der Wüste hat nur einen Sinn, wenn man sie als eine strategische Position
betrachtet, die den Widerstand gegen ein etwaiges italienisches Vorrücken zum
Tschad organisieren soll. Auf die Dauer wird diese Position allerdings wohl


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[0211] Frankreich und Italien Schutzes taten noch einmal die Chassevots bei Mendana Wunder, und erst nach Sedan gab der Abzug der französischen Besatzung Roms den Italienern den Weg zur Krönung ihrer Einheit frei. Die dritte Republik konnte die Einheit Italiens nicht mehr hindern. Die war nun Tatsache. Die alte Politik Frankreichs, die nach der ^etiori 5ran?3ise seit dem Mittelalter gegen eine Erstarkung Italiens gerichtet war. setzte sie aber fort. Das geeinte Italien mußte, nachdem es einigermaßen im Innern gekräftigt war, seine Blicke auf die südliche Küste des Mittel- meeres richten. Da kam ihm 1882 die französische Republik in Fortsetzung der Politik Karls des Zehnten und Ludwig Philipps durch die Besetzung von Tunis zuvor. Eine Ausbreitung Italiens am Nordrande Afrikas sollte verhindert werden. Soweit war man konsequent. Italien mußte vorläufig zurückweichen und am Roten Meere suchen, was es am Mittelländischen nicht finden konnte. Seine geringen Erfolge bei seinen dortigen Unternehmungen und seine Nieder¬ lage gegenüber den Abessiniern verführten dann die französischen Staatsmänner zu einer Unterschätzung der italienischen Leistungsfähigkeit. Diese Unterschätzung und die blinde Gegnerschaft gegen Deutschland trübte ihnen den Blick und ließen sie die Inkonsequenz begehen, den Italienern, um sie vorn Dreibund ab¬ zuziehen, und um Deutschland in den Marokkohändeln ihrer Unterstützung zu berauben, freie Hand in Tripolis zu lassen. Das war derselbe Fehler wie der Napoleons des Dritten im Jahre 1859. Mit der italienischen Besetzung von Libzens erhielt man einen sehr viel gefährlicheren Nachbar im Mittelmeer, als es Deutschland am Atlantischen Ozean in Südmarokko je gewesen wäre. Und man merkte ja auch bald diesen Fehler. Ein Savonen und Nizza als Kom¬ pensation zu verlangen, war diesmal nicht mehr möglich. Aber mit der größten Eile und Energie ging man daran, den unbequemen Nachbarn wenigstens den Weg nach Süden zu verlegen. Die Oasen im Süden von Fessan, Borku und Tibesti wurden schleunigst besetzt. Der wirtschaftliche Wert dieser Gebiete ist gering, die Verbindung mit den französischen Kolonien von Westafrika sehr schwierig, aber man mußte den etwaigen Ansprüchen zuvorkommen, die Italien auf die Rechtsnachfolge der Türken, die ebenfalls Ansprüche auf Borku erhoben, gründen konnte. Inzwischen ist diese Gegnerschaft in ein neues Stadium ge¬ treten. Italien hat von England die Erklärung erhalten, daß die Oasen von Knfra als in die italienische Sphäre fallend anerkannt werden. Damit wird Borku und Tibesti auch von Nordosten von italienischem Territorium umfaßt. In Frankreich hat man infolgedessen den Plan gefaßt, dies gefährdete Gebiet zu einer besonderen Kolonie, unter einem eigenen Generalgouvemeur zu er¬ heben, während es bisher dem Generalgouvemeur von Französisch > Äquatorial- Afrika unterstand. Die Schaffung einer selbständigen Kolonie mitten in der Wüste hat nur einen Sinn, wenn man sie als eine strategische Position betrachtet, die den Widerstand gegen ein etwaiges italienisches Vorrücken zum Tschad organisieren soll. Auf die Dauer wird diese Position allerdings wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/211>, abgerufen am 27.07.2024.