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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Mime zu Besuch

"Also, Herr Geheimrat, ich glaubte Sie nur auf die Mühe aufmerksam
machen zu müssen. Ich wollte selbstverständlich. . ."

"Nein, mein lieber junger Freund, ich eile, Sie zu umarmen."

Und er eilte. Das heißt, er eilte nicht, denn er eilt nie. Er nimmt
noch heute prinzipiell eine Pferdedroschke und läßt sie im langsamsten Schritt
fahren. Denn ein Auto fährt so rasch, nicht wahr, und die Leute auf der
Straße wollen schließlich doch von einer so bezwingender Erscheinung etwas
haben . . .

Und er kam. Die vier Treppen waren doch zu viel. Oben tauchte statt
des otrikolischen Zeusgesichtes eine von Atemnot entstellte Greisenfratze auf
-- ich habe alles in der Erwartung besonderer Ereignisse durchs Guckloch der Tür
beobachtet. Bevor er nun klingelte, erholte er sich zunächst und nahm dann
einen gehörigen Anlauf. Sowie ihm geöffnet wurde (ich zog mich wohl¬
weislich zurück), sprang er vermöge dieses Anlaufes als jugendfrischer Jüngling
ins Zimmer.

"Wo ist er?" -- "Den Herrn Doktor meinen Sie? Der kommt gleich."
Meine alte Haushälterin ist in manchen Fällen wirklich ein unausstehlicher
Brummbär.

Der Mime wollte sich offenbar zunächst im Zimmer umsehen. Zu diesem
Zwecke blickte er (Don Carlos I, 5) über seine Schulter. Ich habe in einem
Empireglasschrank schönes altes Porzellan aus einer längst verschollenen hansischen
Patrizierfamilie stehen. Dieses Porzellan geriet in die optische Axe des drohenden
Mimenblickes. Mit einem neuen Sprung war er bei dem Schrank: "Nein diese
Tassen. Das sind ja ganz meine Tassen I"

Der alte Drache verstand ihn falsch: "Erlauben Se man, das sind dem
Herrn seine Tassen, der hat se von der Frau Großmutter, und wenn Se wegen
der Tassen gekommen sind, dann können Se gleich wieder. . ."

Ich kam noch gerade zur Zeit, um einen Ausbruch zu verhindern.

Er war übrigens gar nicht mehr bei den Tassen: "Nein, diese Räume,
diese wundervollen Räume. Mein lieber junger Freund, Sie wohnen im Olymp!
Aber vor allem: lassen Sie sich umarmen!"

Und dann kam es wirklich so, wie ich es gefürchtet hatte. Haben Sie
es mal gesehen, wenn ein Fürst einen anderen Fürsten von der Bahn abholt
und es nachher in der Zeitung steht: "Die Monarchen umarmten sich zweimal
auf das herzlichste." Nun, also gerade ebenso ging es bei dieser angekündigten
Umarmung zu.

Und dann sprach er zu mir. Sprach lange und feierlich. So feierlich wie
ein Bürgermeister bei der Einweihung einer Bedürfnisanstalt, wenn die herum¬
gestellte Liedertafel soeben versichert hat, daß dies der Tag des Herrn sei. Oder
so, wie man zu einem königlich bayerischen Staatsschuldentilgungsspezialkassa-
buchhalter spricht, dem man zum dreißigsten Dienstjubiläum den Luitpold vierter
überreicht. Nur noch feierlicher, noch erhabener. Grollend und donnernd mit-


Der Mime zu Besuch

„Also, Herr Geheimrat, ich glaubte Sie nur auf die Mühe aufmerksam
machen zu müssen. Ich wollte selbstverständlich. . ."

„Nein, mein lieber junger Freund, ich eile, Sie zu umarmen."

Und er eilte. Das heißt, er eilte nicht, denn er eilt nie. Er nimmt
noch heute prinzipiell eine Pferdedroschke und läßt sie im langsamsten Schritt
fahren. Denn ein Auto fährt so rasch, nicht wahr, und die Leute auf der
Straße wollen schließlich doch von einer so bezwingender Erscheinung etwas
haben . . .

Und er kam. Die vier Treppen waren doch zu viel. Oben tauchte statt
des otrikolischen Zeusgesichtes eine von Atemnot entstellte Greisenfratze auf
— ich habe alles in der Erwartung besonderer Ereignisse durchs Guckloch der Tür
beobachtet. Bevor er nun klingelte, erholte er sich zunächst und nahm dann
einen gehörigen Anlauf. Sowie ihm geöffnet wurde (ich zog mich wohl¬
weislich zurück), sprang er vermöge dieses Anlaufes als jugendfrischer Jüngling
ins Zimmer.

„Wo ist er?" — „Den Herrn Doktor meinen Sie? Der kommt gleich."
Meine alte Haushälterin ist in manchen Fällen wirklich ein unausstehlicher
Brummbär.

