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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Hexe von Maye"

Töchterchen war krank und sie mußte es pflegen, hatte unruhige Nächte und
sorgte sich schwer. Zwei weise Frauen hatten schon helfen wollen, und der
herzogliche Leibmedikus aus Kiel war dagewesen, um viel weise Worte auf
lateinisch zu sagen und etliche Flaschen Mixtur zu verschreiben. Aber bei der
kleinen Heilwig wollte nichts helfen, sie lag müde in ihrem Bettchen und über
die Mutter kam die große Angst.

Ungeduldig winkte sie eines Tags dem Vogt ab, der ihr eine Nach¬
richt bringen wollte, und der Mann entfernte sich auf Zehenspitzen,
während er den Kopf schüttelte. Denn er hatte eben erfahren, daß ein
Mordbrenner ganz in der Nähe sein Wesen triebe, einer von denen,
die sich nicht mit Brand und Raub begnügen, sondern ihr Messer ziehen
und die Kehle abschneiden. Frau Heilwig aber freute sich, daß der Mann
wieder ging.

Sie saß im Garten, zwischen Taxushecken, und neben ihr stand das Bett
des Kindes. Zwar hatte der Leibmedikus vor der frischen Lust gewarnt, weil
sie böse Dämpfe enthalten könnte, aber die kleine Heilwig schlief immer in der
warmen Sommerluft ein. sonst konnte sie keine Ruhe finden. Die Sommer¬
rosen dufteten und der blaue Rittersporn streckte seinen schlanken Stengel neben
der weißen Lilie in die klare Lust; es war sehr friedlich hier und Heilwig lehnte
sich in ihren Stuhl zurück und schloß die Augen. Es war schwer, in der
Nacht zu wachen und am Tage keine Ruhe zu finden. Eigentlich wollte sie
an einem Linnentuch nähen, das sie sich mitgenommen hatte, aber ihre Hände
lagen müßig und mochten die Nadel nicht zu halten. Keiner Magd konnte sie die
Sorge um ihr Kind überlassen, sie waren alle leichtfertig und dachten an
andere Dinge. Gestern noch mußte Frau Heilwig eine von ihnen strafen, weil
sie ihre Arbeit nicht tat. Sie hieß Trina -- am Rhein würde man sie wohl
Kätha gerufen haben, weil sie Katharina getauft war. Kätha -- Frau Heilwig
wiederholte halb im Traum den Namen. Kätha war damals gut gegen sie
gewesen, obgleich sie sie für eine Hexe oder eine Ketzerin hielt. Aber die Angst
vor ihr verschwand allmählich, als sie sah, daß Heilwig wohl einen anderen
Glauben hatte, sonst aber eine vornehme adelige Jungfrau war. Eigentlich
wollte Heilwig immer noch einmal nach der guten Kütha fragen lassen, aber
ihre Absicht war nie weiter gediehen. Sie hatte so wenig Zeit mehr. Da
war ihr Mann, der gute Jostas von Sehestedt, der sie rechtschaffen liebte, wie
es sich gebührte. Aber er verlangte doch recht viel von seiner Gemahlin. Seine
Mutter, eine eigene, stolze Frau, mußte besonders behandelt werden, dann
kamen die Kinder und dann starb der Staatsrat ganz plötzlich am Schlagfluß,
und eins nach dem andern nahm die Gedanken in Anspruch. Wie konnte man
in die Ferne, an die Zeit denken, die gewesen war? Frau Heilwig lehnte den
Kopf zurück und schloß die Augen. Jetzt fuhr sie in die Höhe. Klang nicht
ein Schritt hinter den Taxushecken? Sie stand auf und sah sich um. Es war
still uni sie; in den Büschen flatterte ein Vogel auf und die Meise lockte leise


Die Hexe von Maye»

Töchterchen war krank und sie mußte es pflegen, hatte unruhige Nächte und
sorgte sich schwer. Zwei weise Frauen hatten schon helfen wollen, und der
herzogliche Leibmedikus aus Kiel war dagewesen, um viel weise Worte auf
lateinisch zu sagen und etliche Flaschen Mixtur zu verschreiben. Aber bei der
kleinen Heilwig wollte nichts helfen, sie lag müde in ihrem Bettchen und über
die Mutter kam die große Angst.

Ungeduldig winkte sie eines Tags dem Vogt ab, der ihr eine Nach¬
richt bringen wollte, und der Mann entfernte sich auf Zehenspitzen,
während er den Kopf schüttelte. Denn er hatte eben erfahren, daß ein
Mordbrenner ganz in der Nähe sein Wesen triebe, einer von denen,
die sich nicht mit Brand und Raub begnügen, sondern ihr Messer ziehen
und die Kehle abschneiden. Frau Heilwig aber freute sich, daß der Mann
wieder ging.

Sie saß im Garten, zwischen Taxushecken, und neben ihr stand das Bett
des Kindes. Zwar hatte der Leibmedikus vor der frischen Lust gewarnt, weil
sie böse Dämpfe enthalten könnte, aber die kleine Heilwig schlief immer in der
warmen Sommerluft ein. sonst konnte sie keine Ruhe finden. Die Sommer¬
rosen dufteten und der blaue Rittersporn streckte seinen schlanken Stengel neben
der weißen Lilie in die klare Lust; es war sehr friedlich hier und Heilwig lehnte
sich in ihren Stuhl zurück und schloß die Augen. Es war schwer, in der
Nacht zu wachen und am Tage keine Ruhe zu finden. Eigentlich wollte sie
an einem Linnentuch nähen, das sie sich mitgenommen hatte, aber ihre Hände
lagen müßig und mochten die Nadel nicht zu halten. Keiner Magd konnte sie die
Sorge um ihr Kind überlassen, sie waren alle leichtfertig und dachten an
andere Dinge. Gestern noch mußte Frau Heilwig eine von ihnen strafen, weil
sie ihre Arbeit nicht tat. Sie hieß Trina — am Rhein würde man sie wohl
Kätha gerufen haben, weil sie Katharina getauft war. Kätha — Frau Heilwig
wiederholte halb im Traum den Namen. Kätha war damals gut gegen sie
gewesen, obgleich sie sie für eine Hexe oder eine Ketzerin hielt. Aber die Angst
vor ihr verschwand allmählich, als sie sah, daß Heilwig wohl einen anderen
Glauben hatte, sonst aber eine vornehme adelige Jungfrau war. Eigentlich
wollte Heilwig immer noch einmal nach der guten Kütha fragen lassen, aber
ihre Absicht war nie weiter gediehen. Sie hatte so wenig Zeit mehr. Da
war ihr Mann, der gute Jostas von Sehestedt, der sie rechtschaffen liebte, wie
es sich gebührte. Aber er verlangte doch recht viel von seiner Gemahlin. Seine
Mutter, eine eigene, stolze Frau, mußte besonders behandelt werden, dann
kamen die Kinder und dann starb der Staatsrat ganz plötzlich am Schlagfluß,
und eins nach dem andern nahm die Gedanken in Anspruch. Wie konnte man
in die Ferne, an die Zeit denken, die gewesen war? Frau Heilwig lehnte den
Kopf zurück und schloß die Augen. Jetzt fuhr sie in die Höhe. Klang nicht
ein Schritt hinter den Taxushecken? Sie stand auf und sah sich um. Es war
still uni sie; in den Büschen flatterte ein Vogel auf und die Meise lockte leise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/91>, abgerufen am 21.06.2024.