Der Mime wollte sich offenbar zunächst im Zimmer umsehen. Zu diesem
Zwecke blickte er (Don Carlos I, 5) über seine Schulter. Ich habe in einem
Empireglasschrank schönes altes Porzellan aus einer längst verschollenen hansischen
Patrizierfamilie stehen. Dieses Porzellan geriet in die optische Axe des drohenden
Mimenblickes. Mit einem neuen Sprung war er bei dem Schrank: „Nein diese
Tassen. Das sind ja ganz meine Tassen I"

Der alte Drache verstand ihn falsch: „Erlauben Se man, das sind dem
Herrn seine Tassen, der hat se von der Frau Großmutter, und wenn Se wegen
der Tassen gekommen sind, dann können Se gleich wieder. . ."

Ich kam noch gerade zur Zeit, um einen Ausbruch zu verhindern.

Er war übrigens gar nicht mehr bei den Tassen: „Nein, diese Räume,
diese wundervollen Räume. Mein lieber junger Freund, Sie wohnen im Olymp!
Aber vor allem: lassen Sie sich umarmen!"

Und dann kam es wirklich so, wie ich es gefürchtet hatte. Haben Sie
es mal gesehen, wenn ein Fürst einen anderen Fürsten von der Bahn abholt
und es nachher in der Zeitung steht: „Die Monarchen umarmten sich zweimal
auf das herzlichste." Nun, also gerade ebenso ging es bei dieser angekündigten
Umarmung zu.

Und dann sprach er zu mir. Sprach lange und feierlich. So feierlich wie
ein Bürgermeister bei der Einweihung einer Bedürfnisanstalt, wenn die herum¬
gestellte Liedertafel soeben versichert hat, daß dies der Tag des Herrn sei. Oder
so, wie man zu einem königlich bayerischen Staatsschuldentilgungsspezialkassa-
buchhalter spricht, dem man zum dreißigsten Dienstjubiläum den Luitpold vierter
überreicht. Nur noch feierlicher, noch erhabener. Grollend und donnernd mit-


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[0103] Der Mime zu Besuch „Also, Herr Geheimrat, ich glaubte Sie nur auf die Mühe aufmerksam machen zu müssen. Ich wollte selbstverständlich. . ." „Nein, mein lieber junger Freund, ich eile, Sie zu umarmen." Und er eilte. Das heißt, er eilte nicht, denn er eilt nie. Er nimmt noch heute prinzipiell eine Pferdedroschke und läßt sie im langsamsten Schritt fahren. Denn ein Auto fährt so rasch, nicht wahr, und die Leute auf der Straße wollen schließlich doch von einer so bezwingender Erscheinung etwas haben . . . Und er kam. Die vier Treppen waren doch zu viel. Oben tauchte statt des otrikolischen Zeusgesichtes eine von Atemnot entstellte Greisenfratze auf — ich habe alles in der Erwartung besonderer Ereignisse durchs Guckloch der Tür beobachtet. Bevor er nun klingelte, erholte er sich zunächst und nahm dann einen gehörigen Anlauf. Sowie ihm geöffnet wurde (ich zog mich wohl¬ weislich zurück), sprang er vermöge dieses Anlaufes als jugendfrischer Jüngling ins Zimmer. „Wo ist er?" — „Den Herrn Doktor meinen Sie? Der kommt gleich." Meine alte Haushälterin ist in manchen Fällen wirklich ein unausstehlicher Brummbär. Der Mime wollte sich offenbar zunächst im Zimmer umsehen. Zu diesem Zwecke blickte er (Don Carlos I, 5) über seine Schulter. Ich habe in einem Empireglasschrank schönes altes Porzellan aus einer längst verschollenen hansischen Patrizierfamilie stehen. Dieses Porzellan geriet in die optische Axe des drohenden Mimenblickes. Mit einem neuen Sprung war er bei dem Schrank: „Nein diese Tassen. Das sind ja ganz meine Tassen I" Der alte Drache verstand ihn falsch: „Erlauben Se man, das sind dem Herrn seine Tassen, der hat se von der Frau Großmutter, und wenn Se wegen der Tassen gekommen sind, dann können Se gleich wieder. . ." Ich kam noch gerade zur Zeit, um einen Ausbruch zu verhindern. Er war übrigens gar nicht mehr bei den Tassen: „Nein, diese Räume, diese wundervollen Räume. Mein lieber junger Freund, Sie wohnen im Olymp! Aber vor allem: lassen Sie sich umarmen!" Und dann kam es wirklich so, wie ich es gefürchtet hatte. Haben Sie es mal gesehen, wenn ein Fürst einen anderen Fürsten von der Bahn abholt und es nachher in der Zeitung steht: „Die Monarchen umarmten sich zweimal auf das herzlichste." Nun, also gerade ebenso ging es bei dieser angekündigten Umarmung zu. Und dann sprach er zu mir. Sprach lange und feierlich. So feierlich wie ein Bürgermeister bei der Einweihung einer Bedürfnisanstalt, wenn die herum¬ gestellte Liedertafel soeben versichert hat, daß dies der Tag des Herrn sei. Oder so, wie man zu einem königlich bayerischen Staatsschuldentilgungsspezialkassa- buchhalter spricht, dem man zum dreißigsten Dienstjubiläum den Luitpold vierter überreicht. Nur noch feierlicher, noch erhabener. Grollend und donnernd mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/103>, abgerufen am 22.12.2024.